Immer mehr Leerstand in Blomberg? „Wir haben mehr, als die Leute sehen“

Blomberg. Wenn man mit Katja Wiegräbe spricht, ist schnell klar: Diese Frau kennt die Innenstadt nicht nur aus der Perspektive einer Gastronomin. Sie beobachtet, analysiert, diskutiert – und kämpft. Für Blomberg, für seine Geschäfte und für eine Innenstadt, die aus ihrer Sicht zwar Probleme hat, aber weit mehr Potenzial, als viele glauben.

Die LZ traf sie in ihrer &bdquo;Spätschicht“, um mit ihr über die Veränderungen in der Innenstadt und die Entwicklung der Leerstände zu sprechen. Vergangene Woche hatten wir berichtet, dass es einige Geschäftsumzüge in der Innenstadt gibt, der Leerstand sich dadurch aber kaum verringert. Doch ist die Lage wirklich so düster? Wiegräbe wünscht sich mehr Optimismus und Zusammenhalt.

Katja, wir kennen uns seit Jahren und sind per Du. Viele Blomberger sagen: Die Innenstadt stirbt langsam aber sicher aus. Kaum noch echte Einkaufsläden, Kneipen machen zu. Wen soll das in die City locken?

Katja Wiegräbe: Die klassische Kneipe, in die man abends geht, um zu trinken, ohne etwas zu essen, gibt es hier praktisch nicht mehr. Das mag in Studentenstädten noch funktionieren, aber auf dem Land nicht. Die Menschen gehen heute raus, um zu essen. Nicht mehr nur, um zu trinken. Wer Gastronomie macht, muss sich auf das veränderte Verhalten einstellen. Und ja, wir haben viele Dienstleister in der Innenstadt in bester Lage, aber auch Läden mit einer echten Stammklientel, die zeigen, dass es in der Innenstadt auch funktionieren kann.

Was ist der Grund für diesen Wandel?

Katja Wiegräbe: Arbeitszeiten, Schichtmodelle, verändertes Freizeitverhalten – und natürlich Social Media. Früher brauchte man zum Beispiel die Kneipe oder den Wochenmarkt, um Leute zu treffen oder den neuesten Klatsch und Tratsch zu diskutieren. Heute reicht ein Blick aufs Handy. Damit verliert die Innenstadt ihre Funktion als sozialer Ort. Und das merken wir alle.

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&bdquo;Viele wissen nicht mal, wie viele inhabergeführte Geschäfte es hier noch gibt“ Wie erlebst Du die Innenstadt?

Katja Wiegräbe: Wir haben über 20 inhabergeführte Einzelhändler – das ist eine enorme Zahl für Blomberg. Aber viele wissen das nicht. Die Wahrnehmung ist teils verzerrt: Man sieht zuerst, was fehlt, nicht das, was noch da ist. Dabei haben wir tolle Geschäfte – vom Fachhändler bis zum spezialisierten Sortiment, wie den Weinhandel, den Barf-Shop, Rathmann und viele mehr, die ihr Sortiment immer mehr auch auf Kundenwünsche abstimmen und mehr anbieten als manche annehmen würden.

Warum wird das so wenig wahrgenommen?

Katja Wiegräbe: Weil viele Menschen ihre Kaufkraft nicht mehr hier einsetzen. Sobald jemand ein neues Sofa, ein Geschenk oder Kleidung braucht, fährt er nach Detmold, Pyrmont, Steinheim oder kauft direkt online. Das ist längst Routine geworden. Wenn nicht mal die Blomberger hier einkaufen, wie sollen wir Menschen von außerhalb anziehen?

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&bdquo;Das Risiko ist für viele zu groß“ Warum bleiben Ladenflächen trotz Förderprogrammen leer?

Katja Wiegräbe: Weil das Risiko enorm ist. Viele, die mit dem Gedanken spielen, etwas zu eröffnen, gehen vorher einmal durch die Innenstadt – und sehen: kaum Laufkundschaft. Dann entscheiden sie sich dagegen.

Was ist mit den Pachten und Mieten?

Katja Wiegräbe: Zu hoch. Punkt. Manche Eigentümer orientieren sich an Preisen, die vor 20 Jahren mal üblich waren. Das funktioniert heute nicht mehr. Gerade wenn man bedenkt, wie viel man investieren muss, um ein Ladenlokal überhaupt in einen vorzeigbaren Zustand zu bringen. Bis man das als Einzelhändler wieder reingeholt hat, vergehen meist Jahre. Und so lange halten die wenigsten durch.

&bdquo;Pop-up-Stores wären schön“ Blomberg hatte einige Pop-up-Experimente. Warum scheitern sie so oft?

Katja Wiegräbe: Weil es zwei Dinge braucht: Sichtbarkeit – und Menschen, die verkaufen können. Wir hatten beispielsweise das Café Satz hier an der Neuen Torstraße. Ein wunderschöner Laden mit tollen Torten, aber es lag zu versteckt. Touristen fanden ihn nicht. Und gleichzeitig fehlte die offensivere Außenwirkung, um überhaupt Laufkundschaft anzuziehen. Dann wird es schwierig. Ich hab auch gemerkt, dass es Zeit braucht, bis alle von dem Angebot erst erfahren, diese Zeit durchzustehen, ist nicht so einfach in diesen wirtschaftlichen Zeiten.

&bdquo;Ein Laden für Selbstgemachtes und Geschenkideen“ Du hast lange über das Sortiment in der Innenstadt nachgedacht. Was fehlt wirklich?

Katja Wiegräbe: Ein Laden mit handgemachten Produkten, kleinen Geschenkideen, regionalen Dingen – wie Ulrike Ottes Teeladen. Der fehlt. Viele Menschen in Blomberg stellen tolle Produkte her, verkaufen sie aber nur online oder über Social Media. Wenn diese Leute sich zusammentun würden, könnte das funktionieren. Mit wechselndem Sortiment, geringerem Risiko und gemeinschaftlicher Vermarktung. Vor allem mit geteilten Personalkosten.

Eins Deiner Themen ist der Wochenmarkt. Du hast mehrere Wochen dort Suppen und Eintöpfe verkauft und dann wieder aufgehört. Wieso kämpft der Wochenmarkt wieder mit sinkenden Besucherzahlen?

Katja Wiegräbe: Der Wochenmarkt ist für Blomberg eigentlich ein Pfund. Aber er endet meiner Meinung nach zu früh. Berufstätige kommen gar nicht mehr hin. Wenn jemand bei Phoenix oder Synflex oder sonst wo arbeitet, erst um 14 Uhr Feierabend hat, ist der Markt praktisch vorbei – oft bauen einige Händler bereits ab 13.30 Uhr ab. Das ist ein Problem, an dem wir weiter arbeiten müssen. Für mich persönlich wurde die doppelte Arbeit einfach zu viel. Das konnte ich irgendwann nicht mehr so stemmen.

Lässt sich das lösen?

Katja Wiegräbe: Es ist kompliziert. Der Markt fängt früh an, müsste aus meiner Sicht aber deutlich länger gehen. Die Händler haben aber natürlich Arbeitszeitgrenzen. Gleichzeitig herrscht nach der Mittagszeit oft gähnende Leere – da passiert zwischen 12.30 und 14 Uhr kaum etwas. In Richtung Nachmittag oder Abend könnte da mehr gehen, aber das ist eben schwierig durchzuhalten. Trotzdem müsste man den Markt wieder attraktiver machen, vielleicht durch mehr Aktionen oder vielleicht einer Verlagerung des Marktes in den Nachmittag.

&bdquo;Öffnungszeiten sind ein Dauerproblem“ Viele Kunden beklagen uneinheitliche Öffnungszeiten in der City. Warum ändert sich das nicht?

Katja Wiegräbe: Weil jeder Geschäftsbetrieb für sich selbst schauen muss, was wirtschaftlich möglich ist. Das respektiere ich. Aber es wäre für die Kunden viel leichter, wenn zumindest gewisse Grundzeiten gälten. Wir bringen das als Blomberg Marketing seit Jahren ins Gespräch – bisher gab es keine Einigung.

&bdquo;Wir müssen wieder zusammenarbeiten – sonst verlieren wir alle“ Du betonst häufig, dass Zusammenarbeit entscheidend ist. Warum?

Katja Wiegräbe: Weil wir uns gegenseitig nichts wegnehmen. Das ist die wichtigste Erkenntnis der vergangenen Jahre. Wir haben das in der Gastronomie vorgemacht: Barbara Henning (Betreiberin des &bdquo;Heinis“, Anm. der Redaktion) und ich haben gemeinsam Events gemacht, gemeinsam Bier ausgeschenkt auf dem Marktplatz. Ich habe sie auch vertreten, als sie ihren Unfall hatte. So etwas hat es früher selten gegeben – und die Leute waren überrascht, wie gut das funktioniert.

Im Einzelhandel fehlt das?

Katja Wiegräbe: Noch ja. Aber es ändert sich langsam. Viele haben verstanden, dass Blomberg nur gewinnen kann, wenn die bestehenden Geschäfte gemeinsam sichtbar werden – und neue Geschäfte nicht sofort als Konkurrenz gesehen werden.

Versicherungsbüros, Friseure, Nagelstudio, Hörakustiker - und das in 1A-Lagen. Nicht unbedingt ein Angebot, das Kunden in die Innenstadt zum Schlendern lockt. Oder?

Katja Wiegräbe: [ überlegt] ... Da ist schon etwas dran. Ich kann aber die Immobilieneigentümer verstehen, die froh sind, keine langen Leerstände zu haben. Ein oder zwei Magneten wären natürlich wünschenswert, aber da sind in der Vergangenheit auch Entscheidungen getroffen worden, die uns heute auf die Füße fallen.

Was kann man tun gegen die Leerstände?

Katja Wiegräbe: Nicht viel. Immer wieder das Gespräch mit den Eigentümern der Gebäude suchen. Die haben das letzte Wort. Da kann die Stadt oder Blomberg Marketing kaum etwas tun. Die müssen sich den Marktgegebenheiten anpassen. Ich hab den Eindruck, dass der ein oder andere Eigentümer dieser Immobilien darauf schielt, irgendwann die Gewerbefläche zur Wohn-Immobilie umzuwandeln. Da gibt es bestimmte Fristen einzuhalten und so lange lassen viele das Gebäude leerstehen.

Sprichst du da auch von den Anfragen von H&M und McDonald’s vor etlichen Jahren?

Katja Wiegräbe: Auch. Jetzt sind die Vorzeichen andere und wir könnten solche Filialisten gebrauchen.

&bdquo;Wir brauchen wieder einen Ort, an dem Blomberg sich zeigt“ Wenn Du dir eine Sache oder Event wünschen dürftest, was wäre das?

Katja Wiegräbe: Ein großes gemeinsames Stadtfest, bei dem Gastronomie, Einzelhandel und Vereine zusammenkommen und zeigen, was Blomberg kann. Wie ein kleines &bdquo;Lippe kulinarisch“ vielleicht, nur im Blomberg-Format, wie es einst das Kartoffelfest war. Dieses Mal ohne Misstrauen, sondern mit Zusammenhalt aller Händler. Dafür bräuchte man Mut – und genug Menschen, die mitmachen. Mag utopisch klingen, aber es wäre ein starkes Zeichen.

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&bdquo;Blomberg hat Potenzial“ Zum Schluss bleibt die Frage: Ist die Blomberger Innenstadt noch zu retten?

Katja Wiegräbe: Wiegräbe antwortet ohne Zögern: &bdquo;Wir sind nicht auf dem Weg nach unten. Wir stehen einfach an einem Punkt, an dem alles neu gedacht werden muss. Wir haben tolle Geschäfte, engagierte Gastronomen, gute Kaufkraft. Aber wir müssen es schaffen, dass die Menschen das auch hier vor Ort nutzen.“ Und dann fügt sie an: &bdquo;Wir haben viel mehr, als die Leute sehen. Das Potenzial ist da.“

Katja Wiegräbe persönlich Katja Wiegräbe ist 52 Jahre alt und ein Blomberger Urgestein. Seit 2011 ist sie die Inhaberin von &bdquo;Katjas Spätschicht“ an der Neuen Torstraße. Sie hat Einzelhandelskauffrau bei einem Modegeschäft in Detmold gelernt und sich danach fürs Fachabitur im Bereich Wirtschaft und Verwaltung qualifiziert. Eigentlich wollte Wiegräbe immer schon Grundschullehrerin werden, die Pläne kollidierten aber mit ihrem frühen Kinderwunsch. Schließlich &bdquo;landete“ sie am Empfang der Burg Blomberg, wo sie 13 Jahre arbeitete. Damals war sie auch oft fürs Catering auf Messen.

Erst durch diese Aufgaben kam bei ihr die Gewissheit, dass sie auch eine eigene Gastronomie schaffen kann. Sie übernahm die Spätschicht damals genau in dem Zeitraum des Rauchverbots in Lokalen. An die Corona-Zeit mag sie sich nicht gerne erinnern. Eine schwierige Zeit. Sie hat kontinuierlich an der Weiterentwicklung ihres Angebots gearbeitet. Neben Live-Auftritten von diversen Bands hat sie auch Speisenangebot nach und nach ausgeweitet. Sie sagt aber auch ehrlich, dass es zwischendurch sehr eng für sie geworden wäre, wenn das markante Eckgebäude an der Neuen Torstraße nicht in Familienbesitz wäre.

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