Wie russische Privatpatienten das Klinikum Lippe für sich entdecken

Kreis Lippe. Stellen Sie sich vor, Sie müssten sich in einem fremden Land einer schweren Operation unterziehen, und Sie verstehen die Sprache nicht. Was wie ein Alptraum klingt, kann durchaus auch angenehm verlaufen. So zumindest erlebt es jetzt die russische Schauspielerin Lika Nifontova im Klinikum Lemgo. Denn zur Seite steht ihr Spätaussiedler Jakob Krahn. Er betreut Patienten aus seiner alten Heimat – und bekommt immer mehr zu tun.

Lika Nifontova ist in Russland ein Star auf der Leinwand und auf der Bühne. Ihr Mann Sergej Ursuliak ist Film- und Theaterregisseur und als Fernsehmoderator zuhause nicht minder bekannt. &bdquo;Wir sind immer zusammen", sagt seine Frau, und so hat er neben ihr ein Bett in der Lemgoer Orthopädie bezogen. Während sie sich an das neue Hüftgelenk gewöhnt, geht er über das Internet seiner Arbeit nach, genießt es, im Bademantel vor der Krankenhaustür eine zu schmauchen und hält sich ansonsten dezent im Hintergrund. &bdquo;Endlich mal erkennt ihn hier niemand, diese Anonymität ist etwas ganz besonderes für die beiden Stars", erklärt Jakob Krahn.

Seit einigen Jahren nutzt das Klinikum Lippe den gelernten Krankenpfleger als Mann für russische Fälle: Denn die Zahl derer, die als Selbstzahler nach Lippe kommen, um sich hier in die Hände der Spezialisten zu begeben, wächst. &bdquo;Wir hatten eine Empfehlung von Leuten, die bereits hier waren", erzählt Lika Nifontova. Denn dem russischen Gesundheitswesen trauen sie nicht recht.

Dr. Tanja Kostuj, Chefärztin der Orthopädie, weiß um die Schwierigkeiten: &bdquo;Dort ist man auf dem Land technisch auf dem Stand der 50-er Jahre", sagt sie. Und Jakob Krahn kennt üble Fälle von Wucher: &bdquo;Man muss sich das künstliche Hüftgelenk selbst kaufen – und das wird dann eingebaut, egal, ob es wirklich passt." Was als Prothese in Deutschland zwischen 400 und 600 Euro zu Buche schlägt, koste in Russland etwa 6000 Dollar.

Kein Wunder, dass die ausweichen, die es sich leisten können. &bdquo;Aber wer den Kontakt zu deutschen Kliniken über einen Vermittler sucht, muss viel Geld bezahlen." Er habe von einer Prostata-Operation gehört, die eigentlich um die 10.000 Euro gekostet hätte. &bdquo;Der Patient hat 45.000 Euro bezahlen müssen." Das passiere in Lippe nicht, &bdquo;wir sind hier fair, und das spricht sich herum", betont Jakob Krahn. Allein in diesem Jahr habe er schon etwa 20 ausländische Privatpatienten betreut – und zwar rundum. Er kümmert sich um die speziellen Visa, und stellt auch den Kontakt für die Rehabilitation her. Im Fall von Lika Nifontova nach Bad Pyrmont: &bdquo;Da ist ja schließlich auch der russische Zar gewesen", sagt Krahn lachend.

Drei Tage, nachdem Dr. Tanja Kostuj der Russin ein neues Hüftgelenk eingesetzt hat, kommt diese ihr bereits ohne Gehhilfe auf den eigenen Beinen entgegen. Und bombardiert sie mit Fragen: Was darf sie, wie kann sie sich bewegen, wird die 55-Jährige ihr zweijähriges Enkelkind noch tragen dürfen und darf sie die Leiter zum Meer herabsteigen?

Der Patientenbetreuer übersetzt alle Antworten und Fragen geduldig. Manchmal hilft aber auch die Körpersprache: Lika Nifontova soll in ein paar Monaten wieder als Desdemona in &bdquo;Othello" auf der Bühne stehen. Doch wie soll sie sich künftig von Jago erdrosseln lassen und malerisch hinsinken mit dem künstlichen Hüftgelenk? – Kein Problem, das lässt sich per Körpersprache vermitteln: Und schon hat die Chefärztin ihren Kittel ausgezogen, Krahn muss den Jago geben, und eine Erdrosselung mimen, während Dr. Kostuj ihrer frischoperierten Patientin demonstriert, wie man umfällt, ohne die neue Hüfte zu belasten. Die strahlt: &bdquo;Ich brauche keinen Professor. Ich brauche jemanden, der mir sagt, wie ich weiterleben kann. Und den habe ich hier gefunden."

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Ich behandle alle meine Patienten gleich, sagt die Chefärztin der Orthopädie in Lemgo, Dr. Tanja Kostuj. Der gute Wille ist ihr sicher nicht abzusprechen, insbesondere in Bezug auf die medizinische Sorgfalt. Doch die Zweiklassengesellschaft in unserem Gesundheitssystem lässt sich nicht verleugnen.

Natürlich genießen privat versicherte Patienten oder Selbstzahler in der Regel eine bessere Behandlung, bekommen früher Termine beim Facharzt, werden vom Chefarzt betreut und müssen nicht mit vier Personen auf einem Zimmer liegen.

Doch um die Betreuung aller Patienten zu gewährleisten, legen es Krankenhäuser im ganzen Land natürlich darauf an, sich die zahlungskräftigen Klienten zu sichern, denn wo sich ein Vielfaches vom eigentlichen Kassensatz abrechnen lässt, lassen sich auch Leistungen querfinanzieren, eventuell auch mehr Personal an anderer Stelle bezahlen. Nur ein Teil des Satzes landet in den Taschen der Chefärzte, sagt Dr. Kostuj.

Glaubt man dem Patientenbetreuer Jakob Krahn, so zockt das Klinikum Lippe seine reichen Patienten im Vergleich zu anderen Krankenhäusern in Metropolen wie München gleichwohl nicht ab. Die Tatsache, dass das Klinikum den Krankenpfleger mit seinen Kontakten nach Russland zur Betreuung dieser Klientel abstellt, spricht aber dafür, dass dieser &bdquo;Medizintourismus" durchaus lukrativ ist.

Der russischen Patientin Lika Nifontova ist neben der technischen Ausstattung des Klinikums und einer guten Operation vor allem eines wichtig: &bdquo;Ich brauche jemanden, der mir erklärt, wie ich mit der Krankheit leben kann", sagt sie. Und darauf kommt es am Ende an – für jeden von uns. MSchwarzer@lz.de

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