Polyneuropathie: Wenn die Füße ständig kribbeln

Detmold. Eines Tages kann Gudrun S. nur noch schreien. Sie ist zum wiederholten Male umgeknickt, dieses Mal hat sie eine zehn Zentimeter hohe Kante übersehen. Der Schmerz reicht vom Fuß bis in die Hüfte, sie wird unter Vollnarkose mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Die Ärzte reagieren mit Unverständnis. Erst später erhält sie die Diagnose: Polyneuropathie. Ihre Nervenenden sind geschädigt.

&bdquo;Die Ärzte im Krankenhaus haben gesagt: ,Das ist doch nur ein Bänderriss. Keiner konnte sich einen Reim drauf machen", erzählt Gudrun S. (Name geändert). Doch sie ließ nicht locker und fuhr von Praxis zu Praxis. Die ständigen Schmerzen in den Füßen, das Kribbeln, das Taubheitsgefühl, die geschwollenen Knöchel – all das konnte nicht normal sein. Ein Neurologe sah sich schließlich ihre Nerven genauer an und stellte fest, dass die Nervenenden nicht mehr richtig mit dem Gehirn verbunden sind. Polyneuropathie. Ein Schock für die Betroffene.

&bdquo;Nach der Diagnose habe ich mich ins Auto gesetzt und geheult. Ich wusste nicht, wie ich nach Hause kommen soll", sagt die heute 52-Jährige, die zu diesem Zeitpunkt schon rund zwei Jahre mit den Symptomen zu tun gehabt hatte. Danach dauerte es noch einmal ein gutes Dreivierteljahr, bis sie realisiert und akzeptiert hatte, dass sie krank ist. Da es für Polyneuropathie keine Heilung gibt, ist sie nun auf Medikamente angewiesen, die aber Nebenwirkungen wie Schwindel und Müdigkeit haben. Dementsprechend meistert Gudrun S. ihren Alltag aus Beruf, Haushalt, Unterstützung für ihre beiden Kinder und Partnerschaft häufig nur mit Mühe. Aber sie will sich nicht hängen lassen.

&bdquo;Es ist wichtig, nicht aufzugeben", betont die 52-Jährige. Man müsse sich Infos holen. Und auch Spaziergänge seien wichtig, selbst wenn es weh tue. &bdquo;Ich trainiere meine Synapsen, damit die verbliebenen Nerven leistungsfähiger werden", erklärt Gudrun S. &bdquo;Das erfordert Selbstdisziplin, man muss über seinen eigenen Schatten springen." Auch &bdquo;Meditationen" wie Autogenes Training oder Bastelstunden, bei denen man dem Alltag einmal entfliehen und Luft holen könne, seien hilfreich.

Was ihr fehlt, sind Gespräche mit anderen Betroffenen in ihrem Alter. Zwar gebe es bereits eine Selbsthilfegruppe für Polyneuropathie in Lippe. Diese bestehe aber hauptsächlich aus Patienten, die bereits in Rente seien und ihren Alltag ganz anders gestalten könnten. Aus diesem Grund möchte Gudrun S. eine weitere Selbsthilfegruppe speziell für jüngere Menschen beziehungsweise Menschen mittleren Alters gründen. &bdquo;Ich möchte gerne wissen, wie andere ihren Alltag bewältigen", sagt die 52-Jährige.

Unterstützt wird sie dabei von der Selbsthilfe-Kontaktstelle Kreis Lippe unter dem Dach des Paritätischen. &bdquo;Menschen mit so folgenschweren chronischen Erkrankungen haben oft eine Scheu, sich mit ihren Beschwerden anderen ,zuzumuten" – bis es dann irgendwann nicht mehr anders geht. Ein Gespräch mit Gleichbetroffenen kann dann besonders entlasten", sagt Mitarbeiterin Karin Marciniak.

Ab und an, so hat es sich Gudrun S. überlegt, könnten künftig auch die Partner dabei sein, damit auch sie ein besseres Bild davon erhielten, was Polyneuropathie bedeute. Und auch gemeinsame Unternehmungen wie Spaziergänge oder Kinobesuche in der Gruppe seien denkbar. Das erste Treffen ist für Sonntag, 28. Oktober, ab 15 Uhr bei der Selbsthilfe-Kontaktstelle in der Bismarckstraße 8 geplant. Wer teilnehmen möchte, soll sich im Vorfeld bei Karin Marciniak anmelden.

Fünf Millionen Erkrankte In Deutschland leiden nach Einschätzung von Experten rund fünf Millionen Menschen an Formen der Polyneuropathie, einer Schädigung der Nervenenden. Zu den Symptomen gehören Brennen, Kribbeln, Kälte- oder Taubheitsgefühl in den Gliedmaßen, das meist in den Zehen oder Fingern beginnt und im Laufe der Jahre in Hände, Füße, Arme und Beine aufsteigt. Der Verlauf der Krankheit ist nicht immer gleich. Während einige Patienten lange bewegungsfähig bleiben, sind andere nach Jahren auf den Rollator angewiesen.

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