Kreis Lippe. Langsam und mit sicherem Abstand schwimmt ein Haubentaucher um sein Nest herum, das er sich in einiger Entfernung zum Ufer auf dem Schieder-See gebaut hat. Immer enger werden die Kreise des Wasservogels, doch richtig nah traut er sich nicht an seine Brutstätte heran. Der Grund dafür ist dunkelgrün, hat einen Panzer und aalt sich mitten auf dem Nest in der Sonne: eine Wasserschildkröte.
Ähnliche Beobachtungen machen Mitarbeiter der Biologischen Station Lippe und die Mitglieder des Naturschutzbundes (Nabu) immer häufiger. An vielen Gewässern im gesamten Kreisgebiet werden Schildkröten gesichtet. „Dabei gehören die Tiere gar nicht hierher", sagt Ewald Thies von der Nabu-Gruppe Leopoldshöhe.
Die Reptilien seien ganz offensichtlich ausgesetzt worden. „Offenbar von Menschen, denen die Haltung der Tiere wahrscheinlich zu lästig wurde und die sie dann ganz einfach im nächsten Teich ausgesetzt haben", vermutet Holger Sonnenburg von der Biologischen Station Lippe. Ein Problem, das sich in der Ferienzeit verschärfe, wenn der Urlaub anstehe und sich niemand um die Pflege des Kriechtiers kümmern könne.
Die Kriechtiere können 50 Jahre alt werden
In erster Linie beobachteten die Naturschützer Rotbauch- und Gelbbauchschmuckschildkröten in den hiesigen Gewässern. Diese beiden Unterarten wurden lange und werden mit Einschränkungen teilweise noch heute gehandelt. „Die Tiere können etwa 50 Jahre alt und mit etwa 35 Zentimetern auch richtig groß werden", weiß Ewald Thies. „Die Haltung ist außerdem sehr aufwändig. Wer eine Wasserschildkröte dieser Art in einem Aquarium oder in einem Gartenteich hält, muss ständig für eine sehr gute Wasserqualität sorgen, sich um geeignetes Futter kümmern, den Kot beseitigen, eine Stelle zum Überwintern bereitstellen und vieles mehr berücksichtigen", ergänzt Sonnenburg.
Mitarbeiter der Biologischen Station Lippe und Mitglieder des Naturschutzbundes (Nabu) haben an mehreren Gewässern in Lippe bereits Wasserschildkröten gesichtet und fotografiert. Dazu zählen der Schieder-See, ein Teich in Dahlhausen, der Heipker See und ein Regenrückhaltebecken im Krähenholz in Leopoldshöhe, der Norderteich in Billerbeck, der Werler See in Bad Salzuflen, die Schonungsteiche in Lemgo, der Meschesee in Detmold und ein Teich in Herberhausen. „Das ist bestimmt nur die Spitze des Eisbergs", ist sich Holger Sonnenburg von der Biologischen Station Lippe in Schieder-Schwalenberg sicher.
Jeder, der mit dem Gedanken spiele, sich einen gepanzerten Mitbewohner anzuschaffen, sollte sich deshalb vorher mit den Konsequenzen und der intensiven Pflege beschäftigen. „Auf gar keinen Fall sollte eine Wasserschildkröte als Kinderspielzeug gekauft werden", appellieren die beiden Naturschützer.
Am Anfang seien die Tiere noch klein und zierlich, doch schon nach kurzer Zeit würden sie ziemlich groß und bräuchten eine immer intensivere Betreuung. „Wenn das zu lästig wird, werden die Tiere einfach ausgesetzt und tauchen in unseren Gewässern auf", sagt Sonnenburg.
Dort könnten sie nicht nur ein natürliches Gefüge stören und durcheinanderbringen, indem sie unter anderem Haubentauchernester als Sonnenbank besetzen. „Die Tiere müssen sich sonnen, da sie ihre Körpertemperatur nicht selbst hochfahren können. Das machen sie meist in Ufernähe, um bei Gefahr schnell im Wasser verschwinden zu können. Haubentauchernester sind dafür also ideal", weiß Thies. Allerdings fänden das die Wasservögel alles andere als prickelnd. „Wir stellen fest, dass die Haubentaucher ihr Nest oft nicht mehr anrühren, auch wenn die Schildkröte wieder verschwunden ist", berichtet Sonnenburg.
Darüber hinaus hätten die Schildkröten durch ihren regen Appetit noch einen weiteren Einfluss auf die Lebensgemeinschaft in einem Teich oder See, in die sie eigentlich nicht hineinpassen. „Unser Klima ist für die Rotbauch- und die Gelbbauchschildkröte nichts", sagt Thies. Nur unter besonderen Umständen könnten sie sich fortpflanzen. Die Kriechtiere würden in den warmen Jahreszeiten zwar überleben. „Bei einem kalten Winter werden sie in der freien Natur sterben", sagt Sonnenburg.
Verordnung verursacht Probleme
Dass Wasserschildkröten ausgesetzt werden, ist offenbar in ganz NRW ein großes Problem. „Wir nehmen jedes Jahr rund 900 Schildkröten auf", berichtet Uwe Ringelhan, Geschäftsführer einer Reptilienauffangstation in Rheinberg (Kreis Wesel).
Solche Einrichtungen hätten sich auf die Versorgung von Echsen & Co. spezialisiert. Denn die lokalen Tierheime seien dafür oft nicht ausgerüstet. „Wenn jemand bei uns ein Reptil abgeben will, helfen wir, einen geeigneten Ort zu finden", berichtet Maria Toman vom Tierheim Detmold. Eine dieser Stellen ist eben die Rheinberger.
„Täglich werden Wasserschildkröten abgegeben oder in unseren Teich geschmissen", sagt Geschäftsführer Ringelhan. Viele Halter würden die intensive Pflege, die Größe und die Lebensdauer unterschätzen. „Leider sind die Tiere auch sehr günstig zu bekommen", beklagt Ringelhan. Bislang hätten er und seine Mitarbeiter die Schildkröten weitervermittelt. Doch das sei nun nicht mehr möglich, und sie müssten einen Aufnahmestopp verhängen.
Eine brandneue Verordnung des Bundesamts für Naturschutz (BfN) verbietet die unter anderem Einfuhr und Weitergabe von Buchstaben-Schmuckschildkröten – der Oberart der zahlreich vorkommenden Rot- und Gelbbauchexemplare. Eine Reaktion, um das Problem mit ausgesetzten Schildkröten in den Griff zu bekommen. „Die Verordnung ist ja gut gemeint, stellt uns aber vor immense Probleme. Wir dürfen die Tiere nun nicht mehr weitergeben und wissen nicht, wohin mit ihnen. Das ist ein Kostenfaktor", sagt Ringelhan.
Für den Handel gilt eine einjährige Übergangsfrist. Der Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe (ZZF) begrüßt die BfN-Verordnung. „Das ist sehr vernünftig", sagt der stellvertretende ZZF-Geschäftsführer Jörg Turk. Im Fachhandel werde sehr viel wert auf Beratung gelegt, gerade bei pflegeintensiven Tieren wie Schildkröten. „Leider kann man sie sich auch auf anderen Wegen besorgen, wie auf Börsen oder im Internet", sagt Turk.