Detmold. Es ist acht Uhr morgens. Klapp, klapp, klapp-klapp. In der Wittekindstraße 11 werden Lieferwagen-Türen geöffnet und geschlossen. Wellpappe reibt über Wellpappe. Kartons werden gewuchtet. Krrrrr-krrrch. Eiskratzer schaben über Autoscheiben. Es ist null Grad und die Fahrer der Paketzustellbasis Lippe bereiten ihre Touren vor. Mit dabei ist Yaser Khayat. Der Syrer stammt aus Aleppo und ist 2014 mit seiner Familie nach Deutschland geflüchtet. Seit August arbeitet er bei DHL.
„Ich hatte erst Bedenken", erinnert sich Zustellbasenleiter Horst Rosowski, „aber jetzt ziehe ich den Hut davor, wie gut er Deutsch gelernt hat." Auch die Zusammenarbeit mit den Kollegen funktioniere sehr gut – und das sei wichtig. „Denn unser Job ist Teamarbeit", sagt Rosowski. Jeder muss überall mit anpacken, denn das Aufkommen den Pakete ist jeden Morgen anders – und in der Vorweihnachtszeit besonders hoch.
Gerade wird die letzte Zuführungsfahrt aus dem Paketzentrum Bielefeld ausgeladen. Die DHL-Männer arbeiten zügig. „Falscher Standort!" Der LZ-Reporter und der Post-Pressesprecher stehen im Weg. 24 Rollbehälter sind in einem Lastwagen-Zug. Diesmal sind den Bielefelder Kollegen die Rollwagen ausgegangen. Sie haben sich mit großen Kartons auf Europaletten beholfen. Also muss der Hubwagen ran, um die zwei Paletten vom Lkw zu holen. „Vorsicht!" Beim Absetzen der Palette kippt der Karton darauf um und ein paar Pakete purzeln auf den Hallenboden. Nichts passiert. „Die Sendungen sollten so verpackt sein, dass sie einen Sturz aus einem Meter Höhe unbeschadet überstehen", erklärt Rainer Ernzer, Pressesprecher der Deutschen Post DHL. „Nicht unbedingt für solche Fälle, sondern weil im Paketzentrum Maschinen arbeiten, die Hinweise wie ,Bitte nicht werfen nicht lesen können." Und für den Fall der Fälle sei der Wert eines Pakets ja bis 500 Euro versichert.
Yaser Khayat packt sein Zustellfahrzeug. Er und ein paar andere Kollegen haben Glück und dürfen in der angewärmten Halle beladen. Jeweils zum 1. April tauschen sie ihre Plätze mit den Kollegen draußen. Die knackigen Temperaturen kennt Khayat aus seiner syrischen Heimat. „Da wird es nachts auch so kalt wie hier." Jeden Tag hält er Kontakt zu Freunden in Aleppo. „Meine Wohnung ist noch in Ordnung, mein Lager ist komplett kaputt", berichtet er. „Die Medien sagen, die Rebellen sind gut, aber sie haben viele schlimme Sachen gemacht", erlaubt er sich leise Kritik. In den vom Regime kontrollierten Gebieten habe es sich besser gelebt.
Im Lieferwagen kleben neben den Regalen Zettel mit den Straßennamen seines Bezirks, nach denen Yaser Khayat die Pakete nun sortiert. Sein Bezirk 701 umfasst Hackdahl, Klüt und einen Teil der Innenstadt. Mit Jowat, Kanne, Kaufland und Medimax sind einige Firmenkunden dabei. Das bedeutet zwar viele Pakete, spart aber Zeit, weil immer jemand da ist, der die Sendungen annimmt. 210 Pakete wird er heute ausliefern. 60 Stopps sind dafür eingeplant. Routiniert rangiert Kahyat den Wagen aus der Halle. Die Rückfahrkamera hilft ihm dabei.
„Nein, ich bin hier nie schlecht behandelt worden, als Ausländer", sagt der Syrer. Zu Hause war er Ingenieur und hat im IT-Bereich gearbeitet. Wegen der anfangs schlechten Deutschkenntnisse war hier für ihn in dieser Branche kein Job zu finden."Ich spreche es leider zu wenig", sagt Yaser Khayat.
Das Zustellfahrzeug setzt sich in Bewegung. Durch den kastenförmigen Aufbau schaukelt es leicht. Zu schnell darf Khayat nicht fahren, sonst fallen die Pakete aus den Regalen. Im Führerhaus klebt über den Scheibe ein Aufkleber mit den "Goldenen Spritsparregeln". Er empfiehlt "schnelle Gangwechsel" und "niedertouriges Fahren". Darum kümmert sich schon die Automatik des Lieferwagens. Und das "Abschalten überflüssiger Verbraucher" erledigt ein Bewegungsmelder, der hinten bei den Paketen das Licht ausmacht, wenn dort niemand ist.
„Wenn alles wieder okay wird, möchte ich wieder zurück nach Syrien", sagt der Familienvater. Er würde seine Kinder gerne in seinem Heimatland aufwachsen sehen. „Die Fünfjährige erinnert sich nur noch ein bisschen an ihr Zimmer in Aleppo." Seine zweieinhalbjährige Tochter und sein sieben Monate alter Sohn sind beide in Deutschland geboren. Er selbst vermisst die Sonne und das Großstadtleben der 2,5-Millionen-Einwohner-Stadt. Übrigens, verrät der Syrer, sei Weihnachten in seiner Heimat auch ein Feiertag, wegen der 10 Prozent Christen im Land.
Motor an, ein paar Meter fahren, Motor aus. Paket suchen, Aussteigen, Abschließen... Die Paketzustellung klappt zügig. Yaser Khayat weiß, wo er klingeln muss. Ist niemand zu Hause, haben manche Kunden einen Ablageort vereinbart, den ihm sein Scanner anzeigt. "Wenn die Sendungen in den Briefkasten passen, ist es immer gut", sagt der Zusteller. In Mehrfamilienhäusern versucht Khayat das Paket woanders im gleichen Haus abzugeben, bei Einfamilienhäusern auch beim Nachbarhaus nebenan. Klappt das alles nicht, druckt ein kleiner Drucker an seinem Gürtel einen Benachrichtigungszettel aus, den er in den Briefkasten des Empfängers wirft. "Wenn ich nach meiner Tour noch Zeit haben, versuche ich die Zustellung oft auch noch ein zweites Mal", verrät er.
"Die ersten drei bis vier Monate in Deutschland war die Umgewöhnung schwer", erinnert Khayat sich. "Jetzt finde ich es hier sogar besser zu leben. Ich mag Detmold." Aber warum in Deutschland immer dieser ganze Papierkram nötig sei, kann der Syrer nicht verstehen. In seinem Heimatland habe es doch auch gut ohne so viel Bürokratie funktioniert. Er zeigt eine Liste mit Fahrtzeiten, die er für DHL jeden Tag ausfüllen muss. "Ich verstehe wirklich nicht warum."
„Ist heute für uns auch etwas dabei?", ruft eine Nachbarin, als Yaser Khayat gerade ein Paket zustellt. „Nein, leider nicht", lautet seine freundliche Antwort. 14 Sendungen wird er allein bei Kanne los. Später wird er noch einmal wiederkommen, um frankierte Pakete mitzunehmen. Um 16 Uhr wird Yaser Khayats Zustellfahrzeug schließlich leer sein. Schichtende. Und morgen geht der vorweihnachtliche Paket-Wahnsinn wieder von vorne los.