Detmold. "Die Klingenbergsche Fabrik in Detmold, ein seit Jahren leerstehender Industriebau, der am 29. November letzten Jahres von jungen Leuten besetzt worden war, wurde gestern morgen von der Polizei geräumt. Die Aktion, die um 4 Uhr begann und an der sich etwa 540 Beamte beteiligten, lief gewaltlos ab."
Mit diesen Worten blickte die Berichterstattung in der Lippischen Landes-Zeitung (LZ) am 13. Januar 1981 auf die Ereignisse des Vortages zurück. 35 Jahre später zeigt sich immer noch die Bedeutung der Besetzung der Klingenberg-Gebäude.
Die Besetzer forderten vor allem eins: einen Ort, der als Treffpunkt für Jugendliche, Vereine und andere Gruppen dienen kann. Dieser Wunsch war nichts Neues. Bereits seit März 1980 forderten Jusos und andere Gruppen eine solche Nutzung der Gebäude.
"Zu dem Zeitpunkt gab es dies nicht in Detmold. Der Marktplatz war noch der gängigste Treffpunkt. Oder aber das Jugendzentrum in der Brunnenstraße, doch dies war eben eher eine Jugendeinrichtung" erinnert sich Walter Meutzer. Er war von Anfang an bei der Besetzung dabei und hat auch die Räumung am 12. Januar 1981 miterlebt. Dieser Mangel an Kommunikationsräumen brachte die Kulturinitiative Detmold (KID) und weitere Jugendliche dazu, die leerstehenden Gebäude an der Hornschen Straße einzunehmen. Ein weiterer Grund sei gewesen, dass gerade das ehemalige Bürogebäude alles andere als baufällig und ein besonderes, auch unter Denkmalschutz stehendes Gebäude gewesen sei, erzählt Meutzners Frau, Cornelie "Nele" Schulz. Dass dies nun ausgerechnet für einen Parkplatz weichen sollte, war ihnen ein besonderer Dorn im Auge.
An die Zeit der Besetzung erinnert sich das Paar mit positiven Gefühlen. "Es gab dort eine besondere Atmosphäre und viel Abwechslung. Natürlich gab es aber einen festen Kern, der dafür sorgte, dass alles organisiert wird", berichtet Nele Schulz. Die Besetzer wollten zeigen, was in einem Kommunikationszentrum alles möglich sein würde und veranstalteten Konzerte und Gesprächskreise. Auch Außenstehende wurden eingeladen, um sich ein Bild von der Besetzung zu machen. Insgesamt hätte es in der Bevölkerung eine große Solidarität gegeben. Eltern spendeten Holz zum Heizen und besorgten ein Notstromaggregat. Praktisch sei auch gewesen, dass einige der jungen Leute, vor allem jene, die gerade in der Lehre waren, oder diese bereits abgeschlossen hatten, besonders handwerklich veranlagt waren. So konnten kleine Reparaturen vorgenommen und kreative Lösungen für alltägliche Probleme gefunden werden.
Die ehemaligen Fabrikgebäude waren jedoch von der Regierung aufgekauft worden, mit der Kondition diese abzureißen, um dort zunächst einen neuen Parkplatz und später eine Erweiterung der Bezirksregierung zu bauen. Die KID forderte die Stadt auf, die Gebäude zurückzukaufen. Ein Nutzen als Kommunikationszentrum oder Wohnraum für Spätaussiedler stand in der öffentlichen Debatte. Regierungspräsident Walter Stich argumentierte jedoch gegenüber der LZ, dass er es "als seine persönliche Aufgabe betrachte, den Bestand der Regierung Detmold zu sichern".
Anfang Dezember solidarisierte sich auch der Kreisverband der Grünen mit den Besetzern. Sie bezeichneten die Gebäude der Klingenberg-Fabrik als charakterisierend für das Stadtbild des östlichen Zugangs zur Stadt Detmold. Die Junge Union hatte einen anderen Blick. Der damalige Kreisvorsitzende Dirk-Uwe Klaas forderte die Besetzer auf, ihre Aktion zu beenden. "Eine Besetzung der Klingenbergfabrik durch Hausfriedensbruch wird als Mittel zur Durchsetzung der Forderung nach einem autonomen Kommunikationszentrum sicherlich nicht von der Mehrheit der Detmolder Jugendlichen unterstützt", schrieb er in einer Presseerklärung. Außerdem würde die Aktion der Diskussion mehr schaden als nützen.
Die Regierung konkretisierte derweil ihren Plan für den Erweiterungsbau. Auf den 1600 Quadratmetern Grundfläche sollte Platz für 3400 Quadratmeter Saal- und Bürofläche entstehen. Ein Kompromissvorschlag der Stadt, die Klingenberg-Gebäude zwischenzeitlich zu nutzen, wurde mit der Begründung der Finanzierbarkeit abgeschmettert. Der Beschluss über den Abbruch der Häuser fiel in einer Ratssitzung am 18. Dezember 1980 mit voll besetzten Zuschauerplätzen. Mit 35 zu zwölf Stimmen wurde der ursprüngliche Entschluss zum Erhalt der Gebäude aufgehoben. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Kuhlmann argumentierte, dass die Entscheidung aus der städtebaulichen Sicht getroffen wurde. Friedrich Brakemeier distanzierte sich von dem Mehrheitsentscheid seiner Partei, der SPD, die sich ebenfalls für den Abbruch aussprach.
Am 12. Januar 1981 um 4 Uhr morgens war es dann soweit. Bei einem Polizeieinsatz räumten mehr als 540 Beamte die Hausbesetzung der Klingenberg-Fabrik. Noch während die Besetzer abgeführt wurden, rückten die Abrissfahrzeuge an. "Die Fenster wurden zuerst herausgerissen. Dabei hätten sie beinahe aus Versehen beim Nachbarhaus weitergemacht", erinnert sich Walter Meutzner. Der Abriss, der von vielen als Nacht- und Nebelaktion wahrgenommen wurde, stand noch lange im öffentlichen Diskurs.
Wer waren eigentlich die Besetzer? In Berichten aus der damaligen Zeit, liest sich oft, dass viele einen kriminellen Hintergrund gehabt hätten oder Kontakte zur terroristischen Szene hatten. Tatsächlich waren viele der jungen Leute Detmolder, die noch in der Ausbildung waren oder zur Schule gingen. "Ich habe dadurch keinen Tag in meiner Lehre verpasst", erzählt Cornelie Schulz. Hans-Gerd Schmidt berichtet in seinem Buch "Die 68-er Bewegung in der Provinz", dass die Prozessakten zeigen: der kriminelle Hintergrund beschränkte sich in den meisten Fällen auf Kleinstvergehen. Jedoch mussten sich die Besetzer, die in der Nacht der Räumung in den Gebäuden waren, mit einer Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch auseinander setzen. Alle legten kollektiven Widerspruch ein, mussten aber dennoch hohe Summen als Strafe entrichten. Nur die Minderjährigen kamen mit einer Verwarnung davon.
Am Ende hatte die Besetzung dann etwas Gutes: Wie ein Friedensangebot kam die Nachricht daher, dass die Stadt die ehemalige Paulinenschule zu einem Kommunikationszentrum umbauen wolle. Für die einstigen Besetzer war dies eine Überraschung. Die "Alte Pauline" öffnete am 17. September 1981 ihre Türen zum ersten Mal als Jugend- und Kommunikationszentrum. Schon bald fanden hier Info-Abende und Veranstaltungen aller Art statt. Bis heute ist die "Pauline" ein Zufluchtsort und ein Zuhause für Jugendliche und Alternative. Schulz resümiert ihre Zeit dort: "Wir sind noch lange dort hingegangen und ich denke, dass es für jeden, der dort öfter war, gute Auswirkungen hatte".
Chronik
1973: Gründung der Arbeitsgemeinschaft Jugendzentrum Detmold e.V.
August 1973: Die Arbeitsgemeinschaft reicht Vorschläge über leerstehende Gebäude als Jugendzentrumstandorte ein.
3. November 1973: Der Landeskonservator (oberster Denkmalschützer) stellt die Denkmalwürdigkeit des Klingenbergschen Verwaltungsgebäudes erneut fest.
7. Februar 1974: Mit einer Demo auf dem Marktplatz wird für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum geworben.
Sommer 1974: Das Thema „Jugendzentrum in Detmold" wird im Sport- und Jugendausschuss diskutiert – ohne Lösung.
Mai 1980: Die Kultur-Initiative-Detmold e.V. (KID) wird gegründet.
12. Juni 1980: Die KID schlägt das Verwaltungsgebäude und die Druckerei Klingenberg als Kommunikationszentrum im Rat vor.
November 1980: Der Regierungspräsident Walter Stich als Eigentümer der Klingenberggebäude will diese abreißen lassen.
29. November 1980: Jugendliche besetzen zwei der Klingenberg-Gebäude.
5. Dezember 1980: Ein Gespräch zwischen den Besetzern und dem Regierungspräsidenten scheitert.
18. Dezember 1980: Der Abbruchauftrag wird in einer Ratssitzung erteilt. Es gibt 35 Stimmen für den Abbruch, zwölf dagegen und drei Enthaltungen.
12. Januar 1981: Die Polizei räumt die Klingenbergfabrik. Der Abriss der Gebäude beginnt noch in den frühen Morgenstunden des selben Tages.
17. Januar 1981: Eine Protestdemo der „Klingenberger" findet statt. 111 Lehrer solidarisieren sich in einer öffentlichen Erklärung mit den Besetzern.
4. Februar 1981: Gegen 85 ehemalige Besetzer wird ein Strafbefehl wegen Hausfriedensbruch beantragt.
19. Februar 1981: Der Rat entscheidet, dass die Alte Paulinenschule das neue Kommunikationszentrum werden soll.
17. September 1981: Die Alte Pauline öffnet zum ersten Mal als Kultur- und Kommunikationszentrum.
- LZ-Bericht "Die Räumung" vom 13.1.1981
- Zweiter LZ-Bericht "Die Räumung" vom 13.1.1981
- LZ-Bericht "Aufmarsch der Besetzer" vom 18.02.1981
- "öffentliche Erklärung - LZ-Bericht vom 14.02.1981
- Kommunikationszentrum in Klingenberg-Gebäude möglich - LZ 16.08.1980
- Regierungserweiterung bedingt Klingenberg-Abbruch - LZ 16.08.1980