Extertal. Birgit Klee hat zwei Karotten in der Hand. Sie geht durch die Stallgasse, und drei Ziegen tippeln ihr neugierig schnuppernd hinterher. „Happi, Happi... Happi, Happi... Ja, komm", ruft sie. Plötzlich stapft ein junges Schwein um die Ecke und visiert die Möhren an. „George" schnüffelt an dem leckeren Gemüse und mümmelt ein Stück davon weg. „Fein. George komm!", sagt Birgit Klee, und das zehnmonatige Schwein folgt ihr. Jedes Tier, das hier auf dem Hof im Extertal lebt, hat seine eigene Geschichte und wäre wahrscheinlich schon tot, hätte Birgit Klee es auf ihrem „Lebenshof" nicht aufgenommen. Sie möchte ihnen noch ein paar schöne Jahre ermöglichen und Menschen den Umgang mit Tieren zeigen.
Angefangen hat alles im Jahr 2018
Sechs Pferde, vier Ponys, sieben Schafe, drei Ziegen, dazu noch Hühner, Enten, Hunde, Katzen, Vögel und ein Küken leben auf dem Hof. Tagsüber sind die meisten von ihnen draußen unterwegs. An diesem Tag allerdings nicht. Es ist Treibjagd im umliegenden Wald. Die Pferde stehen etwas verschreckt in ihren Boxen, doch Birgit Klee beruhigt sie mit Streicheleinheiten. Die Schafe, Ziegen und Schweine scheinen die Schüsse nicht zu stören. Sie wuseln in der Stallgasse um Birgit Klee und ihre Tochter Kirsten herum, die den Hof ehrenamtlich führen.
Angefangen hat alles im Jahr 2018, als Birgit Klee drei Pferde von einem Schlachthändler übernommen hatte. Zu dem Zeitpunkt wusste sie nicht, dass eine Stute trächtig war. Als das Fohlen dann zur Welt kam, sollte ein Spielgefährte her, denn Pferdekinder sollen nicht alleine aufwachsen, sagt sie. Dann suchte die Familie einen Hof und wurde im Extertal fündig.
„Wir bieten Tieren die Gnade, einfach weiterleben zu dürfen", betont Birgit Klee. Als Gnadenhof dürfen sie ihn offiziell noch nicht bezeichnen. „Man muss das beantragen, und in dem Prozess sind wir gerade", sagt die Besitzerin und spricht an, dass sie gerade dabei ist, einen Verein zu gründen. Den Begriff Gnadenhof findet ihre 24-jährige Tochter Kirsten Klee gar nicht so passend: „Eigentlich sagen wir Lebenshof, weil sie dürfen ja hier weiterleben."
Bauern fehlt die Zeit und Geld, schwache Tiere aufzuziehen
Einer, der weiterleben darf, ist „George". Er kam Anfang des Jahres als kleines, schwaches Schweinebaby aus einem Ferkelbetrieb zu den Klees. „Ferkel, die viel zu schwach sind, die werden aussortiert, und er war ein zu schwaches Ferkel", erinnert sich Birgit Klee. Heutzutage fehle die Zeit und das Geld, solche schwachen Tiere mit aufzuziehen. Kirsten Klee erklärt, warum: „Der Bauer bekommt für jedes Schwein so und so viel Geld. Wenn er ein Schwein anstatt drei nun sechs Monate bei sich halten muss – wo ist der Platz, und wo ist das nötige Geld für das zusätzliche Futter?" Zeit, Geld und Platz stellten dann die Klees zur Verfügung.
„George ist im Hundekörbchen groß geworden, bei uns im Haus", sagt Kirsten Klee. „Wenn schlechtes Wetter ist, geht er auch gerne mal ins Haus und legt sich vor den Ofen. Dann fragen wir ihn Ofen? und dann geht er schon zur Tür. Dann begleiten wir ihn dahin, und wenn er keine Lust mehr hat, dann begleiten wir ihn wieder raus", erzählt sie. Schweine seien kluge Tiere. Sie kennen ihre Namen und seien so intelligent wie dreijährige Kinder, sagt Birgit Klee. Ausgewachsen ist George mit seinen zehn Monaten noch nicht, obwohl er schon jetzt eine recht große Erscheinung ist. Das weiß George anscheinend selbst noch nicht, denn als er mit etwas Anlauf unter einem der Pferde durchlaufen möchte, bleibt er stecken und weicht verdutzt zurück. „George, dafür bist du zu groß", ruft Birgit Klee lachend. Immer wieder streichelt sie das Tier liebevoll.
Suche nach weiteren Tieren im Internet
Die Familie hat sich mittlerweile ein Netzwerk aufgebaut, wenn es darum geht, neuen Tieren ein Zuhause zu bieten. Birgit Klee und ihre Tochter wissen, welche Betriebe sie ansprechen können und andersherum kommen Schlachter oder Schäfer auf sie zu. Auch im Internet, bei eBay-Kleinanzeigen oder bei Facebook, gehen die Klees auf die Suche nach hilfesuchenden Tieren. Die Kosten trage sie mit ihrer Rente, so die 57-Jährige, und Besucher brächten immer mal wieder Geschenke mit. Von einem Futterproduzenten bekomme sie die Überschüsse.
„Ich wollte das eigentlich immer machen. Menschen mit Tieren zusammenbringen. Und da ich Frührentnerin bin, hat sich das so entwickelt", sagt sie. Ihr sei es wichtig, dass Menschen den Umgang mit Tieren erleben und dass sie einen normalen Blickwinkel auf das Thema Lebensmittel bekommen. „Bei den Dumpingpreisen, die zurzeit herrschen, können Tiere nicht artgerecht gehalten werden. Der Verbraucher müsste da ganz, ganz viel ändern", macht sie deutlich. Außerdem merke sie, dass Kinder den Bezug zu Tieren und der Natur verloren hätten. Einige wüssten nicht, wie ein Schwein aussieht oder sähen Pferde als Sportgeräte. „Das wollen wir eben nicht. Uns geht es darum, dass die Kinder eine Beziehung zu den Tieren aufbauen." Deshalb stehe die Stalltür für alle offen, die sich informieren wollen – oder die einmal ein waschechtes Schwein wie George streicheln möchten.