Detmold. Maler Roland Sprenger wühlt eifrig in einer blauen Kiste. Im Handwerkerturm mit Blick in den Hof des Residenzschlosses, wo die Kanonen stehen, befindet sich sein Reich: Die Werkstatt. Hier trocknen seine Pinsel, hier lagern seine Schrauben. Im Regal steht Knochenleim. Hinter einer Tür stapeln sich die Farbeimer. Kreideemulsion. „Sehr ergiebig", sagt Sprenger. „Nicht so wie das chemische Zeug."
Der Maler arbeitet autark. Tag für Tag wandert er mit offenen Augen durch die Gänge des historischen Gebäudes. Auf der Suche nach Makeln, Rissen, Läsuren. Wenn ihm etwas auffällt, kommt es auf die Liste. Seine Arbeit gefällt ihm. Was gibt es Schöneres, als in einem Schloss arbeiten zu dürfen? Der Weg dahin war alles andere als vorprogrammiert. Sprenger bemalte eines Tages Requisiten für ein Fotostudio, als er das Angebot bekam, als Maler am Detmolder Residenzschloss anzuheuern – auf Empfehlung eines Bekannten. Das war vor 17 Jahren. Mittlerweile kennt der 61-Jährige dort fast jeden Winkel.

Bevor er zu einem seiner Kontrollrundgänge aufbricht, zurrt Sprenger noch seine altweiße Schirmmütze zurecht. Dann macht er auf dem Absatz kehrt und tritt über die Schwelle. Los geht es in der Kunstküche. Wenn Künstler im Schloss ihre schönsten Werke präsentieren, findet hier der Umtrunk statt. Joseph Beuys, Walter Stöhrer, Georgia Russell – bunte Plakate an den Wänden bezeugen, wer hier alles schon die Gläser klirren lassen hat. Sprenger ist in gewisser Weise auch ein Künstler. Das Detmolder Schloss ist sein Gemälde. Er bessert aus, spachtelt, verziert. Und das seit 17 Jahren. Für ihn als Maler gibt es hier immer irgendwas zu tun.
Gut eine Handvoll Baumeister ließen das Vierflügelschloss zu dem Denkmal werden, was es heute ist. Seit dem 13. Jahrhundert residieren hier die Edelherren zur Lippe. Im Jahr 2016 ist Stephan Prinz zur Lippe als Schlossherr in den Prachtbau eingezogen. Seitdem wohnt er dort mit Frau Maria Prinzessin zur Lippe und seiner Familie. Auch seine Mutter, Prinzessin Traute, lebt im Schloss. Zwei Köche, fünf Putzfrauen und ein Gärtner kümmern sich tagtäglich um den Haushalt. Hausmeister gibt es im Schloss nicht, aber Schlossmeister. Zwei an der Zahl schauen auf dem Anwesen regelmäßig nach dem Rechten. Und dann wäre da natürlich noch der Maler.
Roland Sprenger macht Platz für eine Putzfrau, die sich mit einem deckenhohen Staubwedel an ihm vorbei in „die Kunst" schiebt, dem neben der Kunstküche liegenden Gewölbe. Dort steigen regelmäßig besagte Vernissagen. In ein paar Tagen findet hier eine Hochzeitsfeier statt. Ein Brautpaar in spe hat den Raum angemietet. Bis dahin muss alles picobello sein. Sprenger kneift die Augen zusammen und richtet den Blick auf ein Stück abgeplatzten Putz in der sonst schneeweißen Zimmerdecke. „Alle paar Jahre müssen wir hier streichen", stellt er fest. Die linke Hand hat er tief in einer Tasche seiner weißen Arbeitshose vergraben. Dann tritt er nach draußen in den Schlosshof und eilt mit stetem Schritt in Richtung Tür. Das Klimpern seines Schlüsselbunds verkündet sein Kommen.
„Prinzessin Maria legt viel Wert auf glatte Wände", verrät Sprenger im Jagdzimmer, während er mit der rechten Hand die dunkelgrüne Wand entlang deutet. Das Jagdzimmer sei sein Lieblingszimmer. Er habe es selbst umgestaltet. Vor einer Woche ist alles fertig geworden. Tapeten runter, Wandfarbe drauf. Schultafellackgrün ist es geworden. Dazu eine neue Vitrine aus den Niederlanden, für die Gewehre. „Ihn haben wir gestern aufgehängt", sagt Sprenger und nickt hinüber zu einem Porträt von Prinz Bernhard der Niederlande, einem Großcousin des Schlossherren. Im kleinen Königssaal nebenan schaut der Maler prüfend an die Decke. Er will nachsehen, ob beim Stuck alles in Ordnung ist.
Der 50. Geburtstag von Stephan Prinz zur Lippe wurde im kleinen und großen Königssaal gefeiert. Désirée Nick war da, und Hannes Wader. Hin und wieder steht Sprenger draußen am Eingangstor, um bei Partys die Gäste einzulassen. Vorher hilft er dabei, Tische und Stühle zu drapieren. Vor dem Einzug von Prinz Stephan gab es im Schloss Lagerräume nur für die Tische, Bänke und Stühle. Vieles wurde ausgelagert. Auf der Empore im Ahnensaal warten immer noch ein paar Stühle auf ihren Einsatz. Für den Fall, dass es mal wieder ein Konzert gibt, oder eine Lesung.
Die Vorfahren blicken skeptisch aus ihren goldenen Rahmen, während Sprenger im Ahnensaal seine Runde macht. „Hier müsste ich auch mal wieder ran", raunt er und klopft mit der Fingerspitze an ein Fensterglas, das einen Blick auf den Hinterhof offenbart. Für den Laien gibt es an dem Fenster nichts zu beanstanden. Aber der Maler besitzt ein geschultes Auge: Er hat an der Unterkante des Rahmens etwas erkannt, das repariert werden muss. Das Fenster kommt auf die Liste. Irgendwann in den kommenden Tagen nimmt er es sich vor.
Die Aufbereitung von Fenster- und Türrahmen gehört zu seinem täglich Brot. 456 Fenster und Außentüren besitzt das Residenzschloss insgesamt. Im Vorbeigehen fällt das vielen gar nicht auf. Ein Großteil von Sprengers Arbeit dreht sich um das Hübsch-Machen der Fenster und Türen. Auch bei den Dachluken, hoch oben in den vier Türmen, schaut er regelmäßig nach. Oben vom Burgfried aus, dort wo auch das alte Uhrwerk der Turmuhr steht, gibt es den besten Blick über Detmold. Auch Stühle leimt er und Bilderrahmen bessert er aus.
Je näher Sprenger den Privatgemächern der Familie kommt, desto behutsamer öffnet er die Türen. Vorsichtig legt er eine Hand auf die Klinke, zieht die nächste auf und lugt durch den offenen Spalt. Ähnlich wie ein Kind beim Versteckspiel, nur dass es sich eigentlich um einen Kontrollrundgang handelt. Langweilig wird es hier nie.