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Flüchtlinge in Lippe

Junger Syrer hilft in der Ausländerbehörde anderen Geflüchteten

Die Arbeit legt den Grundstein für seine Zukunft in Deutschland, doch Hadi Ghali vermisst sein Heimatland

Detmold. Zurückhaltend lächelnd steht Hadi Ghali im Büro der Kontaktstelle für Ausländerinnen und Ausländer des Sozialamts. Der junge Syrer ist Praktikant in der Ausländerbehörde und mir spontan sympathisch.

Während unseres Gesprächs bemüht Hadi Ghali sich, auf Deutsch zu antworten, obwohl er erst seit drei Monaten einen Sprachkursus besucht. Nur wenn ihm auf Deutsch die Worte fehlen, wechselt er ins Englische. Auch ein Grund, warum das Praktikum in der Kontaktstelle für ihn so wichtig ist: Durch den täglichen Gebrauch der deutschen Sprache lernt er sie viel schneller.

Er möchte lernen, sich nützlich machen. Faul herumzusitzen ist nicht sein Ding. Das wird deutlich, als er seinen Tagesablauf skizziert: Morgens von 4 bis 6 Uhr trägt er als Aushilfe die LZ aus. Von 9 bis 13 Uhr besucht er einen Deutschkursus bei der Volkshochschule. Von 13.30 bis 17 Uhr arbeitet er als Praktikant in der Kontaktstelle der Ausländerbehörde.

„Anfangs hatte ich versucht, die LZ als dauerhaften Minijob auszutragen, aber das war zu hart", erzählt Ghali. Deshalb springt er jetzt nur noch als Aushilfe ein. Bis zu 100 Euro dürfte er so dazu verdienen, bevor das Amt die Leistungen kürzt. Alles Geld, was er erübrigen kann, schickt er nach Syrien zu seiner Frau und seinem zweieinhalbjährigem Sohn.

Ulrike Danesh erinnert sich, wie sie Hadi Ghali vor zehn Monaten kennenlernte. Sie ist Sozialarbeiterin und koordiniert die ehrenamtlichen Helfer.

Kaum drei Tage habe es gedauert, bis Ghali nach seiner 21 Tage dauernden Flucht über den Libanon, per Flugzeug in die Türkei, per Boot nach Griechenland und wieder auf dem Landweg über Mazedonien, Serbien, Kroatien, Österreich nach Deutschland in der Kontaktstelle gefragt habe, ob er helfen könne, erzählt Danesh. Er wolle sich beschäftigen, erklärt Ghali – gegen die Langeweile und das Heimweh.

In Syrien hat er Topografie studiert. Ein Studium an einer Wirtschaftsuniversität musste er wegen des Kriegs abbrechen. Außerdem arbeitete er in einem Duty-Free-Shop als Verkäufer. Anfangs am Flughafen in Damaskus, dann im Niemandsland zwischen Syrien und dem Libanon.

Ein Kursus im Deuten von Körpersprache, den er damals belegte, hilft ihm jetzt wieder im Umgang mit Menschen unterschiedlicher Herkunft. Mit dem Kursus wollte sein Arbeitgeber die Verkäufe ankurbeln. „Ich war der beste Duty-Free-Verkaufer in ganz Syrien", erzählt Ghali stolz.

„Syrien, das ist die schönste Frau der Welt", sagt er, als ich ihn nach seinem Heimatland frage. „Ich vermisse es sehr." Das Land sei westlich orientiert mit Moscheen aber auch mit Kirchen. Hadi Ghali ist Christ. Die Sicherheitslage sei wie in Deutschland gewesen – vor dem Krieg. Nun sieht er dort keine Perspektive mehr für sich und seine Familie. Ende Januar werden seine Frau und sein Sohn nach Deutschland nachkommen.

Bis dahin lenkt er sich ab mit viel Arbeit: Er geht als Kontaktperson in die Flüchtlingsunterkünfte, stellt Teilnehmerlisten für Willkommensseminare zusammen, dolmetscht Arabisch und macht eine Fortbildung die Detmolder Ärzte anbieten, um später eine Selbsthilfegruppe gründen zu können.

Hat er Tipps für seine Landsleute? „Es ist wichtig zu wissen, dass die Deutschen nicht so laut sind", sagt Ghali vorsichtig. Er möchte niemanden beleidigen. „Und dass in der Sprache das ,Sie’ verwendet wird." Die Höflichkeitsform werde in Syrien nur noch in Floskeln benutzt.

Und was könnte in Deutschland besser laufen für die Integration der Geflüchteten? „Vielleicht dauert es etwas zu lange, bis man die Aufenthaltserlaubnis bekommt", sagt er vorsichtig. „Ohne die Erlaubnis, passiert hier nichts", erklärt Sozialarbeiterin Danesh.

Also auch keine Integrationskurse in denen Deutsch gelehrt wird und die Geflüchteten über geschriebene und ungeschriebene Gesetze in Deutschland aufgeklärt werden – und auch keine Praktikumsstellen. Hadi Ghali musste fünf Monate auf das wichtige Dokument warten.

Das offizielle Praktikum bei der Detmolder Kontaktstelle soll den Grundstein legen für seine neue Zukunft in Deutschland: Ein Studium des Sozialwesens an einer Fachhochschule. Verlangt wird dafür bei Teilzeit ein sechsmonatiges Vor-Praktikum im sozialen Bereich. Mit dem Studienabschluss könnte Hadi Ghali Sozialarbeiter werden.

Er könnte seiner Familie hier eine Zukunft bieten – in Sicherheit, aber fernab der Heimat. Denn zurück nach Syrien wird er dann vorerst wohl nicht mehr gehen. „Ich muss an die Zukunft meines Sohnes denken."
Der Junge wird als Deutscher aufwachsen und sich an nichts aus seiner ursprünglichen Heimat erinnern. „Wenn ich dann alt bin", sagt Hadi Ghali, „dann möchte ich zurück nach Syrien, um dort zu sterben."

Information
Kontaktstelle

Fünf Mitarbeiter der städtischen Kontaktstelle für Ausländerinnen und Ausländer betreuen gemeinsam mit Ehrenamtlichen vor allem Geflüchtete im Stadtgebiet.

Sie helfen ihnen, sich in Deutschland und Detmold zurechtzufinden, beraten sie bei Behördengängen, Schul- und Kindergartenanmeldungen, vermitteln Sprach- und Integrationskurse und kümmern sich um das Zusammenleben in den verschiedenen Flüchtlingsunterkünften.

Auch EU-Ausländern wenden sich an die Kontaktstelle, wenn sie beispielsweise Fragen zur gesetzlichen Krankenkasse in Deutschland haben.

Die Kontaktstelle ist als Teil des Sozialamts im Dachgeschoss der Bürgerberatung in der Grabenstraße untergebracht. Es gab sie schon vor dem Syrien-Konflikt und den daraus resultierenden Flüchtlingsströmen.

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