Leidenschaftlich und leidensfähig: Warum der Blomberger Stephan Sauer der SPD treu bleibt

Blomberg. Sich für andere zu engagieren, das war ihm immer wichtig. Vielleicht liegt es auch ein Stück weit daran, dass Stephan Sauer selbst ein paar Schläge hat einstecken müssen, die ihn offen für Bedürfnisse anderer gemacht haben.

Jetzt kann er nicht mehr so, wie er gern möchte: COPD, eine Lungenkrankheit, raubt ihm die Luft und am Ende auch die Kraft. Schon seit zwölf Jahren hängt er am Sauerstoffschlauch, es wurde zunehmend schlechter. So muss der 72-Jährige erst einmal zu Atem kommen, bevor er sich an diesem sonnigen Morgen beim Besuch der LZ aufs Interview konzentrieren kann: &bdquo;Geht gleich wieder“, sagt er. Aber es wird nicht lange gehen, denn viel zu reden, schlaucht. - Ein Grund, warum er dann doch die heißgeliebte Ratsarbeit an den Nagel gehängt hat. &bdquo;Ich konnte dem einfach nicht mehr gerecht werden, das wäre unredlich, wenn ich einfach nur da sitze.“

Alkoholsucht besiegt Stephan Sauer wuchs als zweites von fünf Kindern in einem sehr katholischen Elternhaus im Sauerland auf. Eine kleine Schwester starb als Kleinkind an einem Herzfehler. Der Vater, ein ausgesprochen heller Kopf mit Einser-Abitur, war Chemiker, und dessen berufliche Karriere verschlug die Familie nach Detmold.

Der junge Stephan hatte den Grips des Vaters geerbt, schrieb sich für Flugzeugbau und Architektur in Aachen ein. &bdquo;Da wäre ich auch wunderbar durchgekommen, wenn ich nicht gesoffen hätte“, erzählt er offen. &bdquo;Ich bin Alkoholiker.“ Irgendwann war er so weit unten, dass es nicht mehr ging und er in einer Entzugsklinik landete. &bdquo;Nach meiner Entlassung kam ich zurück in meine Wohnung, da war nicht mal mehr Strom. Es standen vier volle Flaschen Bier da. Die habe ich weggekippt, und dann bin ich zu einem Treffen der Anonymen Alkoholiker gegangen. Seit 1980 habe ich keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken.“

Leidenschaftlicher Tischler Die Treffen halfen ihm - und irgendwann auch seine große Liebe Heidemarie. Zunächst hatte er sich nach dem versemmelten Studium mit diversen Jobs über Wasser gehalten, dann machte er eine Ausbildung zum Tischler: &bdquo;Es war nicht nur ein Beruf, sondern auch eine Leidenschaft“, sagt er rückblickend. 1989 legte er die Meisterprüfung ab, wurde Ausbilder.

Den Grundstein für politisches Engagement hatte er schon während des Studiums gelegt, wo er in der Studentenvertretung mitarbeitete und sogar Vorsitzender des Allgemeinen Studentenausschusses (ASTA) war. &bdquo;Meine Eltern waren stramme CDU-Wähler, aber das kam für mich nie infrage“, die Sozialdemokratie hatte es ihm immer schon angetan.

Als Familie Sauer mit zwei kleinen Töchtern in Horn wohnten, war es der langjährige SPD-Ratsherr Thomas Tölle, der ihn für die Kommunalpolitik gewann. &bdquo;Damals war ich stellvertretender sachkundiger Bürger.“ Dann zog die Familie nach Blomberg, angelockt vom Handball. &bdquo;Ich war jahrelang Schiedsrichter, aber durchaus bereit, mich auch anderswo zu engagieren.“

Sich für Kinder und Jugendliche einzusetzen, das war die Hauptmotivation: &bdquo;Vielleicht, weil ich eben selbst Kinder hatte.“ Bei der Wahl 2004, damals noch unter dem SPD-Vorsitzenden Heinz-Jürgen Gaube, zog Stephan Sauer direkt in den Rat ein. Den Schwerpunkt Soziales behielt er - und weil er sich auf’s Bauen verstand, deckte er auch dieses Feld bei der SPD ab.

Politik über der Gürtellinie &bdquo;Das Jugendzentrum, die Kinderspielplätze, das Integrationszentrum im Paradies, all das waren Projekte, bei denen ich mitgewirkt habe und die mir wichtig waren.“ Kontroverse Diskussionen habe er im Rat immer auf Augenhöhe, niemals unter der Gürtellinie erlebt. Natürlich waren auch umstrittene Entscheidungen dabei, etwa die Schließung der Grundschule Istrup und die Umgestaltung des damaligen Vati-Parks.

Da als Politiker im Kreuzfeuer der Kritik zu stehen, hat er ausgehalten. &bdquo;Manche Entscheidungen hatten ja eine ungeheure Tragweite, und manches, bei dem ich mitgestimmt habe, hat schon auch geknabbert.“ Den Nelkenpark hätte er sich beispielsweise deutlich barrierefreier gewünscht.

Rückkehr zu alten Idealen Geknabbert hat an ihm auch so manche Entscheidung in Berlin. &bdquo;Die SPD hat sich immer mehr von ihren ursprünglichen Werten, von dem sozialen Anspruch verabschiedet“, so lautet auch aus seinem Mund die traurige Bilanz. Das, was die SPD auch in der jetzigen Regierungskoalition auf den Weg gebracht habe, verkaufe sie zu schlecht. Andererseits ließen sich die Sozialdemokraten auch zu sehr über den Tisch ziehen: &bdquo;Der Lindner schafft es einfach, sich durchzusetzen. Sollten wir doch neu wählen, dann wäre die FDP raus.“ Was er sich wünscht? - Dass die SPD sich erinnert, wer sie groß gemacht hat und zu ihren sozialen Wurzeln zurückkehren - auch auf die Gefahr hin, dass sie eben nicht die Regierungsverantwortung bekommt. &bdquo;Eine Volkspartei wird sie ohnehin nicht mehr.“

Unverbrüchliche Treue Ein bisschen Verbitterung klingt da schon durch. Hat er jemals darüber nachgedacht, auszutreten? - &bdquo;Nein.“ Stephan Sauer ist eine treue Seele, trotz der Brüche unverbrüchlich und verlässlich. &bdquo;Ich bin ja auch nie aus der katholischen Kirche ausgetreten.“ Und: &bdquo;Dann kann ich ja nicht mehr vor dem Fernseher sitzen und mich aufregen.“

Eine knappe Stunde ist um, zu mehr reicht die Luft nicht. Stephan Sauer weiß, dass er sich jetzt lange von diesem Gespräch wird erholen müssen. &bdquo;Aber das war es wert.“

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