Blomberg/Bad Salzuflen. Ulrich Conrady ist ein Tüftler. Seine „Audio-visuelle Wahrnehmungsförderung“ (AVWF), die er bei Spitzensportlern einsetzt, bekommt nun eine weitere wissenschaftliche Basis: Sie wirkt messbar bei Stresspatienten.
Alles hat vor fast drei Jahrzehnten begonnen, als der Blomberger Ulrich Conrady nach Hilfen für seinen frühkindlich autistischen Sohn suchte. Seine Entwicklung war zunächst als Fördermethode für Kinder und Jugendliche mit den unterschiedlichsten Defiziten und Wahrnehmungsstörungen gedacht. Doch sie entwickelte sich zu einer Methode, die auch Spitzensportlern hilft, ihre Leistungen zu verbessern. Vereinfacht gesagt, soll auf bestimmte Frequenzen modulierte Musik über die Nerven im Ohr das autonome Nervensystem in Balance bringen.
Viel, das erkannte Conrady früh, hat mit Stressbewältigung zu tun. „Bei meiner Methode geht es darum, für die Sportler einen mental sicheren Ort zu schaffen, damit sie dann ihr Leistungspotenzial abrufen können“, sagt er mit Blick auf seine Arbeit im Sportbereich.
Dr. Dieter Olbrich, ärztlicher Direktor der Lipperlandklinik, kennt Conrady seit mehr als 20 Jahren. „Wir haben zusammen Tennis gespielt, und ich habe immer mit großem Interesse verfolgt, was er tut“, berichtet der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Neurologie, Psychiatrie und Sozialmedizin.
„Wir haben es in der Lipperlandklinik häufig mit stressassoziierten Erkrankungen zu tun. Dazu gehören Diabetes II, Bluthochdruck, Adipositas, chronische Rückenschmerzen, Depressionen und Angsterkrankungen.“ Warum also nicht mal eine Methode versuchen, die genau bei der Stressbewältigung jenseits der erlernbaren Methoden wie Autogenem Training ansetzt und die Psychotherapie begleitet?
Conrady stellte der Klinik eines der von ihm entwickelten Geräte zur Modulation der Musikfrequenzen zur Verfügung. Damit lassen sich gleichzeitig vier Patienten behandeln. In insgesamt zehn Sitzungen werden diese je eine Stunde lang mit Musik unterschiedlicher Frequenzen beschallt. „Viele sagen, dass sie sich entspannter fühlen“, berichtet der Klinikchef.
Er hat das Ganze auch an sich selbst getestet: „Ich habe mich danach deutlich ruhiger gefühlt und hatte das Gefühl, wesentlich besser wahrnehmen zu können. Ganz kurzfristig hatte ich sogar den Eindruck, dass meine Sehkraft zugenommen hat, aber das hat leider nicht angehalten.“
Doch das subjektive Gefühl ist das eine, die objektive Messbarkeit das andere. Damit aus AVWF eine auch von Krankenkassen anerkannte Heilmethode wird, muss der Erfolg mess- und nachweisbar sein. Dr. Olbrich und sein Team in der Lipperlandklinik haben zwar noch nicht den ultimativen Nachweis, aber immerhin eine, wie Dr. Olbrich es nennt, „spezifische Wirksamkeit“ dokumentiert.
Bei Stress steigen die Spiegel von Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol drastisch an, und genau hier setzte die Untersuchung an: Bei 48 Patienten wurde jeden Morgen eine Speichelprobe genommen, um den Cortisolwert zu bestimmen. Die Hälfte wurde mit AVWF behandelt, die andere als Gegenprobe nicht. Siehe da: Die Cortisolwerte der behandelten Stresspatienten erwiesen sich als signifikant niedriger als die der Referenzgruppe. Bei einigen depressiven Patienten, die unter Antriebsschwäche litten, stieg der zu niedrige Cortisolwert dagegen auf ein Normalmaß an. Dr. Olbrich ist von der Methode überzeugt: „Wir werden natürlich noch weiter forschen, um die Ergebnisse zu bestätigen. Herr Conrady hat eine Kooperation mit der Traumaklinik in Bielefeld und der psychosomatischen Uniklinik in Marburg und Gießen geschlossen.“ Innerhalb der nächsten zwei Jahre werden die drei Standorte weiter Daten sammeln – in der Hoffnung, dass AVWF als Therapie anerkannt wird.
Auch Dr. Olbrichs Frau Beate Gildehaus-Olbrich, die in Blomberg eine Psychotherapeutische Praxis betreibt, ist von der Methode überzeugt: „Ich werde die Behandlung jetzt als IGEL-Leistung anbieten“, sagt sie. „Es fördert die Fähigkeit zur Selbstberuhigung und kann die Psychotherapie gut unterstützen.“
Anerkennung auf der wissenschaftlichen und klinischen Ebene – was macht das mit dem Erfinder? – Ulrich Conrady zuckt mit den Achseln: „Das mit dem Sport war nur ein Umweg für mich. Das war für mich der Türöffner für die Therapie.“