Blomberg. Premiere für Blomberg: Der erste Geschichtenladen hat am Freitag und Samstag diverse Neugierige angelockt. Sie bekamen was zu hören – und sie wurden was los, wenn sie wollten.
Morgens, 10 Uhr in Blomberg: Wo sonst in der ehemaligen Apotheke am Kurzen Steinweg gähnende Leere herrscht, bilden Tücher neue Wände. Ein gelbes Sofa, Stühle und Kaffeetassen stehen bereit. Thomas Behrend vom Bielefelder Theaterlabor packt noch Knabberzeug auf Teller, während sein Kollege Michael Grunert ruhelos hin und her geht. Lampenfieber? "Habe ich immer, das gehört dazu", sagt der Mann mit dem beredten Gesicht. Er wird heute den Anfang machen.
Der allererste Zuhörer ist an diesem Freitagmorgen LZ-Mitarbeiter Justin Blum. Wer wahre Geschichten für die Zeitung schreibt, ist neugierig, was andere zu erzählen haben. Aber im Gegenzug selbst eine Episode aus seinem eigenen Leben zum Besten zu geben, das kann sich Justin zunächst noch nicht so gut vorstellen: "Ich weiß doch nichts Spannendes", winkt er ab.
Ein Becher Kaffee zum Aufwärmen, dann führt Schauspieler Michael Grunert seinen Kunden in die Erzähloase. Zeltartig auf ein Holzgestell drapiert, bietet dunkelroter Samtstoff eine heimelige, kuschelige Atmosphäre.
Die beiden machen es sich bequem: "Was möchtest Du denn hören? Ich hätte was aus meiner Abenteurerzeit zu bieten, was Theatralisches, was Kriminelles oder eine sehr intime Geschichte über den Tod meiner Mutter." Justin entscheidet sich für die Theatralik, und dann nimmt ihn Michael Grunert mit in das Badezimmer seiner Kindheit, wo er als fünfjähriger Junge sein erstes bewusstes Theatererlebnis hatte.
Vergessen sind Blomberg und der Kurze Steinweg, es erscheint der Vater des kleinen Michael, der im Begriff ist, seine missgebildeten Füße aus den orthopädischen Stiefeln zu ziehen, dann innehält und ins Deklamieren kommt: Er schlüpft in die Rolle des betrunkenen Ritters Leim von Leimersheim, sucht verzweifelt einen, der ihm die Stiefel auszieht, schimpft und lallt, verzieht das Gesicht und gestikuliert. Da wird es greifbar, das Staunen des kleinen Jungen, der seinen Vater erstmals in einer vollkommen fremden Rolle erlebt. "... und dann zog er sich die Stiefel aus", mit dem letzten Satz holt er Justin wieder in die Realität zurück.
Noch gefangen von der packenden Erzählung, ist dieser mit der ungewohnten Situation warmgeworden und lässt dann doch als Gegenleistung eine Geschichte vom Stapel, die ihm vor Jahren auf dem
Wacken-Festival widerfahren ist. Nun hört der Schauspieler seinerseits gespannt zu und erfährt staunend die unheimliche Geschichte von einem, der auszog, "Lord Slayer" zu suchen.
Derweil steht Sina Mittelgöker von Blomberg Marketing vor dem Ladenlokal und verteilt Zettel als Einladung in den Geschichtenladen. Doch zunächst ist die Reaktion der Passanten zurückhaltend: "Keine Zeit", ist oft die knappe Anwort. Aber nicht bei allen, schon schenkt Thomas Behrend im Vorraum Kaffee an die nächste Kandidatin aus.
"Es ist gar nicht so einfach, manche machen sofort dicht, manche brauchen einen zweiten Anlauf", sagt er. Und preisgeben möchten die wenigsten etwas von sich: "Nee, ich zahl lieber die zwei Euro", meint eine ältere Dame, die als nächstes auf Michael Grunerts Hörerliste steht. "Dann erzählen Sie mir doch mal von Ihrer Mutter" – die
Seniorin trifft eine ganz andere Wahl als der junge LZ-Mitarbeiter.
Schließlich geht es im Zehn-Minuten-Takt Schlag auf Schlag, die Erzählstube ist fast immer besetzt, und selbst Bürgermeister Klaus Geise bietet eine Geschichte an: Vom Blomberger Weinanbau – "das hatte ich gerade noch frisch im Kopf", lacht er.
Am Abend ist der Mund fussellig und die Geschichtenkiste voller: Regisseur Siegmar Schröder ist glücklich: "Die Blomberger sind gar nicht so reserviert, wie wir dachten."