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Kreis Lippe

Islambeauftragte Claudia Schreiber über Dialog und radikale Jugendliche

Kreis Lippe. Seit den Demonstrationen von Pegida und stärker nach den Attentaten von Paris wird über den Islam debattiert: Ist die Religion so gefährlich? Warum haben viele Angst vor dem Islam? Eine Antwort auf diese Fragen versucht Pfarrerin Claudia Schreiber, Islambeauftragte der Lippischen Landeskirche.

Zu den Aufgaben Claudia Schreibers gehört unter anderem die theologische Arbeit an Fragen des Verhältnisses von Christen und Muslimen, die Beratung der Kirchengemeinden in allen Fragen der Kontaktaufnahme und Kontaktpflege mit Muslimen, die Kommunikation mit islamischen Einrichtungen und Verbänden.

Frau Schreiber, hat sich die Stimmung zwischen Christen und Muslimen durch Pegida und die Anschläge von Paris verändert?

Claudia Schreiber: Ja, es hat sich etwas verändert. Aber in die Richtung, dass die demokratiewilligen und liberalen Muslime – und von ihnen gibt es viele in Lippe und Deutschland – und die dialogwilligen Christen eher zusammenrücken.

Das bedeutet konkret?

Schreiber: In den vergangenen Jahren haben wir enorme Fortschritte gemacht und gelernt, damit umzugehen, dass wir eine Einwanderungsgesellschaft sind. Bei den meisten Menschen und in den Gemeinden gibt es da eine große Toleranz und Offenheit. Dieses Vertrauen und die Dialogbereitschaft können Pegida oder auch Parteien, die mit den Ängsten spielen, nicht zerstören. Wichtig ist, dass wir die offenen Fragen miteinander besprechen.

Die da wären?

Schreiber: Viele fragen sich angesichts des Terrors, der im Namen des Islam verübt wird, wie viel das mit der Religion oder dem Koran zu tun hat...

Gute Frage, und gibt es Antworten?

Schreiber: Es ist eine Tatsache, dass es Stellen im Koran gibt, die zur Gewalt aufrufen. Wenn man sich die anguckt, muss man sich klarmachen: Der Koran ist im 7. Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel entstanden, als Raubzüge an der Tagesordnung waren. Eine historische Einordnung ist da unumgänglich. Man kann nicht einzelne Verse aus dem Koran oder der Bibel willkürlich herausgreifen, sondern muss sehen, was Ziel und Sinn des Glaubens ist. Terror hat keine Religion.

Könnte...

Schreiber: Entschuldigung – wenn wir über islamistischen Terror und den Verweis der Gewalttäter auf den Koran reden, muss man das Phänomen auch unter den politischen und sozialen Umständen betrachten. Die politisch unsichere Situation im Irak oder Syrien ist ein Nährboden, auf dem der Islam missbraucht werden kann.

Könnte auch die Bibel so missbraucht werden?

Schreiber: Dass Religion Gefahr läuft, missbraucht zu werden, ist kein Problem des Islam allein. Fundamentalisten gibt es in allen Religionen, auch im Christen- und im Judentum oder dem Hinduismus. Die Terroristen in Irland waren Christen, und auch der norwegische Attentäter Anders Breivik hat sich auf das Christentum berufen...

Wir erleben gerade eine zunehmende Radikalisierung von Jugendlichen, die hier geboren und aufgewachsen sind....

Schreiber: Das sind Menschen, die große Probleme haben, und der Extremismus macht plötzlich Helden aus ihnen. Und dann können sie noch draufsetzen, dass das, was sie tun, angeblich religiös legitimiert ist. Wir müssen die muslimischen Gemeinschaften unterstützen und stärken – in ihrer Jugendarbeit, in dem, was sie in der Aufklärung leisten. Das sind Dinge, an die wir gesamtgesellschaftlich rangehen müssen, denn unter den Radikalen sind auch viele Konvertiten. Es ist kein muslimisches, sondern ein gesellschaftliches Problem.

Wie könnten denn Lösungsansätze aussehen?

Schreiber: Der Islam ist längst bei uns angekommen. Dies erfordert gegenseitige Achtung, Anerkennung in Offenheit und gegenseitige Lernbereitschaft von Seiten beider Religionen. Aktivitäten wie der „Tag der offenen Moschee“ oder gemeinsame Gemeindefeste sind gute Beispiele, um die Scheu ab- und den Respekt aufzubauen.

Und Sie als Islambeauftragte bauen die Brücken?

Schreiber: Ja, so ungefähr. Ich möchte, dass Christen und Muslime sich begegnen, vor Ort kennenlernen und gemeinsam für ein gutes Zusammenleben aktiv werden können. Aktuell bin ich bei vielen Diskussionen in den Kirchengemeinden. Ziel ist es, einen kompetenten Umgang mit Menschen anderen Glaubens zu ermöglichen. Außerdem biete ich Vorträge zum Thema Islam und Christentum an. Viele Menschen wünschen sich gerade in der aktuellen, emotional aufgeladenen Situation Fakten und Grundkenntnisse zum Islam. Ich möchte zur sachlichen Information und Diskussion beitragen.

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