Kreis Lippe. Mit einem fragenden Blick kramt die Kollegin aus der anderen Abteilung die nagelneuen lachsfarbenen Stiefeletten aus der Verpackung. Befreit vom Plastik, reicht sie einen der beiden Schuhe an Beatrix Matern weiter. Ob der wirklich aus echtem Leder ist? Die Laborantin aus dem Fachgebiet „Bedarfsgegenstände“ des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamtes Ostwestfalen-Lippe in Detmold präsentiert das Ergebnis schnell: Nein, ist er nicht. Die Skepsis war also berechtigt. Die Stiefelette besteht aus Kunstleder, die Werte der Infrarot-Spektroskopie sind eindeutig. Der „molekulare Fingerabdruck“ beweist es. „Ich hatte das schon geahnt“, sagt die geleimte Schuhbesitzerin, „die rochen anders. Aber zurückschicken kann ich die Stiefeletten auch nicht mehr, der Shop antwortet nicht. Das Geld bin ich los.“ Die Frage nach der Lederqualität ist nur eine von vielen Hundert, die das CVUA beantworten kann. Als amtliche Untersuchungseinrichtung im Bereich des gesundheitlichen Verbraucher-, Tier- und Umweltschutzes nehmen rund 160 Beschäftigte Lebensmittel, Bedarfsgegenstände und Tabakerzeugnisse sowie Proben rund um Tiergesundheit und Tierseuchenbekämpfung unter die Lupe, lösen sie chemisch auf, bearbeiten sie mechanisch, mit Röntgenstrahlen und vielen weiteren, teils hochkomplexen Methoden. Haarbürsten und Schmuck unter der Lupe Für Schuhe und Bedarfsgegenstände aus Keramik, Emaille, Holz und Kunststoff ist das Amt dann NRW-weit zuständig, wenn diese mit Lebensmitteln oder direkt mit der Haut in Kontakt kommen, erklärt Dezernentin Patrizia Bauer den Kolleginnen und dem Kollegen aus dem eigenen Haus, die sich heute anlässlich eines internen „Tages der offenen Tür“ über die Arbeit des Dezernates informieren. Untersucht werden im Fachgebiet „Bedarfsgegenstände“ Bekleidung, Schmuck, Haarbürsten, Karnevalskostüme, Fahrradgriffe, Yogamatten oder Stricknadeln. Dinge des täglichen Bedarfs eben. Sie landen in den Laboren des CVUA, wenn sie den Lebensmittelkontrolleuren der Kreisverwaltungen und der kreisfreien Städte bei Routinekontrollen oder nach Hinweisen in den Läden mit erfahrenem Kennerblick aufgefallen sind – oder wenn Bürger Bedenken angemeldet oder fragliche Gegenstände beim Kreis abgegeben haben. Direkt kann sich niemand beim CVUA melden, das geht mit den Stiefeletten unter Kollegen heute nur ausnahmsweise. Zuweilen müssen die Proben in ihre Einzelteile zerlegt werden, Schuhe eben in Innen- und Außensohle, Schnalle, Reißverschluss, Schnürsenkel. Dann wird gecheckt, ob etwa Schwermetalle enthalten sind, Blei oder Cadmium – mit Scheren, Glasschneider, Hammer und Meißel. „Wir kriegen jede Probe klein“, verspricht Patrizia Bauer, „zur Not holen wir den Hausmeister.“ Für die Kollegen ist heute vieles neu – obgleich sie unter einem Dach arbeiten –, beschäftigen sie sich sonst doch etwa mit Tierkrankheiten oder der Qualität von Honig und Süßwaren. Die Wissenschaftler dokumentieren alles bis ins kleinste Detail, fotografieren die Gegenstände von allen Seiten, die Verpackungen und Anleitungen. Dann wird geklärt: Ist die angegebene stoffliche Zusammensetzung korrekt? Können Stoffe aus den Produkten auf die Haut übergehen und womöglich krank machen? Jeder Verbraucherbeschwerde wird nachgegangen, längst nicht alle sind berechtigt. Liegen die Ergebnisse vor, schreibt das CVUA einen Bericht an die zuständigen Ämter. Ob es Konsequenzen gibt, die Gegenstände – möglicherweise nach Gerichtsverfahren – gar verboten werden, erfahren sie beim CVUA selten. Macht der Schmuck krank? „Es gibt eben kein Irreführungsverbot“, sagt Joshua Kröger ein Labor weiter zu den falschen Deklarierungen. Er analysiert Gegenstände aus Metall wie Werkzeug oder Schmuck. Die Möglichkeit, rechtlich einzugreifen, hat das CVUA nicht. Unlauteren Wettbewerb wegen falscher Deklarierung müssen Unternehmen gegebenenfalls zivilrechtlich klären. Kröger hat eine Uhr in ihre Einzelteile zerlegt und reicht sie herum. Stets geht darum, ob die verbotenen Schwermetalle Blei und Cadmium enthalten sind, um mögliche Gesundheitsgefahren beim Tragen von Schmuck. Ein Viertel der Bevölkerung reagiere sensibel auf Nickel, das zeige sich oft an Rötungen, Jucken und Ausschlägen am Ohr (Ohrring) oder Unterarm (Uhr). Also muss ausgeschlossen werden, dass Schmuck durch Körperkontakt (Wärme, Schweiß) Nickel freisetzt. Das geschieht unter anderem dadurch, den Schmuck auf chemischem Wege in künstlicher Schweißlösung bei kontrollierter Temperatur zu lagern, um dann die Freisetzung von Elementen messen zu können. Haben sie eben kontrolliert, ob die angegebene Stoff-Zusammensetzung stimmt, suchen sie im nächsten Labor mit aufwendigen chemischen Analyseverfahren gezielt nach verbotenen Substanzen, beispielsweise nach verbotenen Weichmachern: in Gartenschuhen, Kunststoffverschlüssen von Ohrringen, Gummihandschuhen. Ein weites Feld, stammen doch immer mehr Waren aus Fernost, werden möglichst billig oft aus Recyclingmaterial hergestellt und bequem von Handy aus nach Deutschland bestellt. Diese Waren seien nicht automatisch von minderer Qualität, sagt eine Labormitarbeiterin, aber viele eben doch. Und: „Jede Probe ist anders.“ Spezialisten für alles rund um den Tabak Manchmal sind PAK (Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) oder Acetophenon in Schuhen (etwa Gartenclogs) zu riechen. Wichtig ist auch, ob die die Höchstmengen gezielt eingesetzter Flammschutzmittel eingehalten werden. Manches kann auf Niere, Leber und Gehirn toxisch wirken, wenn es verschluckt wird, und Gesundheitsschäden und möglicherweise Krebs verursachen. Zur Routine des CVUA gehört auch, anderen Laboren Vergleichsproben zu schicken. Beweise müssen eben sattel- und gegebenenfalls gerichtsfest sein. Ein Labor weiter arbeitet Julia Niemeyer, seit Jahren Expertin für Tabak und alles drumherum. Hier sind die Detmolder NRW-weit die Spezialisten und arbeiten eng mit dem Zoll und den Ordnungsbehörden zusammen. Klar, scherzt Niemeyer, „auf den Verpackungen steht ja schon drauf, dass Rauchen tödlich ist, Krebs verursacht und so weiter. Aber schockieren die Schockbilder noch?“ Jeder vierte Deutsche raucht, und Tabak ist in keinem Fall und in keiner Konsumart gut. Aber das CVUA will dafür sorgen, dass wenigstens Regelungen zu Inhaltsstoffen, Zusatzstoffen und Verpackungsmaterialien bei Tabakerzeugnissen eingehalten werden, damit das Gefahrenpotenzial nicht noch weiter steigt. Julia Niemeyer reicht Körbe mit Rohtabak herum, große Blätter darin. Sie zeigt auch Schnupf- und Kautabak, Snus (nur in Schweden erlaubt) und natürlich E-Zigaretten und Tabakerhitzer, an deren Zulassung das CVUA beteiligt ist. Die Liquids für E-Zigaretten gibt es in allen Geschmacksvariationen mit und ohne Nikotin von Hühnchen über Zwiebel/Knoblauch bis Pfefferminz. Aufgabe des Detmolder Labors ist es beispielsweise zu testen, ob verbotene Cannabinoide enthalten sind (schließlich sind E-Zigaretten rund um die Uhr an Automaten erhältlich). „Der Schwarzmarkt ist ein Riesenproblem. Für E-Zigaretten und Nachfüllbehälter gibt es Vorschriften, für die Herstellung von E-Liquids dürfen nur Inhaltsstoffe mit hoher Reinheit verwendet werden. Aber für Verbraucher ist die Qualität der Liquids oft überhaupt nicht ersichtlich.“ Auch Verdampfer und Batterie werden kontrolliert. Sie sind hochexplosiv und müssen deswegen unbedingt in den Elektromüll, erklärt die Fachfrau. Tag der offenen Tür Seit 100 Jahren ist das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Ostwestfalen-Lippe in den Bereichen Verbraucherschutz, Tiergesundheit, Lebensmittelsicherheit und vielem mehr tätig. Am Freitag, 12. September, öffnet es von 9 bis 17 Uhr seine Pforten und lädt zum Tag der offenen Tür ein. „Es erwarten Sie zahlreiche spannende und sehenswerte Einblicke in unsere tägliche Arbeit“, verspricht es. Die LZ wird die Arbeit mit einigen Berichten vorstellen.