Bielefeld/Schloß Holte-Stukenbrock. Die nächste Flüchtlingswelle hat OWL schneller erreicht als erwartet. Mitten in die Vorbereitungen hinein, sind am Wochenende Hunderte Flüchtlinge in der Region eingetroffen. In Schloß Holte-Stukenbrock, wo gerade erst eine Zeltstadt entsteht, räumten die Behörden kurzfristig die Polizeischule des Landes.
500 der 2.000 Flüchtlinge, die über Ungarn und Österreich nach Nordrhein-Westfalen gekommen sind, wurden kurzfristig in der Polizeischule Stukenbrock-Senne untergebracht. In einem Kraftakt hatten rund 100 Polizisten und Helfer von Feuerwehr, Malteser-Hilfsdienst, Deutschem Roten Kreuz und Technischem Hilfswerk über Nacht alles vorbereitet.
Polizeidirektor Bernd Stienkemeier berichtete, dass die Ausbildung in der Polizeischule bis auf Weiteres ruht. Ausgenommen seien die Fortbildungen der Diensthundeführer sowie die Ausbildung der Kommissaranwärter.
Herford: 400 Flüchtlinge in Harewood-Kaserne
Auch der Stadt Herford blieb kaum Zeit zur Vorbereitung. Hier war man davon ausgegangen, dass erst Mitte September die nächsten Menschen in die Harewood-Kaserne einziehen. Doch am Wochenende trafen bereits 200 Flüchtlinge in der Notunterkunft ein. Bereits am Samstag war auch bekannt geworden, dass im Laufe des Sonntags 200 weitere Flüchtlinge nach Herford kommen sollten. Das bestätigte Herfords Baudezernent Peter Maria Böhm gegenüber der NW. Nunmehr seien 400 Menschen in der Harewood-Kaserne untergebracht.
Selbst die ehemalige Abschiebhaftanstalt in Büren wird von den Behörden genutzt. Rund 150 Flüchtlinge sollen nach Angaben der Johanniter in der JVA unterkommen.
Einzig in Bielefeld konnten die Helfer einmal durchatmen. Von den Neuankömmlingen, die NRW erreichten, wurden keine in die ohnehin stark ausgelasteten Erstaufnahme-Einrichtungen verteilt. Der Flüchtlingskrisenstab der Stadt Bielefeld hatte in Erwartung der Sonderzüge aus Ungarn am Sonntagmorgen getagt.
Keine Entspannung in Bielefeld
Für den Bielefelder Krisenstab heißt die neue Nachricht aber nicht, dass mit einer Entspannung zu rechnen sei. Ab Montag dürfte es wieder ernstzunehmende Engpässe geben: „Der Transfer von Flüchtlingen in andere Einrichtungen im Land wird noch schwieriger“, so Ritschel.
Vergangene Woche hatte die Stadt am laufenden Band Höchststände vermeldet: 646 Neuankömmlinge in der Nacht auf Mittwoch waren laut Torsten Böhling von der Ausländerbehörde der bisherige Spitzenwert. Da längst nicht alle Neuankömmlinge am gleichen Tag registriert und weitervermittelt werden, hatte die Behörde zuletzt bis zu 1.666 Flüchtlinge unterzubringen. „Und das bei 950 regulären Plätzen“, betonte Ritschel. Die Notunterkünfte waren also mehr als voll.
Da am Freitag „nur“ noch 1.300 Flüchtlinge vor Ort waren, blieb die Lage kontrollierbar. 1.587 Betten waren Sonntagfrüh belegt. Böhling blieb trotzdem zuversichtlich, bis zum Anfang der Woche klarzukommen. Doch was kommt dann?
Große Hoffnung setzen die Planer der Stadt auf die Vertragsverhandlungen zu drei Gewerbeimmobilien. „Wir sind in den letzten Zügen“, so Ritschel, die damit rechnet, dass die Bezirksregierung am Montag ihr Okay für den Vertragsabschluss gibt. In den Industriehallen soll Platz für 1.000 Flüchtlinge geschaffen werden. 500 benötige man, um die Notunterkünfte in drei Turnhallen bis zu den Herbstferien aufzulösen. Weitere 500 Plätze sollen nach der Ertüchtigung als Puffer zur Verfügung stehen.
NRW-Innenminister will weitere Kapazitäten schaffen
Angesichts der sich zuspitzenden Lage hat NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) die Bezirksregierungen aufgefordert, ihre Krisenstäbe in Gang zu setzen. „Wir müssen mit Hochdruck weitere Kapazitäten schaffen. Das hat oberste Priorität“, so der Minister. Er rechne in den nächsten Tagen mit einer Vielzahl weiterer Flüchtlinge, die über Ungarn, Österreich und Bayern kommen. „Ohne NRW bricht das Aufnahmesystem in Deutschland zusammen.“
Die 2.000 Flüchtlinge am Sonntag bedeuteten für Nordrhein-Westfalen einen neuen Spitzenwert. Nie zuvor kamen so viele Asylbewerber binnen 24 Stunden. Der bisherige Rekordwert lag bei 1.584 und stammte vom vergangenen Mittwoch. Wöchentlich nimmt NRW mehr als 7.000 Flüchtlinge auf.
In Dortmund waren am Samstagabend am Hauptbahnhof Rechtsextremisten aufmarschiert. Dabei kam es laut Polizei zu Auseinandersetzungen zwischen etwa 20 Rechten und 30 linken Gegnern. Flaschen und Böller flogen auch gegen Polizisten. Drei Beamte, ein Versammlungsteilnehmer und eine unbeteiligte Person wurden verletzt. Vier Personen kamen in Gewahrsam.
Behördennummer 115 auch bei Flüchtlingsfragen
Die Situation der Flüchtlinge ist derzeit auch in Lippe ein omnipräsentes Thema und die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung groß. Doch wie kann jeder sinnvoll helfen? Wo können zum Beispiel Kleiderspenden abgegeben werden oder an wen sollte sich jemand wenden, wenn er Wohnraum zur Verfügung stellen oder Kontakt zu einer Migrantenorganisation aufnehmen möchte? Diese und viele weitere Fragen können Bürger jetzt über die einheitliche Behördennummer 115 stellen.
„Durch unsere geschulten Mitarbeiter im BürgerService können wir unter der 115 neben Deutsch auch auf die Sprachen Englisch, Türkisch, Kurdisch und Russisch zurückgreifen und so Dienstleistung aus einer Hand bieten“, sagt Günter Weigel, Leiter des Bürger- und UnternehmerService beim Kreis Lippe in einer Mitteilung. „Außerdem verfügt der Kreis über einen internen Pool von Sprachvermittlern, die bei Bedarf hinzugezogen werden können. Dies gilt auch für den Fall, dass Flüchtlinge die 115 wählen – auch ihnen wollen wir natürlich die bestmögliche Vermittlung und Beratung ermöglichen“, erklärt Sabine Beine, Leiterin der Stabsstelle Integration und Migration beim Kreis Lippe.
Grundsätzlich wolle man versuchen, auf jeden Anrufer individuell einzugehen. „Für den konkreten Einzelfall könnte dies zum Beispiel bedeuten, dass man dem Flüchtling in einfachem Englisch, dies wird meist verstanden, nahelegt, sich direkt bei uns vor Ort im Ausländeramt zu melden, wo gegebenenfalls auch ein Dolmetscher in der erforderlichen Landessprache organisiert werden könnte“, erläutert Sabine Beine.
Die Behördennummer 115 ist von Montag bis Freitag zwischen 8 und 18 Uhr erreichbar. Unter der 115 erhalten Anrufer Auskünfte zu den am häufigsten nachgefragten Verwaltungsleistungen – unabhängig davon, ob es um Angelegenheiten der Kommunen, des Landes oder des Bundes geht. Die 115 ist sowohl aus dem Festnetz als auch vom Mobilfunktelefon erreichbar. Sie wird zum Ortstarif angeboten und ist damit gegebenenfalls auch in einer Handy-Flatrate bereits enthalten.