Kalletal-Langenholzhausen. Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Für Wotan, einen gut 26 Jahre alten Haflinger-Wallach in Langenholzhausen soll das unter Umständen nicht gelten. Seit dem Tod seines Stallkollegen Wolan, ein schwarzer Welsh Cob, Anfang April blieb er als letztes Pferd übrig. Das entspricht jedoch nicht den Leitlinien für Pferdehaltung. Deshalb hat jemand das Veterinäramt des Kreises Lippe eingeschaltet. Die Leitlinien fordern für Pferde die Gesellschaft von Artgenossen – mindestens in Sichtweite, besser noch in direktem Kontakt zur sozialen Fellpflege und für das Sicherheitsgefühl des Herdentieres. Besitzer Mario Winkler (60) möchte jedoch nach lebenslanger Pferdehaltung kein weiteres Pferd anschaffen. Er scheut ebenso die Verantwortung für ein bei ihm eingestelltes Pferd eines anderen Besitzers, weil er fürchtet, dass dieser sich möglicherweise nicht um sein Ross kümmere. Das Veterinäramt habe ihn telefonisch gebeten, innerhalb von vier Wochen eine Lösung zu finden. „Bis zum letzten Atemzug“ „Wotan soll bis zu seinem letzten Atemzug hier auf dem Hof bleiben. Das ist mein Wunsch und ich glaube, auch das Beste für das Pferd. Er kennt nichts anderes als dieses Zuhause, ist weder geritten noch gefahren und wurde auch noch nie mit einem Pferdehänger transportiert“, so fasst Mario Winkler die Geschichte des letzten verbliebenen Pferdes einer ehemals zwanzig Tiere zählenden Pferdeherde zusammen. Sein Vater Günter habe vor mehr als sechzig Jahren das erste Pferd angeschafft – Shetlandpony Mine, das mehr als vierzig Jahre alt geworden sei. Mehr Ponys und Kleinpferde seien hinzugekommen. Die Weiden um Langenholzhausen und die Maschinen zur Futtergewinnung waren vorhanden. Die Familie zog mit. „Verkauf oder Reitsport waren nie unser Interesse. Wir hatten einfach Freude an den Pferden“, erklärt Winkler. So sei im Frühjahr 2000 der damals knapp ein Jahr alte Wotan von einem Stutenmilchhof in Bad Oeynhausen zu Winklers gekommen. Mehrere Anzeigen Die Zeit verging. Pferde seien altersbedingt gestorben. „Viele unserer Tiere wurden dreißig Jahre, teilweise älter“, erklärt Winkler. 2020 schließlich kam der erste gravierende Einschnitt mit dem Tod von Vater Günter. Sohn Mario führte die Pferdehaltung fort. Auf Nachfrage kann das Veterinäramt über keine Auffälligkeiten berichten. Mario Winkler selbst erklärt: „Hier an den Weiden führen beliebte Wanderwege entlang. Einmal hat uns jemand angezeigt, nachdem wir eine sehr alte Araberstute auf der Weide haben einschläfern lassen müssen. Zwar kam der Abdecker sofort. Aber jemand sah das tote Pferd und zeigte uns beim Amt an. Die Veterinäre bestätigten jedoch, dass das Tier gerade verstorben war.“ Nun wurde er, wie das Amt bestätigt, wieder angezeigt mit dem Hinweis, dass der Haflinger alleine steht. Dieses Mal trifft es Winkler jedoch in einer emotionalen Ausnahmesituation: Seine Mutter ist Mitte Oktober verstorben, eine Katze verstarb, Welsh Cob-Wallach Wolan ging im April in den Pferdehimmel. Nun ist Wotan das letzte verbliebene Pferd. „Er hat von seinem Weidekollegen Abschied nehmen können. Nach dem Abtransport des toten Pferdes hat er zwei Tage gewiehert, aber nun hat er sich beruhigt. Er kennt ja den Ablauf hier auf dem Hof und mich als Bezugsperson. Er frisst und ist gesund“, erklärt Winkler. Im Sommer stehe er auf der Weide. Im Winter beziehe er seinen Stall mit täglichem Auslauf. „Das Tier befindet sich in einem guten Allgemeinzustand“, bestätigte auch das Veterinäramt. Aber da gibt es die Leitlinien zur Pferdehaltung. Diese legen die wichtigsten Parameter für Pferdehaltung fest und besagen: „Pferde sind in Gruppen lebende Tiere, für die soziale Kontakte zu Artgenossen unerlässlich sind. Abweichungen sind nur in Ausnahmefällen fachlich begründbar.“ Eine, die diese Leitlinien mit verfasst hat, ist Dr. Margit Zeitler-Feicht. Sie rät dem Besitzer: „Ein Haflinger mit 26 Jahren kann gut noch 30 Jahre und älter werden. Aus diesem Grund – und insbesondere auch, um dem Haflinger den Stress des Transportes zu ersparen – würde ich dem Besitzer dringend folgende Empfehlung geben: Er soll im Internet ausschreiben, dass bei ihm ein Beistellpferd eingestellt werden kann - möglicherweise nur gegen Futtergeld und Mithilfe bei der Arbeit. Das Zusammenführen der Pferde muss entsprechend einer Neuintegration sukzessive durchgeführt werden.“ „Schlechter Zeitpunkt“ Aber das möchte der Besitzer nicht. „Ist damit möglicherweise der letzte Gang für das Pferd eingeleitet“, fragt sich Thomas Stucke, Pferdewirtschaftsmeister und Berufsschullehrer für Pferdewirte. Er betreibt seit 2003 in Niedermeien einen Pensionsstall mit dreißig Plätzen. „Natürlich können sich alte Pferde, wenn sie körperlich fit sind, an eine neue Umgebung gewöhnen. Am einfachsten ist dies während der Weidesaison. Daher ist derzeit ein schlechter Zeitpunkt.“ Stucke sieht berufsbedingt die Pferdehaltung auch unter wirtschaftlichen Aspekten: „Angesichts der deutlich gestiegenen Tierarztkosten sowie des höheren Futter- und Pflegeaufwandes für ein altes Pferd, muss man mit monatlichen Kosten von 350 bis 600 Euro für Vollpension rechnen. Es wird schwierig werden, einen neuen Platz für das Tier zu finden. Pferde sind ja auch manchmal als Schlachttiere im Equidenpass gekennzeichnet. Möglicherweise wurde jetzt der letzte Gang für den Haflinger eingeläutet.“ Davon möchte Mario Winkler aber nichts wissen. Er hofft immer noch auf den in den Leitlinien und vom Veterinäramt auch in einer Stellungnahme an die Redaktion beschriebenen „fachlich begründbaren Einzelfall“.