Kreis Lippe. Wer nächtens von Remmighausen nach Bad Meinberg unterwegs ist, den strahlen die roten Lichter förmlich an: „Eros-Wohnmobiltreff“ steht auf dem Schild am ehemaligen Broker Krug bei Schmedissen. Seit über einem Jahr verrichten auf dem Parkplatz hinter der hohen Hecke Prostituierte in ausgemusterten Wohnmobilen ihre Arbeit.
Aber nicht nur sie: Insgesamt weiß die Kriminalpolizei von 100 bis 150 Huren, die in etwa 20 kleineren Etablissements in Lippe arbeiten. „Natürlich gibt es eine Dunkelziffer – wir kennen bei weitem nicht jede Frau, die diesem Gewerbe nachgeht“, so die Polizei. Lage und Bad Salzuflen sind in punkto Prostitution die Schwerpunkte, aber auch in Lemgo und Schlangen gibt es Bordellbetriebe.
Ein Straßenstrich ist der lippischen Polizei im Kreisgebiet nicht bekannt. Dafür aber zwei Wohnmobilstandorte: Der genehmigte im Bereich „Hühner-Hugo“ nahe der B1 an der Abfahrt Waldschlösschen und der illegale bei Schmedissen.
Wohnmobile als Ersatz für das klassische Bordell sind selten, weiß Katharina Hontscha-Stavropoulos von „Theodora“, der Beratungsstelle für Prostituierte in Herford. „Das gibt es so nirgendwo sonst in Ostwestfalen.“
Doch ganz gleich, wo die Frauen ihre Freier empfangen: In Lippe sind es zum allergrößten Teil Osteuropäerinnen. „Wir haben es hier mit 80 bis 90 Prozent Bulgarinnen zu tun“, weiß ein Kriminalbeamter, der sich in der Szene auskennt, seinen Namen aber aus dienstlichen Gründen nicht in der Zeitung lesen möchte.
Es sind viele Roma darunter – aus seiner Sicht erschwert dies, denen zu helfen, die raus möchten aus der Prostitution. „Wir haben es hier mit Clanstrukturen zu tun. Das heißt nicht mal, dass all die Frauen mit Gewalt gezwungen werden. Viele prostituieren sich nicht für sich: Der Mann, der Verlobte oder der Freund kassieren ab – angeblich, um in der Heimat ein Haus zu bauen.“ Meist seien das leere Versprechungen, sagt der Kripobeamte. Oft wissen die Osteuropäerinnen nicht einmal, wo genau sie sind, weil sie nie rauskommen und kaum Deutsch sprechen. Regelmäßig besucht die Kriminalpolizei die bekannten Etablissements, um zu kontrollieren, aber auch, um den Frauen Hilfe anzubieten. Prostitution ist in Deutschland nicht verboten, darum hat die Polizei nur dann eine Handhabe, wenn sie Straftaten begegnet. „Wir versuchen, mit einer Dolmetscherin hineinzugehen, und wir verteilen Flyer der Beratungsstellen, die in verschiedenen Sprachen verfasst sind. Ich habe aber erst einmal erlebt, dass eine Frau gesagt hat: Bitte helft mir.“
Den meisten Freiern sind diese Kontrollen lästig. „Natürlich motzen die. Aber peinlich ist das den wenigsten. Die meisten gehen auch nicht gerade in ihrem Heimatort ins Bordell.“ Abwechslung bekommen sie übrigens überall: „Es gibt eine hohe Fluktuation unter den Huren, weil die Freier Frischfleisch wollen.“
Fälle von Zwangsprostitution bekommt die Kripo in Lippe selten mit. Betroffene Frauen wenden sich eher an die Beratungsstelle „Nadeschda“, die unter demselben Dach wie „Theodora“ in Herford die Opfer von Menschenhandel berät. Lesen Sie dazu den unten stehenden Bericht.
Kommentar: Lippes Huren brauchen Hilfe
von Marianne Schwarzer
Da sind die Lipper ziemlich fein raus: Mit 12.500 Euro im Jahr unterstützt der Kreis Lippe die beiden Beratungsstellen „Theodora“ und „Nadeschda“ in Herford. Das ist ein guter Ansatz. Aber weil es alles ist, was aus dem Kreishaus an Unterstützung für Prostituierte kommt, ist es zu wenig.
Die wenigsten der osteuropäischen Huren, die für lippische Männer die Beine breit machen, haben eine Krankenversicherung. Das mag an den Strukturen liegen, aus denen sie kommen. Aber seit sie nicht mehr qua Gesetz gezwungen sind, regelmäßig beim Gesundheitsamt vorzusprechen, ist gerade diese Klientel noch ein Stück weiter durchs Raster gefallen.
Der Kreis Gütersloh hat in vorbildlicher Weise gezeigt, wie sich das auffangen lässt: Hier untersucht ein engagierter Mediziner im Kreishaus gegen eine Zahlung von 10 Euro im Quartal die Frauen anonym auf die gängigsten Geschlechtskrankheiten und bietet für kleines Geld Impfungen gegen Hepatitis an. Weil der Kreis Gütersloh Anonymität garantiert, trauen sich viele Prostituierte in die Behörde und fassen Vertrauen. Auch das ist ein Stück wichtige Sozialarbeit.
Ganz gleich, wie man zum Thema Prostitution steht: Sie ist auch in Lippe Fakt, und dieser Teil unserer Gesellschaft braucht Hilfe. Da kann sich der Kreis Lippe mal vom Nachbarn eine dicke Scheibe abschneiden.
MSchwarzer@lz.de