Kalletal-Langenholzhausen. Im Schuhhaus Willer in Langenholzhausen arbeitet seit dem Sommer 2018 der Kriegsflüchtling Ahmad Sayed Ali. In Syrien lebte er in der Hafenstadt Lattakia, wo er an der Universität Wirtschaft mit Schwerpunkt Buchhaltung und Rechnungswesen studierte. Nachdem der Bürgerkrieg 2011 begonnen hatte, flüchtete er, lernte Deutsch teils per Youtube-Videos – und hat heute einen unbefristeten Vertrag als Angestellter des Schuhhauses. Schnell waren ihm Teile der Buchhaltung und der Wareneingang übertragen worden. Sein Chef ist sehr zufrieden.
Die Geschichte von Flucht und erfolgreichem Neuanfang begann, als er nach dem Studium Soldat der syrischen Armee werden sollte. „Aber ich wollte nicht auf andere Menschen schießen und entschloss mich, mein Land zu verlassen." Der Abschied von seinen Eltern und den vier Geschwistern war schwer.
Wie er verließen vor allem Männer im Alter zwischen 20 und 40 Jahren das Land, um dem drohenden Dienst in der Armee des syrischen Regimes zu entgehen. Ahmad Sayed Ali reiste 2015 legal mit seinem Reisepass in den Libanon aus. Dort nahm er ein Schiff in die Türkei, wo er über Fluchtvermittler einen Platz in einem kleinen Boot erhielt. „Ich musste eine hohe Summe an einen Schlepper bezahlen." Auf dem Schlauchboot waren 36 Menschen. Sie hatten Glück und erreichten schnell eine griechische Insel.
Als unwillkommene Flüchtlinge wurden sie über die Balkanroute weitergeschickt. Zur eigenen Sicherheit vor Übergriffen blieben sie stets in einer Gruppe zusammen. In Deutschland beantragte er Asyl. „Im Oktober 2015 wurde mir als Aufenthaltsort Kalletal zugewiesen."
Er verstand hier kein Wort und konnte sich nicht mitteilen. „Es ist ein schlechtes Gefühl, so sprachlos zu sein." Deshalb begann er, sich mit seinem Schulenglisch zu unterhalten und für andere Flüchtlinge zu übersetzen. „Ich wollte aber auch die Kultur hier verstehen. Deshalb habe ich auf meinem Handy Deutsch-Kurse auf Youtube angesehen und viel gelernt."
Seine guten Sprachkenntnisse nutzten bald auch das Sozialamt und das Kommunale Integrationszentrum Lippe. Über eine Umschulung erhielt er einen Honorarvertrag als Dolmetscher. Damit hilft er auch heute noch Asylsuchenden in der Region bei der Ausländerbehörde, der Polizei, bei der Agentur für Arbeit und bei Elterngesprächen in der Schule. Sayed Ali war auch im Verein „Gemeinsam im Kalletal" aktiv.
Ebenfalls dort Mitglied ist Jan Willer, Geschäftsführer des gleichnamigen Schuhhauses. „Als ich für unser Geschäft Personal benötigte, fiel meine Wahl auf ihn. Er hat in kurzer Zeit schon so viel erreicht. Sein Engagement hat mich überzeugt", berichtet er.
Sayed Ali spricht heute zwar fließend Deutsch, aber es war vor allem schwer, schreiben zu lernen – schließlich wird im Arabischen von rechts nach links geschrieben. „Ich musste alles neu lernen und noch mal bei Null anfangen."
Schon nach zwei Monaten übertrug Willer ihm Teile der Buchhaltung und den Wareneingang. „Es war so ein gutes Gefühl, dass man mir hier so viel Vertrauen geschenkt hat. Da habe ich mich noch mehr anstrengt."
Ahmad Sayed Ali hat inzwischen einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Als Buchhalter konnte er sich auch schnell mit der viel zitierten deutschen Ordnung anfreunden. „Die arabische Kultur ist chaotischer, aber auch spontaner", sagt er lachend. Per Skype hält der 32-Jährige Kontakt zu seiner Familie und erfährt, wie schwer es die Bevölkerung dort hat.
Zwar hat er auch Ausländerfeindlichkeit erfahren, aber das sei die Ausnahme gewesen. „Ich habe hier sehr viel Hilfe bekommen", zeigt er sich dankbar. Heute lebt Sayed Ali in einer eigenen Wohnung und hat einen Freundeskreis aus Deutschen und Syrern. Er bekam zunächst den Status „subsidiären Schutz", der wegen seiner guten Integrationserfolge weiter verlängert wurde. Nun hofft er auf eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung.