Ein lippischer Lehrling übertrumpft die nordwestdeutschen Meister

Kreis Lippe . Das Foto zeigt einen jungen Mann strahlend im Goldkonfettiregen, eine goldene Trophäe in der Hand. Benean Alkurdi aus Detmold hat bei der nordwest-deutschen Meisterschaft der Friseure der Konkurrenz gezeigt, was eine Harke ist, besser gesagt ein Kamm: Als Sieger im Herrenfach präsentiert er stolz den Goldenen Kamm in der einen, den Wanderpokal in der anderen Hand: Momentaufnahme eines Sieges für einen, der schon einiges hinter sich hat.

Dosen schleppen, um zu überleben Ein weiteres Foto zeigt einen Jungen, der scheu in die Kamera lächelt, als wögen die schweren Stapel eingeschweißter Getränkedosen auf seinem Rücken nichts. Die Augen auf diesem Foto sind dieselben wie auf dem der Siegerehrung, sie strahlen nicht. 14 Jahre ist Benean Alkurdi, als das Foto mit einer Handykamera entsteht. Der irakische Jeside sieht sich gezwungen, zu arbeiten: Seine Familie ist seit Monaten auf der Flucht, irgendwie müssen sie sich über Wasser halten, und er hat diesen Job ergattern können.

&bdquo;Der Krieg ist in meine Stadt gekommen. Wir mussten weg von unserem Zuhause, weil der IS uns Jesiden verfolgt hat“, erzählt er. Die siebenköpfige Familie – es sind drei Jungs und zwei Mädchen – macht sich auf den Weg, das Datum weiß er, das Sandwichkind, noch genau: &bdquo;Es war der 14.8. 2014.“ Sein Vater war eigentlich Geheimdienstoffizier und Soldat im Irak. Sie fahren ein Stück in die Berge, dann müssen sie das Auto stehen lassen und zu Fuß weiterlaufen. &bdquo;Wir sind tagelang in den Bergen gewesen, wir hatten nichts zu essen.“

Schließlich – auch mit der Hilfe von Verwandten – erreichen sie eine Stadt in der autonomen Region Kurdistan. Sie finden Unterschlupf in einer selbstgebauten Hütte, etwa ein Jahr bleiben sie hier. Benean findet den Job im Getränkeladen, er schleppt Dosenstapel. Und das in einem Alter, in dem andere mit ihren Kumpels Fußball spielen. Als das Foto an seinem Arbeitsplatz entsteht, weiß er noch nicht, dass er den schlimmsten Teil der Flucht noch vor sich hat.

Drohanrufe treiben die Familie weiter Denn die Bedrohung rückt näher. &bdquo;Mein Vater hat immer wieder Drohanrufe bekommen, irgendwie haben sie immer rausgekriegt, wo wir sind. Und meine Mutter wollte unbedingt, dass ihre Kinder in Sicherheit sind.“ So entschließt sich die Familie, sich einem Schlepper anzuvertrauen, auch wenn sie wissen, das kann gefährlich sein. Über die Türkei soll es im Bogen auf dem Wasserweg über das Schwarze Meer nach Griechenland gehen, dann weiter auf dem Landweg nach Bulgarien, dann nach Deutschland. Dort sind bereits die beiden älteren Brüder von Benean angekommen. Doch die Reise wird zum Albtraum.

Drei Tage vor Heiligabend 2015 brechen sie auf, die Schlepper sperren knapp 60 Menschen in ein schwarzes Schlauchboot. Es schlägt leck, und plötzlich hängt Beneans Leben an einem seidenen Faden und an einer Schwimmweste. &bdquo;Ich kann nicht schwimmen“, sagt er leise. &bdquo;Ich habe von 10 bis drei Uhr nachts im Wasser gehangen.“ Was in diesen nächtlichen Stunden in Todesangst mit ihm passiert ist, sagt er nicht, aber die Zeit hatte schlimme Folgen, denn er verliert einen großen Teil seines Hörsinnes. &bdquo;Vor der Flucht konnte ich wunderbar hören. Doch nach der Nacht war alles anders.“ Ein hoher Preis für nichts, denn schließlich entdeckt die Mannschaft eines türkischen Schiffes in den frühen Morgenstunden die Schiffbrüchigen – und bringt sie zurück in die Türkei.

Zu Fuß nach Bulgarien Der zweite Fluchtversuch, diesmal auf dem direkteren Weg, glückt, &bdquo;wir sind in 55 Stunden zu Fuß von Griechenland nach Bulgarien gelaufen.“ Sie schaffen es bis Deutschland, im Januar 2016 kommen sie in München an, reisen weiter bis Bielefeld, die Familie wird wieder vereint.

Es beginnt das übliche Prozedere, Flüchtlingsheim, Hauptschulabschluss. Und ein sehnlicher Wunsch, den der junge Jeside schon seit Kindertagen hegt: &bdquo;Ich will Friseur werden.“ In seinem Herkunftsland wäre das kein Problem gewesen, man schnippelt drauf los, verbessert sich immer weiter, und dann eröffnet man einen Friseursalon. Hier läuft es nun mal anders. Nach einigen Umwegen landet der junge Mann im Salon von Friseurmeisterin Heike Klaas in Horn.

Die Obermeisterin der lippischen Friseur-Innung hat ein Herz für junge Leute und in ihrem Horner Salon schon mehrere talentierte Azubis, auch mit Migrationsgeschichte, durch die Lehre gebracht. &bdquo;Ich finde das so wichtig, ihnen eine Chance zu geben. Bis jetzt habe ich nur gute Erfahrungen gemacht. Wenn ich spüre, die wollen wirklich, dann macht das einfach richtig Spaß“, sagt sie.

Natürlich ist das anstrengend. Denn so groß das handwerkliche Talent auch sein mag: Vor der Gesellenprüfung steht nun mal auch noch eine Menge Paukerei. Vor allem, wenn ihre Azubis es mit der deutschen Sprache noch nicht so haben. Die erste Zeit sei für beide Seiten nicht leicht gewesen, erst mal haben beide lernen müssen, einander zu vertrauen. &bdquo;Und bei Benean kam noch ein besonderes Problem dazu“, spricht sie das an, was er selbst nur ungern erzählt: &bdquo;Er hört so schlecht, dass er Hörgeräte tragen muss. das ist für einen so jungen Mann sehr, sehr schwierig.“ &bdquo;Ich schäme mich“, sagt er offen. Eine Behinderung zu zeigen, das geht gegen die Ehre – leider mit der Folge, dass er die Hörhilfen am liebsten gar nicht tragen würde. Auch wenn ihm dies das Deutsch lernen noch schwerer macht. &bdquo;So bin ich nun mal.“

Training nach Feierabend

Seine Lehrmeisterin verdreht die Augen. &bdquo;Darum ist er auch beim ersten Mal durch die Gesellenprüfung gerasselt. Aber er hat sich durchgebissen.“ Sie paukt mit ihm, wenn mal Lehrlauf im Salon herrscht, nach Feierabend trainieren sie das Handwerk.

Gesellenbrief hin oder her, im Oktober 2024 tritt der junge Mann an beim großen Wettbewerb in Gütersloh. Mit breiter Brust – schließlich trainiert er nicht umsonst im Fitnessclub -, aber auch mit einer gehörigen Portion Manschetten. &bdquo;Er war wahnsinnig aufgeregt“, erzählt Heike Klaas. Kunde Kai Jöstingmeier macht den Spaß mit, hat sich bereits vorab im Horner Salon die Haare tönen lassen und freut sich auf einen coolen Look, den Benean in gerade mal 40 Minuten zaubern muss. Die Jury beobachtet mit Argusaugen, was die neun Kombattanten da mit ihren Modellen anstellen. Mindestens zwei Zentimeter müssen runter, so steht es in den Wettbewerbsbedingungen.

Doch mit einem Haarschnitt und dem Styling ist es nicht getan: Der Schnitt muss auch noch wandelbar sein, denn nachdem die Jury den ersten Teil begutachtet hat, beginnt das fünfminütige Umstyling. Haargel, Hände, Kamm: Benean hat alles geplant, am Ende drückt er seinem Modell sogar noch eine Zigarre in die Hand, &bdquo;weil das cooler aussieht.“

Akkurat und sauber müssen sie arbeiten, das hat Benean aus dem Handgelenk drauf: &bdquo;Er ist unglaublich ordentlich“, lobt die Chefin ihn. Dass der Azubi den Aufruf zur Siegerehrung dank der Schwerhörigkeit zunächst nicht mitbekommt – geschenkt. Als er aufs Treppchen steigt und Goldflitter auf die Sieger herabsinkt, sind alle Schwierigkeiten vergessen. &bdquo;Da wollte er fast gar nicht mehr von der Bühne runter“, Heike Klaas lacht liebevoll, &bdquo;da hat er erst mal ein Tänzchen gemacht.“

Auf zur Meisterschule

Das zweite Tänzchen haben dann nicht mehr so viele mitbekommen. Das war am 27. Januar dieses Jahres, als Benean endlich auch den Gesellenbrief in den Händen hielt. Und was nun? &bdquo;Am 18. März verlasse ich Frau Klaas, dann gehe ich auf die Meisterschule in Oldenburg“, der 24-Jährige hat da sehr klare Vorstellungen, auch wenn er schon weiß, dass er an seinen Deutschkenntnissen weiter arbeiten muss.

Und was ist am Ende das Ziel? Benean Alkurdi lacht und strahlt: &bdquo;Dann komme ich zurück und übernehme den Laden von Frau Klaas.“ Die Obermeisterin grinst: &bdquo;Na, das wollen wir mal sehen.“ Sie lässt ihn gern ziehen, weil sie weiß: Ihr Schützling wird seinen Weg gehen. Wer anderen Meistern den goldenen Kamm wegschnappt, der wird es noch zu was bringen.

Sie erreichen die Autorin unter mschwarzer@lz.de

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