Detmold. Als Thiru Subramaniam als 19-Jähriger aus Sri Lanka nach Deutschland kam, wollte er nichts lieber als arbeiten. Nicht die einzige Parallele zu heutigen Zeiten. Denn arbeiten durfte er nicht – er war als Flüchtling gekommen. Das ist 30 Jahre her. Mittlerweile arbeitet Subramaniam als Berufsbetreuer, hat Familie in Detmold, spricht fehlerfrei Deutsch.
Aber der Reihe nach: 1985 ist Bürgerkrieg in Sri Lanka, viele Menschen geraten zwischen die Fronten der Rebellenorganisation „Tamil Tigers" und der Regierung. Subramaniam gehört zu denen, die fliehen müssen. „Über Russland, Rumänien und die DDR nach West-Berlin." Das Geld für den Schlepper nach Indien und für die Flüge zahlt er jahrelang zurück.
Über Berlin und Bremen landet er als politischer Flüchtling in Detmold. Erste Adresse: Wittekindstraße 16. Subramaniam lebt mit sieben anderen Tamilen in einem Zimmer, außerdem wohnen Yeziden in der städtischen Unterkunft, Polen, Inder. Er stellt einen Asylantrag – und das Warten beginnt. Langeweile und Frust folgen bald der Erleichterung, auf sicherem Boden zu sein. „Ich durfte Landsleute außerhalb Lippes nicht besuchen. Und ich durfte nicht arbeiten", erzählt der 50-Jährige. „Ich fand es diskriminierend, auf Sozialhilfe angewiesen zu sein."
Subramaniam lernt fleißig Deutsch, bekommt mehrere Jobangebote, aber Arbeitsgenehmigungen gibt es nicht. Doch das Schleppergeld muss er zurückzahlen, so arbeitet er jahrelang schwarz.
Das Asylverfahren dauert fast drei Jahre, dann wird Subramaniams Antrag abgelehnt, „wie der von 97 Prozent aller Tamilen". Dennoch bleibt er in Deutschland. In Sri Lanka ist Bürgerkrieg, niemand wird dorthin abgeschoben. Eine Duldung folgt der nächsten – und schließlich ist er so lange hier, dass er einen deutschen Pass bekommt, nämlich acht Jahre. Da arbeitet er bereits auf Steuerkarte, zerlegt für vier Mark die Stunde Schweine. „Ich habe es geschafft, aus Frustration Motivation zu schöpfen. Das gelingt vielen nicht." Ein Studium der Biologie folgt, später der Sozialen Arbeit. Subramaniam findet Stellen bei der Lebenshilfe und der Elisabethstiftung, macht sich selbstständig. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern eines tamilischen Vereins und ist in der Organisation „ConAct" aktiv, die Projekte in Indien unterstützt.
Was heißt Integration? „Ein großer Begriff. Das sind nicht nur Sprachkurse." Es gehe um Kleinigkeiten, die die Flüchtlinge für dieses Ziel lernen müssten, weil vieles bei ihnen zu Hause eben ganz anders laufe. In der Bäckerei keine Lebensmittel anfassen. Kippen nicht auf den Boden werfen. Nicht spucken. „Das klingt banal. Aber die Leute sollen nicht über uns Immigranten denken, ,wie sind die denn drauf?" Es gehe darum, Anerkennung zu gewinnen, das Leben hier zu begreifen. Dies sei damals wie heute schwer: „Die Stadt Detmold hatte schon in den 80er Jahren die Stellen der Kontaktstelle für Asylbewerber von vier auf einen Mitarbeiter gekürzt." Willkommenskultur sei mehr als Blumen und Wasserflaschen am Bahnhof, müsse verstetigt werden. Dessen ist er sicher. Aber: „Vor allem brauchen wir Arbeitsmöglichkeiten." Den Menschen müsste dabei geholfen werden, eine eigene Existenz aufzubauen.
Heute wie damals lebten die Flüchtlinge in ständiger Angst, abgeschoben zu werden, dauerten die Verfahren viel zu lange. Vielen fehle die Einsicht, Deutsch lernen zu müssen. „Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, zum Beispiel nach Syrien abgeschoben zu werden, gleich Null. Das ist doch bekannt. Es wussten alle, die es wissen wollten, dass diese Menschen eines Tages nach Europa, nach Deutschland kommen." Und heute sei klar, dass in den nächsten Jahren aus Afrika oder Bangladesh Menschen kommen würden
Es gelte für die Zukunft, die Frustration der Menschen in Motivation zu verwandeln, wie es ihm gelungen sei. Es gelte, Flüchtlinge zu unterstützen – und die politischen Rahmenbedingungen in ihren Heimatländern verbessern zu helfen. Durch zukunftsorientierte wirtschaftliche Hilfen für Ort, mit Geld, dass nicht in korrupten Kanälen versumpft. Nicht einfach, sagt Thiru Subramaniam. Er weiß, wie gut es ihm geht: „Ich bin täglich froh, in Deutschland zu sein."
1980 mehr als 100.000 Asylanträge
Die erste große Zahl an Asylbewerbern kam in den 80er-Jahren: Aus afrikanischen und asiatischen Ländern, in denen Krieg und Verfolgung herrschten. 1980 stellten zum ersten Mal mehr als 100.000 Menschen einen Asylantrag in der Bundesrepublik, berichtet Sabine Beine vom Kreis Lippe.
Anfang der 90er-Jahre war Deutschland eines der größten Ziele: Osteuropäische Staaten befanden sich im Umbruch, ihre Bürger drängten ins Ausland – und Deutschland besaß ein liberales Asylrecht. Rund zwei Drittel aller Asylbewerber, die Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre in die EU kamen, stellten ihren Antrag hier, ihre Zahl stieg von 57.000 (1987) auf 438.000 Personen 1992.
Das Asylrecht wurde daraufhin reformiert. Auf den Grundsatz „politisch Verfolgte genießen Asylrecht" kann sich seit 1993 nicht berufen, wer aus einem Staat der EU oder aus einem Drittstaat einreist, in dem (....) „der Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sichergestellt ist."
Kommentar: Die Probleme sind nicht neu
von Martin Hostert
Das Schicksal des Thiru Subramaniam ist eines von Hunderttausenden, sein Lebensweg mitnichten repräsentativ für all die Menschen, die in den vergangenen Jahren aus verschiedenen Gründen nach Deutschland gekommen sind. Die Biografie zeigt aber ganz gut, wie die Vokabel „Integration" mit Leben gefüllt werden kann. Nämlich durch die Lust und damit einhergehend die Verpflichtung, sich auf Neues einzulassen. Durch Fleiß, dadurch, sich aktiv in der neuen Heimat einfinden zu wollen, ihre Regeln zu akzeptieren. Dabei brauchen die Menschen Hilfe.
Die Biografie zeigt auch: Der Staat, die Gesellschaft haben seit den 80er- und 90er-Jahren wenig dazugelernt. Schon damals dauerten Asylverfahren viel zu lang, nämlich zwei Jahre und länger. Schon damals hatten Kommunen auch in OWL Aufnahmestopps für Aussiedler und Flüchtlinge verhängt, schon damals protestierte die lippische Bürgermeisterkonferenz in Düsseldorf, wurden Turnhallen, Hotels, Gewerbeimmobilien belegt, gab es ehrenamtliche Hilfe und Engagement, Fremdenfeindlichkeit und Proteste. Und heute? Es gibt immer noch kein Einwanderungsgesetz, und Politiker sind vollkommen überrascht von der großen Zahl der Menschen, die kommen. Erst jetzt wird überlegt, wie die Zahl zu beschränken ist.
Es wird zudem bis heute am falschen Ende gespart. Es braucht nicht nur mehr Personal in den zuständigen Verwaltungen in Detmold, Düsseldorf oder Berlin. Es müssen Sprachkurse ohne Ende her, es braucht pädagogische Betreuung, Freizeitangebote, am besten Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge. Denn Fakt ist: Die allermeisten von ihnen werden bleiben. Sie müssen sich integrieren und integriert werden.