Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Theaterstück über deutschtürkische Familiengeschichte trifft in Detmold ins Schwarze

Rudi Rudolph

  • 0
Starkes Ensemble: Stella Hanheide, Hartmut Jonas, Manuela Stüßer (von links). - © Landestheater Detmold/Jochen Quast
Starkes Ensemble: Stella Hanheide, Hartmut Jonas, Manuela Stüßer (von links). (© Landestheater Detmold/Jochen Quast)

Detmold. Das Schauspiel „Mutter Vater Land“ von Akın Emanuel Şipal entwickelte sich am Samstagabend im Grabbe-Haus zu einem rasanten Ritt durch seine eigene Familiengeschichte. Da ist sein Alter Ego auf der Reise durch die familiären Wurzeln mit allen Konflikten zwischen Familie und Herkunft, Zugehörigkeit und Identität, zwischen verschiedenen kulturellen Prägungen sowie dem Spannungsfeld zwischen Herkunftsland und Lebensrealität. Furios auf die Bühne gezaubert von fünf bestens aufgelegten Schauspielerinnen und Schauspielern.

Die interpretierten fast allesamt zwei oder sogar drei Charaktere – außer dem Alter Ego von Akın Emanuel Şipal, das mit Adrian Thomser ausschließlich in dieser Rolle die Klammer in dem willkürlich über verschiedene Jahre und mit individuellen Zeitsprüngen dargestellten Familiengeschehens übernimmt. Das Stück lebt von seinen Zeitsprüngen und seinen überraschenden Wendungen, denn das Alter Ego erzählt die deutsch-türkische Geschichte nicht chronologisch, sondern eher kaleidoskopartig und springt durch die Familiengeschichte.

Zeitsprünge durch die Familiengeschichte

2005: Frage an seinen Vater (Hartmut Jonas) „Papa, würdest du für Deutschland sterben?“ Dann ins Jahr 1957: Opa (Patrick Hellenbrand) promoviert an der Uni Münster, doch die schlesische Oma (Manuela Stüßer) wütet: „Künstler - Parasit. Heute Künstler, morgen Stricher“. Opa arbeitet als Übersetzer von Literatur in Istanbul, Oma kommt 1973 nach Deutschland und landet in Gelsenkirchen. „Es ist dreckig hier,“ in der Erinnerung bleibt Istanbul einfach schöner. 2003: Der Vater gerät mit dem Alter Ego aneinander. „Du darfst nicht beide Pässe haben, man hat nur eine Heimat.“ Die Replik „Ich bin hier geboren“ fruchtet nicht. 2010: Das Alter Ego sitzt in der Bibliothek der Kunsthochschule und Istanbul ist europäische Kulturhauptstadt.

Akın Emanuel Şipal, 1991 in Essen geboren, studierte Film an der Hochschule für bildende Künste in Essen und wurde Preisträger des Publikumspreises der Mühlheimer Theatertage für sein Stück „Mutter Vater Land“. Der Wunsch „ich möchte in einem Deutschland leben, wo ich nicht erklären muss, wo ich herkomme“ zeigt den Konflikt innerhalb der Familie auf, denn 1984 wollen die Eltern zurück nach Istanbul, in Deutschland stehen die Tochter (Stella Hanheide) vor dem Abitur, der Sohn vor dem Staatsexamen.

„Ein Türke ist ein Türke“

Es bricht auch das Migrationstrauma durch, denn Oma wird das Fahrrad geklaut. Ihre lakonische Feststellung: „Das waren Türken. Ich weiß, wie Türken aussehen. Eine Giraffe ist eine Giraffe, ein Türke ist ein Türke.“ Die Wahrnehmungen sind da sehr unterschiedlich. 2006 beklagt Opa, dass Orhan Pamuk den Literatur-Nobelpreis bekommen hat, „er hatte eben gute Übersetzer“ und hält sich selbst für einen größeren Schriftsteller. Schließlich rechtfertigt sich die Familie vor dem Publikum, es sei ja alles erfunden – nein, es ist erinnert. Und ja, die Wahrnehmungen sind eben sehr unterschiedlich. Die Einladung, sich auf Sehnsüchte, Hoffnungen, Widersprüche und Ängste einzulassen, traf mit dem grandiosen Ensemble voll ins Schwarze.

Copyright © Lippische Landes-Zeitung 2025
Inhalte von lz.de sind urheberrechtlich geschützt.
Weiterverwendung nur mit Genehmigung der Chefredaktion.