Leistungsdruck, Vergleiche, Erwartungen: So besteht ein Ballettänzer in Detmold

Detmold. Das Detmolder Ballettensemble besteht aus sieben Tänzerinnen und sieben Tänzern. In der Spielzeit 2025/26 tanzt Levin Mischel (25) in gleich mehreren Produktionen am Landestheater Detmold – von der spritzigen Operette bis zum poetischen Ballett. Trotz harter Proben und abendlicher Vorstellungen nimmt sich der frisch gekürte Gewinner des Detmolder Theaterpreises 2025 Zeit für ein Gespräch mit der LZ. Es geht um Disziplin, Leidenschaft und das Leben hinter den Kulissen. Sein Vater kommt aus Singen, daher spricht er perfekt Hochdeutsch. Wenn er will, beeindruckt der geborene Schweitzer auch im originalen Schweizerdeutsch.

Herr Mischel, Sie sind festes Ensemblemitglied in Detmold – was hat Sie hergeführt?

Levin Mischel: Ich bin seit zwei Jahren festes Ensemblemitglied. Nach Detmold hat mich eher der Zufall geführt. Mein Praktikum im Theater Chemnitz lief gerade aus, als Detmold Tänzer für &bdquo;Romeo und Julia“ suchte. Ich habe vorgetanzt und wurde im März 2023 mit einem Gastvertrag eingestellt und später fest übernommen. Die Vielfalt am Haus hat mich sofort begeistert. Hier darf ich sowohl klassische Rollen tanzen, wie in Don Quichotte, als auch moderne Choreografien oder genreübergreifende Produktionen wie &bdquo;Das Glück ist eine Orange“. Diese Mischung ist künstlerisch sehr reizvoll – und das Publikum in Detmold ist wirklich aufmerksam und offen für Neues.

Sie haben kürzlich den Detmolder Theaterpreis erhalten. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Levin Mischel: Ich war ziemlich überrascht und glücklich. Eigentlich lege ich keinen großen Wert auf Auszeichnungen, doch das ist eine große Ehre. Ich versuche stets, meine Kunst so gut wie möglich zu präsentieren. Der Preis war für mich eine Anerkennung, dass mir die tägliche Arbeit gelingt. Wir Tänzer geben körperlich wie mental sehr viel. Da ist so eine Wertschätzung wirklich etwas Besonderes.

Ballett gilt als extrem fordernd. Wie sieht Ihr Alltag aus?

Levin Mischel: Normalerweise beginnt der Tag um 10 Uhr mit dem täglichen Training – das ist Pflicht und Grundlage für alles. Danach folgen Proben bis 14 Uhr. Nachmittags haben wir frei. Um 18 Uhr wiederholt sich alles bis 21.30 Uhr. Das ist herausfordernd, weil es bis in den Abend geht. An Vorstellungstagen geht es dann natürlich direkt weiter: Maske, Warm-up, Aufführung. Ein freier Tag ist da fast Luxus. (lacht)

Wie halten Sie sich fit neben dem Tanztraining?

Levin Mischel: Ich versuche, eine regelmäßige Work-out-Routine aufrechtzuhalten. Nicht als Krafttraining im Fitnessstudio aber für die Kernstabilität und Balance mache ich eigene Übungen zuhause. Dreimal in der Woche nutze ich das Ballettstudio für eigene Improvisationen. Ballett beansprucht den ganzen Körper, aber wir müssen zusätzlich an der Belastbarkeit arbeiten – die Knie, der Rücken, die Fußgelenke, alles muss stabil sein. Außerdem schwimmen viele Tänzer oder machen Yoga zur Regeneration. Saunagänge sind auch gut.

Und wie sieht es mit der Ernährung aus?

Levin Mischel: In der alten Schule wurde streng auf jedes Gramm geachtet. Ich ernähre mich bewusst, aber nicht dogmatisch. Ich koche selbst gesund, esse viel Gemüse, kaufe gesunde Bioprodukte und ernähre mich einfach ausgewogen. Vor einer Vorstellung esse ich eher leicht, danach darf es auch mal Pasta sein. Das Tanzen verbrennt sehr viele Kalorien, aber man muss trotzdem achtsam mit dem Körper umgehen. Wir hatten im Studium strenge Gewichtskontrollen und eine gute Ernährungsberatung.

Im Ballett-Ensemble gibt es häufige Wechsel – warum ist das so?

Levin Mischel: Ja und Nein. Die Verträge werden eigentlich jedes Jahr verlängert. Wir haben eine relativ kurzlebige Karriere im Alter zwischen ca. 20 bis 40 Jahre. Zum einen ist es ein sehr internationaler Beruf – viele Tänzerinnen und Tänzer kommen aus der ganzen Welt, bleiben ein paar Jahre und ziehen dann weiter. Das hat mit Karriereschritten oder künstlerischer Weiterentwicklung zu tun. Wir sind Künstler und benötigen Abwechslung. Zum anderen ist der Beruf körperlich begrenzt – Verletzungen, Ermüdung oder einfach der Wunsch nach einem neuen Umfeld spielen eine Rolle. Balletttänzer gründen oft erst nach der aktiven Karriere eine Familie. Einige setzen ihre Karriere fort und gründen eine Familie parallel dazu, was neue Perspektiven eröffnet. Die Kommunikation läuft meistens auf Englisch, lediglich Fachbegriffe sind in Französisch.

Haben Sie schon überlegt, was Sie nach ihrer Tanzkarriere machen wollen?

Levin Mischel: Ich könnte mir vorstellen, Choreograf zu werden und Tanzgruppen zu leiten. Ich produziere auch elektronische Musik für Tanzzwecke. Das könnte ich ausbauen. Für die Produktion &bdquo;Backstage“ habe ich ein eigenes Stück mit entsprechender Musik choreografiert.

Was sind die größten Herausforderungen im Berufsalltag?

Levin Mischel: Definitiv die Dauerbelastung. Wir tanzen nicht &bdquo;nur“ einen Abend, sondern stehen manchmal sechs Tage hintereinander auf der Bühne – mit Proben tagsüber. Körper und Kopf müssen ständig präsent sein. Auch die psychische Komponente – Leistungsdruck, Vergleiche, Erwartungen – darf man nicht unterschätzen.

Sie sind als Junge über Flamenco und dann über Ihre Schwester zum Ballett gekommen. Wie war das?

Levin Mischel: Ungewöhnlich, ja. Ich war elf und eigentlich nur beim Ballettunterricht, weil ich auf meine Schwester warten musste. Aus Langeweile hab ich mitgemacht – und plötzlich war da dieses Gefühl: Das ist meins. Es hat sich sofort richtig angefühlt.

Gab es Vorurteile oder Schwierigkeiten als Junge im Ballett?

Levin Mischel: Klar, vor allem in der Schulzeit wurde ich gemobbt. Ballett wird oft leider noch als &bdquo;Mädchensache“ angesehen. Dieses Klischee verhindert, dass so manches männliche Talent entdeckt wird. Aber ich habe früh gelernt, dazu zu stehen. Wer einmal ein Spitzentraining oder eine Hebefigur gesehen hat, weiß, wie körperlich fordernd das ist. Es ist mit Leistungssport vergleichbar. Wer tanzt, lernt Disziplin, Ausdruck, Körperkontrolle – das ist für alle Menschen wertvoll, nicht nur für Mädchen. Beim höfischen Tanz während der Renaissance war Ballett übrigens reine Männersache. Frauen sind erst Ende des 17. Jahrhunderts dazu gekommen.

Wie war Ihre Ausbildung in Zürich?

Levin Mischel: Sehr intensiv. Ab dem elften Lebensjahr habe ich acht Jahre lang ein Ballett-Internat in Zürich besucht, das sehr international durchmischt war. Sechs Tage die Woche gab es Training, zusätzlich Theorie und Aufführungen. Jeden Tag hatten wir 180 Minuten klassisches Training. Danach hatten die Mädchen 45 Minuten Spitzenschuhtraining und die Jungs lernten weite Sprünge und Hebefiguren. Wir wurden in der ganzen Palette der Tanzstile ausgebildet. Das war für mich eine prägende Zeit. Ich hatte großartige Lehrer wie Steffi Scherzer und Oliver Matz, die künstlerischen Leiter der Tanzakademie Zürich, die mich nicht nur technisch, sondern auch menschlich sehr geprägt haben. Sie waren das &bdquo;Traumpaar des Berliner Balletts“. Es war hart, aber ich habe dort gelernt, was es heißt, Tänzer zu sein.

Detmold ist eine eher kleine Stadt – wie erleben Sie das Leben hier?

Levin Mischel: Sehr ruhig aber überraschend angenehm. Es gibt schöne Ecken, ein gutes Kulturangebot, viel Natur. Für mich ist das ein guter Ausgleich zum Theateralltag. Und das Publikum hier ist wirklich treu – man merkt, dass das Theater Tradition und einen festen Platz in der Stadt hat. In der Freizeit widme ich mich meinen Hobbys: Musik und Malen.

Letzte Frage: Ist das der Beruf, von dem Sie immer geträumt haben?

Levin Mischel: Ja, absolut. Auch wenn ich damals mit elf Jahren nicht wusste, wohin die Reise geht. Ich bin heute dankbar, dass ich auf der Bühne stehen darf und meine Leidenschaft verwirklichen kann. Tanzen ist für mich mehr als ein Beruf. Es ist mein Zuhause.

Zur Person: Levin Mischel (25) wurde 2000 in Münsterlingen, Schweiz geboren. Als er mit elf Jahren einmal zum Ballettunterricht seiner Schwester mitgehen musste und aus Langeweile entschied, mitzumachen, entdeckte er seine Leidenschaft für Tanz und die Lehrerin das nötige Talent in ihm. In acht Jahren Studium hatte er sechs Tage die Woche Ballettunterricht, gefolgt von Pas de Deux, Modern, Contemporary oder Charakter-Tanz, die täglich variierten, sowie vier Ballettabende mit je zwei Stücken im Jahr. Mit 19 Jahren erhielt Levin sein Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis als Bühnentänzer EFZ und begann seine professionelle Laufbahn am Theater Chemnitz. Seit Oktober 2019 bis zum heutigen Tag ist er immer wieder in großen klassischen Produktionen zu sehen, aber auch moderne Stücke.

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