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Detmold

Der Massenmörder aus Detmold

Detmold. Es ist drei Uhr morgens am Montag, 19. April 1943, als die Deutschen anrücken. Zwei Bataillone der Waffen-SS umstellen das Warschauer Ghetto. Doch die 850 Soldaten werden von Partisanen beschossen, mit Brandbomben beworfen und müssen sich zurückziehen. Damit hatte niemand gerechnet.

In Berlin ist das Wetter an diesem Tag schlecht. Es passt zur Stimmung von Reichsführer-SS Heinrich Himmler, als er von den Vorfällen erfährt. Eigentlich hatte er Adolf Hitler am nächsten Tag zu dessen Geburtstag mitteilen wollen, dass Warschau „judenfrei" ist.

Jetzt soll SS-Standartenführer Jürgen Stroop von der Division Totenkopf zeigen, was er kann, denn er führt das Kommando. Jürgen Stroop, der aus weltanschaulichen Gründen seinen Taufnamen Joseph geändert hat, ist Katasteramtsgehilfe und wohnt in Detmold in der Mühlenstraße an der „Herberge zur Heimat". Den diskriminierenden Umgang mit sozialen Randgruppen hat er früh gelernt: „Zu den Aufgaben seines Vaters gehörte die Überwachung der dort untergebrachten nichtsesshaften Wanderarbeiter", schildert die Detmolder Stadtarchivarin Bärbel Sunderbrink. In Zusammenarbeit mit Heike Fiedler vom Landesarchiv NRW hat sie die Ausstellung „Detmold und das Warschauer Ghetto" konzipiert (siehe Info).

»Die Bedingungen im Ghetto waren unbeschreiblich«

Und Stroop funktioniert. Bis zum 16. Mai radiert er mit seiner Division das Ghetto aus, in dem sich jüdische Kampfgruppen formiert haben – junge Männer, die auf den Straßen täglich mit Elend und Entsetzen konfrontiert sind und nichts zu verlieren haben.

Pro Quadratkilometer leben 150.000 Menschen im Ghetto, pro Zimmer sieben bis acht Personen. Verhungernde und Erfrierende, darunter viele Kinder, gehören zum Straßenbild. „Auf das unerlaubte Verlassen stand die Todesstrafe. Die Lebensverhältnisse waren unbeschreiblich. In den Jahren 1941/42 starben im Ghetto 83.000 Menschen, zumeist an Erschöpfung, viele auch an Fleckfieber", schildert die Detmolder Archivarin. Am 22. Juli 1942 beginnen die Deportationen ins Vernichtungslager Treblinka, eigens für die Ermordung der Juden aus dem Warschauer Ghetto errichtet.

Abtransport ins Vernichtungslager: Akribisch hat SS-Führer Jürgen Stroop die Ereignisse bei der Niederschlagung des Warschauer Ghetto-Aufstands dokumentiert. - © Bundesarchiv/Stroop-Bericht
Abtransport ins Vernichtungslager: Akribisch hat SS-Führer Jürgen Stroop die Ereignisse bei der Niederschlagung des Warschauer Ghetto-Aufstands dokumentiert. (© Bundesarchiv/Stroop-Bericht)

Keiner der Widerstandskämpfer will sich freiwillig auf die Schlachtbank führen lassen. „Der Warschauer Ghettoaufstand war die erste Massenrevolte von Juden im von Deutschland besetzten Europa. Tausende Ghettobewohner hielten die Deutschen in einem wochenlangen, vollkommen unerwarteten Kampf in Atem", schildert Bärbel Sunderbrink.

Stroop hat den Auftrag, das Ghetto zu räumen, von Himmler persönlich. Der Mann aus Detmold gilt als durchsetzungsstark. Begeisterter Soldat ist er schon lange. Sofort nach Kriegsbeginn im August 1914 hat er sich zum Militärdienst gemeldet, bekam Orden, aber für eine Offizierslaufbahn fehlte die höhere Schulbildung. 1918 muss er zurück zur lippischen Katasterverwaltung.

1932 tritt er in die NSDAP ein und wird nach der Machtübernahme Chef einer Hilfspolizei aus SA, SS und Stahlhelm, die unter anderem den Detmolder Journalisten Felix Fechenbach am 11. März 1933 verhaftet, der wenige Monate später im Wald zwischen Kleineberg und Scherfede erschossen wird. „Möglicherweise war Stroop an den Planungen des Mordes beteiligt", sagt Sunderbrink. „Dass er Mitwisser war, ist sehr wahrscheinlich."

SS-Sturmbannführer: Stroop 1934. - © Landesbibliothek Lippe
SS-Sturmbannführer: Stroop 1934. (© Landesbibliothek Lippe)

In Warschau führt er eine ungleiche Schlacht und geht gnadenlos vor, mit Soldaten, Panzern und Flammenwerfen. Durch ein System von Bunkern und Kanälen versuchen viele zu entkommen. Am 16. Mai lässt Stroop die Synagoge sprengen – ein symbolträchtiges Ende. „Die Sprengung hatte Stroop eigenhändig durchgeführt", so Sunderbrink. Und er meldet stolz nach Berlin: „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr!"

Stroop hat seine Arbeit akribisch dokumentiert und in rund 50 Bildern fotografisch festhalten lassen. Das Foto, das einen Jungen mit erhobenen Händen zeigt, der sich den Deutschen ergibt, geht später um die Welt. Als „Juden und Banditen" bezeichnet er sie in seinem Rapport an Himmler, den er in zweifacher Ausfertigung herstellen lässt. Das andere geht an Adolf Hitler.

Stroops Erfolg wird honoriert und der Detmolder in den Rang eines höheren SS- und Polizeiführers für Warschau erhoben. Er geht nach Wiesbaden als SS- und Polizeiführer „Rhein-Westmark", wo er in Fliegermorde verwickelt wird: In der Endphase des Krieges sind es vor allem Polizei- und Parteifunktionäre, die abgeschossene oder notgelandete alliierte Flugzeugbesatzungen töten.

Am 8. Mai 1945 wird Jürgen Stroop von den Amerikanern festgenommen und im Zusammenhang mit den Fliegermorden am 21. März 1947 zum Tode verurteilt. Vollzogen wird das Urteil jedoch nicht, sondern Stroop wird nach Polen ausgeliefert. Sein akribischer Bericht wird ihm zum Verhängnis, anderen ebenfalls: Er gilt als einzigartiges Dokument der Vernichtungsmaschinerie und ist ein wichtiges Beweisstück bei den Nürnberger Prozessen. In Warschau wird Stroop am 23. Juli 1951 erneut zum Tode verurteilt. Seinem Gnadengesuch wird nicht entsprochen. Stroop wird am 6. März 1952 gehängt.

Während Stroop auf seine Hinrichtung wartet, muss er sich eine Zelle mit dem Offizier der national-polnischen Heimatarmee Kazimierz Moczarski teilen." Der Journalist dokumentiert Jahrzehnte später aus der Erinnerung seine „Gespräche mit dem Henker". Dokumentiert sind auch andere Gespräche, die Stroop mit Schalom Grajek, einem Mitglied einer jüdischen Kampforganisation, geführt hat.

Er erzählt diesem von jüdischen Schulkameraden – 32 Menschen aus Detmold sind ins Ghetto deportiert worden. Er wird gefragt, was er getan hätte, wenn ihm einer im Ghetto wieder begegnet wäre. Und antwortet kühl: „Ich hätte ihn ganz einfach begrüßt, wenn er nicht zu den Kämpfern gehörte."

Auch in seinem Gnadengesuch bleibt er ohne jeglich Empathie – außer für sich selbst: Er habe nur bedingungslosen Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten gekannt. „Mein ganzes Leben", erklärt der Detmolder Massenmörder, „galt dem Dienste meines Vaterlandes und dem Wohle meiner Frau und meiner Kinder."

Am 7. Dezember sinkt Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) am Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos auf die Knie. „Am Abgrund der deutschen Geschichte", sagt Brandt später, „und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt."

Delegation aus Detmold fährt nach Warschau

  • Die Geschichte der Opfer aus dem Warschauer Ghetto, von denen 32 aus Detmold stammten, dokumentiert eine Ausstellung des Detmolder Stadtarchivs und des Landesarchivs NRW in der Willi-Hoffmann-Straße 2. Wegen des großen Zuspruchs ist sie bis Ende Mai verlängert worden. „Detmold und das Warschauer Ghetto" ist sie überschrieben und soll der besonderen Rolle und Verantwortung gerecht werden, die Detmold mit der Geschichte verbindet.
  • Aus Anlass des Jahrestages fährt heute eine Delegation nach Warschau, organisiert von der Stadt Detmold und der Lippischen Landeskirche. Wie die Ausstellung hat die Stadt auch die Gedenkreise angestoßen. Die Stadtarchivarin Bärbel Sunderbrink hat dafür die wissenschaftliche Grundlage gelegt.
  • Schüler des Lemgoer Marianne-Weber-Gymnasiums sowie des Detmolder Grabbe und des Stadtgymnasiums sowie Bürgermeister Rainer Heller und Landessuperintendent Dietmar Arends nehmen an der Reise teil.

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