Munition am Hermannsdenkmal: Dieses explosive Erbe lagert bis heute in Lippes Erdreich

Bei den Bauarbeiten für die Erlebniswelt am Hermannsdenkmal sind in dieser Woche Munitionsreste entdeckt worden . Kampfmittel-Entschärfer rückten an, um sich den Fund genauer anzusehen. Aber wie arbeiten diese Experten eigentlich? Und warum tauchen solche Überreste immer mal wieder im Erdreich auf? Das haben wir in unserer Reihe "Unter Lippe" erklärt. Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir den Artikel aus dem Jahr 2022 erneut.

Detmold. &bdquo;Eine Granate im Garten" titelte die LZ im Mai 2006, nachdem es bei Pflanzarbeiten auf einem Privatgrundstück in Hiddesen einen explosiven Fund gegeben hatte. Keine Seltenheit, denn auch 76 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg lagern im Kreisgebiet und im Rest des Landes immer noch Überbleibsel von Kampfmitteln im Boden. Dann rücken Fachleute an; und in manchen Fällen wird auch schon einmal gesprengt.

&bdquo;Bei Zufallsfunden auf Baustellen oder beim Pilze-Sammeln muss man sofort tätig werden. Im Sinne der Gefahrenabwehr", erklärt Karl-Friedrich Schröder, Technischer Einsatzleiter beim Kampfmittelbeseitigungsdienst Westfalen-Lippe, der bei der Bezirksregierung Arnsberg angedockt ist. Dazu sind von der 20-köpfigen Mannschaft aus Sprengmeistern, anderen Fachkundigen und Munitionsräumarbeitern immer zwei Zweier-Teams in Bereitschaft. 365 Tage im Jahr.

Wird irgendwo in Westfalen-Lippe etwas entdeckt, fahren sie raus und nehmen den Fund in Augenschein. Und das kommt sehr regelmäßig vor. Der Grund: Rund 48 Prozent der Luftangriffe gegen Deutschland haben sich auf NRW als das industrielle Herz des ehemaligen Deutschen Reiches konzentriert. Die Großstädte am Rhein und im Ruhrgebiet, aber auch andere größere Städte wie Hagen oder Bielefeld waren Ziele von Bombardierungen.

300.000 Luftbilder werden analysiert

Daneben gibt es auch Auftragsarbeiten, die an die Abteilung Luftbildauswertung gehen. Stehen auf Grundstücken größere Bauarbeiten oder Veränderungen an, lässt die zuständige Ordnungsbehörde vorher überprüfen, ob sich Bomben, Granaten, Zünder, Minen oder ähnliches im Boden befinden. So war es, als der Umbau des Bahndamms in Detmold zur &bdquo;P+R"-Anlage begann, oder auch als die früheren Soldatenwohnungen an der Adenauerstraße 2015 in eine zentrale Flüchtlingsunterkunft umgewandelt wurden , um nur zwei Beispiele zu nennen. Für die Analyse hat das Land Nordrhein-Westfalen 300.000 Luftbilder zur Verfügung, die zur Vorbereitung und Kontrolle der Luftangriff dienten und nach dem Zweiten Weltkrieg in britischen und amerikanischen Archiven aufbewahrt wurden. &bdquo;Alles, was wichtig war, haben die Alliierten dokumentiert", erklärt der Technische Einsatzleiter. Gezielte Abwürfe, aber auch Notabwürfe.

Ist in einem Bereich eine große Anzahl an &bdquo;Trichtern" zu erkennen, handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um ein Abwurfgebiet. Bei Kampfhandlungen entstehen ebenfalls kleine Löcher. Hier könnten Blindgänger im Boden lauern. &bdquo;Die Luftbildauswertung gibt dann eine Empfehlung ab", sagt Karl-Friedrich Schröder. Besteht der Verdacht, dass sich noch Kampfmittelreste im Boden befinden, oder kann aufgrund eines Schattenwurfs auf dem Bild keine eindeutige Aussage getroffen werden, wird das Gebiet bei einem Ortstermin abgesucht.

Entschärfen möglichst aus der Ferne

Die Fachleute laufen dann mit Sonden über bestimmte Punkte und bohren bei Bedarf alle paar Meter ins Erdreich, um weitere Messungen durchzuführen. Bis in eine Tiefe von acht Metern geht es runter, denn so tief können Bomben liegen. &bdquo;Gemessen wird die Störung des Erdmagnetfeldes durch Metall", erklärt der Technische Einsatzleiter. Die Fachleute der Detektionsabteilung werten die Signale aus und schlagen Alarm, sollte sich tatsächlich etwas im Boden befinden. Dann beginnt das vorsichtige Graben und Entschärfen, was nach Möglichkeit aus der Ferne geschieht. &bdquo;Wir trainieren regelmäßig mit den Geräten. Da muss man schon wissen, was man macht." Die Gefahr blende das Team irgendwann aus, dennoch dürfe man nicht abstumpfen und müsse stets konzentriert sein.

Wie viele Reste aus dem Zweiten Weltkrieg ganz genau unter Lippe lagern, ist nicht bekannt, da die Luftbilder nur auf Anfrage ausgewertet werden. &bdquo;Hauptsächlich sind es Kleinkampfmittel. In Westfalen-Lippe hat es wenig Bodenkrieg gegeben", sagt Karl-Friedrich Schröder. Die Schwerpunkte dessen befanden sich eher in Hagen, Bochum oder Bielefeld. Ab und zu werde aber Kleinmunition gefunden, die im Erdreich vor sich hin altert und chemischen Prozessen ausgesetzt ist. &bdquo;Am Ende ist die Frage: mitnehmen oder vor Ort vernichten und sprengen?", erläutert der Technische Einsatzleiter. In 80 Prozent der Fälle könne das Material mitgenommen und in den Munitionszerlegebetrieb gebracht werden, in 20 Prozent der Fälle werde gesprengt.

Bei dem Granaten-Fund im Jahr 2006 in Hiddesen war dies nicht nötig. Der Kampfmittelräumdienst nahm das Stück, das aussah wie ein verrostetes Rohr, in einer Kiste voller Sand mit. Geblieben ist der Kugel-Trompetenbaum, der damals auf dem Grundstück gepflanzt worden war und bis heute immer noch wächst und gedeiht.

So verhalten sich Finder richtig

Wer in der Natur, im Garten oder auf einer Baustelle etwas findet, das wie Munition aussieht, sollte besondere Vorsicht walten lassen. Zur eigenen Sicherheit rät die Bezirksregierung Arnsberg dazu, folgende Verhaltensregeln zu beachten:

Kampfmittel nicht berühren oder, wenn bereits passiert, vorsichtig ablegen und am Fundort belassen. Das Berühren oder gar das Untersuchen verdächtiger Gegenstände kann lebensgefährliche Folgen haben. Besonders gefährdet sind Kinder, Sammler von Militaria, Land- und Forstwirte, Bauarbeiter aus dem Tiefbau und Mitarbeiter von Schrottrecyclingfirmen. Wurde das Kampfmittel durch eine Baumaschine erfasst oder auf ein Fahrzeug verladen, in dieser Lage belassen. Maschine abstellen. Erschütterungen vermeiden, Arbeiten einstellen. Fundort markieren und räumen. Unbefugte fernhalten. Die Ordnungsbehörden, die Feuerwehr oder die Polizei müssen umgehend informiert werden. Statistik

In NRW sind im Jahr 2020 insgesamt 19.063 Kampfmittel geräumt worden. Darunter befanden sich laut der Statistik des Innenministeriums 14.682 Granaten, 1954 Bomben aller Art, 1773 Sprengmittel, 615 Handgranaten und 39 Minen. 426 davon konnten nicht transportiert werden und wurden gesprengt.

Was die Untersuchung von Baustellen angeht, ist der Kampfmittelbeseitigungsdienst 31.816 Mal hinzugezogen worden, teilweise nur die Luftbildauswertung, teilweise auch der Räumdienst. 3029 dieser Anträge kamen aus dem Regierungsbezirk Detmold. 389 Mal kam es zu Einsätzen vor Ort, bei 78 davon wurde etwas gefunden. Dazu kamen 121 Zufallsfunde.

LZ-Reihe "Unter Lippe"

In der Reihe &bdquo;Unter Lippe" widmen wir uns Orten, die sich im Untergrund unter dem Kreisgebiet befinden und zu denen es eine Geschichte zu erzählen gibt. Das können besondere Keller, Tunnel, Bunker, Höhlen oder Gruften sein. Aber auch besondere Bodenstrukturen, unterirdische Naturschauplätze oder anderes mehr. Dabei kommt es nicht auf das Alter an. Auch moderne, unterirdische Räume können eine spannende Funktion erfüllen, über die es sich lohnt zu berichten. Falls Sie Anregungen für die neue Reihe haben oder einen besonderen Ort kennen, der passen könnte, melden Sie sich gerne per E-Mail an redaktion@lz.de.

Zu allen bisher erschienen Artikeln geht es hier.

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