Friseure in Lippe: „Ich arbeite zehn Stunden – für immer weniger Geld“

Kreis Lippe/Lemgo. Friseurin Gönül Inceer ist seit 30 Jahren selbstständig. Kaum mit der Meisterschule fertig, übernahm sie bereits ihren ehemaligen Ausbildungsbetrieb. &bdquo;Ich war damals in Lemgo die Erste mit, sagen wir, ,Migrationshintergrund’ mit eigenem Salon", sagt Inceer und lacht. Eine Powerfrau mit ansteckender Energie, die ihren Beruf bis heute liebt, wie sie betont. Wenn sie sich jedoch die aktuelle Lage ihres Handwerks ansieht, fallen unschöne Worte: Stress, Hamsterrad, Geldsorgen. Sie komme kaum dazu, Pausen einzulegen. &bdquo;Wir arbeiten ständig gegen die steigenden Kosten an." Von der Politik? Fühlt sie sich, wie so viele in ihrer Branche, alleingelassen. Laut Einschätzung der Friseur- und Kosmetik-Innung Paderborn-Lippe werden &bdquo;in der nächsten Zeit rund ein Drittel der Friseurbetriebe schließen müssen".

Kritikfähigkeit? Fehlanzeige Gönül Inceer weiß, was die Branche derart unter Druck setzt. Stichwort: Ausbildung. &bdquo;Ich bilde sehr gern aus", sagt Inceer, und man glaubt es ihr sofort. Wenn sie, selbst Mutter, von den &bdquo;Lehrlingen von heute" spricht, schwingt viel Verständnis für junge Menschen mit. Dennoch fällt ihre Kritik am Ende harsch aus: Ständig komme es vor, dass Praktikantinnen oder Auszubildende von einem Tag auf den anderen das Handtuch werfen. Kritikfähigkeit? Heute kaum noch ausgeprägt. Alles, was bis zu dem Zeitpunkt investiert wurde – und die Bürokratie sei enorm: für die Katz.

&bdquo;Früher habe ich bis zu 40 Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz erhalten", erinnert sich Inceer. Heute sei sie froh, wenn es ein paar wenige sind. Des Weiteren habe sich die Struktur komplett verändert: Junge Frauen bildeten die Minderheit, während das Interesse bei jungen Männern sprunghaft gestiegen sei - gut ein Drittel der Azubis ist nun männlich. Das liege daran, dass der Friseurberuf in vielen Ländern eher eine Männerdomäne sei. Problematisch wird die veränderte Demografie dadurch, dass sie viele Integrationsleistungen &bdquo;nebenbei" erbringen müsse, so Inceer. Es wäre schade, wenn sie sich eines Tages gar keinen Lehrling mehr leisten könne.

Interesse bei jungen Frauen schwindet Heike Klaas, Obermeisterin der Friseur- und Kosmetikinnung, bestätigt diesen Trend. Es sei enorm lohnenswert, die jungen Leute zu begleiten, &bdquo;jedoch auch extrem zeitintensiv". Sowohl sprachliche als auch kulturelle Barrieren müssten geebnet werden. &bdquo;Dafür wünschen wir uns von der Politik eine Integrationsprämie", sagt Klaas. &bdquo;Die duale Ausbildung in Deutschland muss gegenüber der akademischen Laufbahn dringend gestärkt und aufgewertet werden", fordert sie. Sonst werde man dem Nachwuchsmangel im Handwerk nicht begegnen können.

Fakt sei, dass Friseurinnen und Friseure heute immer mehr und länger arbeiten müssten, um – wenn überhaupt – auf denselben Ertrag zu kommen. Die Energiepreise sind um rund 20 Prozent gestiegen – und Strom und warmes Wasser sind im Salon essenziell. Auch die Zulieferer der eingesetzten Produkte wie Haarfarben oder Shampoo hätten ihre Preise zuletzt kräftig angehoben. &bdquo;Ich arbeite jeden Tag zehn Stunden und mehr, mache kaum Pausen", sagt Inceer.

Es ist zu spüren, dass sie nicht jammern möchte, und doch: &bdquo;Freunde und Bekannte machen sich manchmal Sorgen. Sie raten mir dann, einfach jemanden einzustellen oder nach einer bestimmten Uhrzeit keine Termine mehr anzunehmen – solche Sachen. Sie verstehen nicht, dass ich mir das nicht leisten kann." Für die Kundinnen eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen, während man im Kopf die betrieblichen Probleme wälzen müsse: &bdquo;Das nimmt uns die Luft für die Kreativität, die uns Friseure eigentlich ausmacht", beklagt Heike Klaas.

Im vergangenen Jahr hat Inceer ihre Preise erhöht. Die negativen Reaktionen ihrer Kunden versteht sie – &bdquo;alles wird ja teurer". Auch, dass für manche dann eine Schmerzgrenze erreicht sei, sie entweder Extras wie das Haarefärben wegließen oder sich ganz verabschiedeten. Doch sie ist gezwungen, die gestiegenen Personalkosten, die erhöhte Grundsteuer, die Energiepreise und andere Posten wohl oder übel auf ihre Kunden umzulegen. &bdquo;Und wenn ich dann sehe, wie in machen Läden Haarschnitte für zwölf Euro angeboten werden – das kann nicht mit rechten Dingen zugehen."

Die Ehrlichen sind die Dummen Konkurrenz durch &bdquo;Billig-Friseure" und Barbershops – laut Innung gibt es neben &bdquo;sicher vielen völlig legal arbeitenden Betrieben in diesem Bereich" eine Vielzahl, deren Geschäftsmodell darauf beruht, sämtliche Mitarbeitenden auf Minijob-Basis zu beschäftigen, sie de facto jedoch deutlich mehr arbeiten zu lassen. Wenn dabei eine Absprache zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeber bestehe, sei es für den Zoll als Kontrollbehörde extrem schwer, Vergehen aufzudecken. Damit werde die Kluft zu den handwerklichen Betrieben, die ausbilden und den Anspruch haben, &bdquo;alles richtig zu machen", wie Inceer sagt, immer größer. Und der Frust wächst.

Auch die Coronazeit hängt den Friseurinnen noch nach. &bdquo;Drei Monate lang hatten wir gar keinen Verdienst. Das war politisch sehr ungerecht und wurde nicht abgefedert. Wer da erst kurz selbstständig war, hatte keine Chance", rekapituliert Klaas. Ohne Geld vom Privat- auf das Geschäftskonto zu überweisen, wäre es nicht gegangen. Jetzt gerade werde es wieder für sehr viele Betriebe eng – beim Zukunftskongress der Friseure in Berlin war im Januar von deutschlandweit 16.000 die Rede, die von Schließung bedroht sind. Zudem erwirtschafte fast die Hälfte der Salons weniger als 50.000 Euro im Jahr.

Immer mehr Einzelkämpfer Und wie passt das zu dem Eindruck, dass es Salons &bdquo;an jeder Ecke" gibt, sie regelrecht aus dem Boden sprießen? Einerseits verfälscht die Zunahme bei den Barbershops das Bild, andererseits gibt es einen langfristigen Trend. Gönül Inceer erklärt ihn anhand ihres eigenen Betriebs: &bdquo;Anfangs habe ich sieben, acht Mitarbeiterinnen gehabt, darunter zwei Lehrlinge. Heute sind wir zu dritt." Inzwischen seien sehr viele Salons Einzelkämpfer, maximal zu zweit.

In die Selbstständigkeit zu gehen, erscheine vielen als einzige noch lukrative Möglichkeit, ihren Traumjob auszuüben – doch Inceer ist inzwischen desillusioniert. Ihr Ladengeschäft im Erdgeschoss eines Wohngebietes in Lemgo gehört ihr, es sollte einst die Altersversorgung sichern. &bdquo;Doch wer will denn, wenn ich in Rente gehe, noch einen Friseursalon übernehmen?", fragt sie sich. Daneben sei ihre größte Sorge, auch wenn es noch nicht so weit sei: &bdquo;Dass der Punkt kommt, an dem es einfach keinen Spaß mehr macht."

Friseure in Lippe: „Ich arbeite zehn Stunden – für immer weniger Geld“

Lippische Handwerksexpertinnen warnen: „Katastrophale Situation bei der Schwarzarbeit“

Detmolder Meisterfriseurin wird für Lebensleistung und außergewöhnliche Karriere geehrt

Preise für Friseur-Besuch deutlich gestiegen

Ein lippischer Lehrling übertrumpft die nordwestdeutschen Meister

Mit Herz und Leidenschaft: Diese Detmolderin erhält das Verdienstkreuz am Bande

Polizei prüft Verbindung zum Fall Nimani: Explosion in Bielefelder Barbershop

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus!

0,99 Euro im ersten Monat

Weiterlesen mit LZplus