Detmold. An der Wand in seinem Restaurant hängen Grußkarten zum 80. Geburtstag. Sie gehören dem Chef, Antonio Ferrara, was man auf dem ersten Blick gar nicht glauben mag. Der Italiener ist noch immer voller Energie und führt das Restaurant „Castagno" am Detmolder Wallgraben. In 58 Jahren vom Gastarbeiter zum namhaften Gastronomen - Antonio Ferraras Geschichte ist eine von vielen der Gastarbeiter, die ab Mitte der Fünfzigerjahre bis weit in die 70er nach Deutschland kamen. Viele von ihnen sind geblieben. Ferrara stammt aus dem 50.000-Einwohner-Ort Campobasso zwischen Rom und Neapel. Sein Vater fiel im Krieg. Darum ging Antonio Ferrara in Italien auf ein staatliches Internat - aus Kostengründen, wie er sagt. Mit Anfang 20 macht er seinen Abschluss als Elektrotechniker und will endlich die große, weite Welt entdecken. Von Italien soll es erst nach Deutschland und dann weiter nach Schweden gehen - von dort will er weiter reisen, über den großen Teich. „Zu dieser Zeit sind viele Italiener nach Deutschland gegangen, um zu arbeiten. Das war die Gelegenheit, dachte ich mir, und bin auf diesen Zug aufgesprungen", erinnert sich Ferrara. Von seiner Familie war er der Einzige, der den Schritt wagte. Am 11. Juni 1961 kam er - ausgerechnet - in Vlotho an. Die große Welt war es dann auch hier nicht. „Dass ich alleine war, das hat mir nie etwas ausgemacht. Ich wusste ja, wo meine Familie ist, und konnte immer zurückkehren", sagt er. Das macht er auch heute noch. Einmal im Jahr geht es zurück in seine Heimat. Jeden Tag 20 deutsche Wörter Seine erste Anstellung findet er beim Maschinenbauer Kannegiesser in Vlotho, lernt viele neue Menschen kennen. Die Sprache bringt er sich selbst bei. "Stück für Stück. Jeden Tag habe ich versucht, mir 20 Wörter zu merken. Am nächsten Tag waren vielleicht noch 10 im Gedächtnis - aber immerhin", erzählt Antonio Ferrara stolz. Er bleibt ein halbes Jahr in Vlotho. "Ich werde nie vergessen, wie der Kantinenkoch uns einmal Spaghetti gekocht hat und mir und weiteren italienischen Kollegen mit Ketchup serviert hat." Ferrara lacht laut auf. "Wir haben das Essen nicht angerührt. Welcher Italiener isst denn sowas?" Er findet zwar schnell Anschluss in Deutschland, dennoch entschließt er sich, wieder nach Italien zurückzukehren. „Ich war ja noch jung und habe mich einfach in der Welt etwas orientiert", sagt er. Antonio Ferrara bleibt nur einige Monate in Italien. Danach zieht es ihn zurück nach Deutschland. 1963 entscheidet sich schließlich seine Zukunft. "Ein Bekannter von mir erzählte mir von der Tochter seines Vermieters in Bielefeld. Er schwärmte von ihrer Schönheit." Sie sahen sich mal hier und mal da. Am Ende schaffte es aber nur Antonio Ferrara ins Herz der Bielefelderin. Noch im selben Jahr heirateten die beiden. "Probleme deswegen hat es nie gegeben", erzählt Ferrara. Natürlich habe er auch mitbekommen, dass die Gastarbeiter nicht überall gern gesehen waren. "Ich war ja ein Exot mit meinen schwarzen Haaren und den dunklen Augen. Ich fiel auf." Das Paar heiratete und bekam drei gemeinsame Kinder. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war der Gedanke, nach Italien zurückzukehren oder in der Welt weiterzuziehen, ad acta gelegt. 1964 kam Ferrara dann nach Detmold, wo er unter anderem als Telefontechniker im Krankenhaus arbeitete. Seinen hohen Bekanntheitsgrad hat er ab etwa 1980 als Betreiber von italienischen Restaurants sowie dem "Café Europa" am Marktplatz erlangt. "Ihre Kinder gehören auf die Hauptschule" Nur seinen zwei erwachsenen Kindern habe man damals in der Schullaufbahn Steine in den Weg legen wollen. "Ein Lehrer sagte, sie hätten nur Hauptschulniveau", erzählt Ferrara. "Ich habe ihnen dann gesagt, sie sollten erst einmal oben anfangen. Nach unten wechseln kann man immer noch." Er sollte Recht behalten, heute leitet Sohn Claudio als Diplom-Physiker die Abteilung "Gebrauchsdaueranalyse und Umweltsimulation" und das Labor "TestLab PV-Module" am Fraunhofer ISE in Freiburg, Tochter Patrizia ist Rechtsanwältin. Heimweh hat Antonio Ferrara aber nie gehabt. Seine Familie, das sind seine Frau, seine Kinder und mittlerweile drei Enkelkinder, denn „ohne Kinder macht das Leben keinen Sinn", stellt er fest. Sie waren es auch, die ihn über viele Jahre in seinen Gastronomie-Betrieben unterstützt haben. "Ich komme ja gar nicht aus der Gastronomie. Damals hat ein Freund mich dazu überredet, in die Gastronomie zu investieren. Das war die richtige Entscheidung", sagt er heute. Sein Werdegang zeigt aber vor allem eins: Antonio Ferrara ist ein Freigeist, der gerne experimentiert. Nur seinem Wohnort Detmold und seiner Familie blieb er treu. Jetzt ist er jeden Tag in seinem Restaurant „Castagno" zu sehen, das er im vergangenen Herbst in den Räumen des ehemaligen "ChaLu" eröffnet hat. Antonio Ferrara ist so fit wie eh und je und steht jeden Tag in seinem Laden. Natürlich hat er Mitarbeiter für die Küche und den Service eingestellt, doch den Überblick behält er ganz alleine. Eine stets positive Einstellung zum Leben hat ihm zu diesem Zustand im hohen Alter verholfen, meint er. Ihm wäre auch ziemlich langweilig, könnte er nicht jeden Tag in seinem Restaurant sein und sich um so viele Dinge kümmern. Top 10 der Staatsangehörigkeiten im Kreis Lippe Laut offiziellen Zahlen sind 14 Millionen Italiener - darunter Mehrfachzählungen - im Zeitraum von 1955 bis 1973 immer wieder zwischen Italien und Deutschland gependelt. Etwa 600.000 Italiener leben heute in Deutschland - nach den Türken und Polen die drittgrößte ausländische Gruppe, bezogen auf die Gastarbeiter-Generation. So steht es in dem Buch über italienische Gastarbeiter in Deutschland von Dr. Benedetta Mannino. Im Kreis Lippe haben laut Zahlen aus dem Jahr 2018 noch 5061 Menschen die türkische Staatsangehörigkeit, 4386 die syrische, 2155 die polnische. Danach folgen 1502 Bulgaren und 1478 Rumänen. Gefolgt von Irak (1313) und Russland (1016). Italien landet mit 871 Menschen mit italienischer Staatsangehörigkeit auf Platz 8. Gefolgt von Griechenland (744) und Großbritannien (708) Übrigens haben 320445 Menschen im Kreis Lippe die deutsche Staatsangehörigkeit.