Der Fall Iris G. - Detmolderin erschießt im April 1985 ihren Ehemann

Detmold. Der 15. April 1985 ist ein Tag wie jeder andere im beschaulichen Detmolder Ortsteil Oberschönhagen. Doch hinter der gut bürgerlichen Fassade eines Fachwerkhauses in der Bad Meinberger Straße kommt es am späten Abend zu einem Ehestreit mit tödlichen Folgen.

Die damals 28-jährige Iris G. erschießt ihren Ehemann Detlef mit vier gezielten Schüssen. Das Sonderbare: Die Täterin kommt nicht ins Gefängnis. Iris G. gibt an, aus Angst um Leib und Leben geschossen zu haben. Neben dem Leichnam ihres Ehemannes finden die Ermittler eine Axt. Doch hat Iris ihren Mann tatsächlich aus Notwehr erschossen?

Nach Darstellung des damaligen LZ-Reporters ist es der Anwalt von Iris G., der sich noch am Tatabend kurz vor Mitternacht bei der Polizei meldet und von den tödlichen Schüssen seiner Mandantin berichtet. Iris G. hatte ihn umgehend informiert.

Was war also passiert? Am Tatabend soll es gegen 22 Uhr zu einem lautstarken Streit gekommen sein. Die beiden Kinder, zwei Mädchen - eine fünf Jahre, die andere 20 Monate alt - schlafen schon längst in ihren Bettchen, als Detlef G. nach Hause kommt. Es brodelt. Die Beziehung des Paares lässt sich ganz nüchtern als achtjähriges Martyrium zusammenfassen. Zu diesem Schluss kommt auch das Gericht im späteren Prozess. Detlef G., der immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt gerät, ist aufbrausend und jähzornig, heißt es. Er schlägt und misshandelt seine Frau, sie verlässt ihn dennoch nicht.

Ehefrau schwört: "Ich habe die Tat nicht geplant" An diesem Abend eskaliert der Streit. Der 36-Jährige soll seiner Frau mit einer Axt nach dem Leben getrachtet haben, erzählt Iris G. später. Aus Todesangst greift sie in den Schrank, dort wo die Waffe ihres Mannes versteckt ist, und schießt. Genau vier Mal - das stellen die Gerichtsmediziner fest. Iris G. trifft ihren Mann in den Kopf, in den Oberkörper und ins linke Knie. Die geständige Täterin schwört bei Polizei und Staatsanwaltschaft trotz der ehelichen Auseinandersetzung niemals an eine derartige Tat gedacht oder auch nur im Entferntesten überlegt zu haben, ihren gewalttätigen Ehemann zu verlassen. Nur einmal habe sie beim Rechtsanwalt vorgefühlt, berichtet die Zeitung am nächsten Tag. Die 28-Jährige muss nicht in Untersuchungshaft - sie bleibt davon aus "persönlichen Gründen" verschont. Wohl vor allem, damit sich die Detmolderin weiter um die zwei Kinder kümmern kann.

Drei Tage später wohnt Iris G. mit den Kindern und ihrer Mutter wieder im unscheinbaren Fachwerkhaus, die Nachbarn beschreiben ein "beklemmendes Gefühl". Angst direkt hätte jedoch keiner, berichtet ein Hausbewohner der LZ. "Angst hätten wir nur, wenn Fremde dort unten eingebrochen wären oder geschossen hätten, aber so?", sagt er damals. Die Familie selbst sei nie auffällig gewesen. Keine Partys, bloß wechselnd luxuriöse Autos vor der Tür. Die 28-jährige Täterin sei immer selbstbewusst und reserviert aufgetreten. Iris G. scheint ihr Leben bis zum Prozess normal weiterleben zu können. Die Anklage lautet Totschlag.

Objektiv liegt keine Notwehrsituation vor Vor dem Detmolder Schwurgericht besteht Iris G. ein knappes Jahr später darauf, sie habe ihre Kinder vor dem gewalttätigen Ehemann beschützen wollen und im Moment der Tat keine andere Möglichkeit gesehen, als den 36-Jährigen zu erschießen. Dass die 28-Jährige Angst hatte, scheint jeder im Saal nachvollziehen zu können. Während des Prozesses bestätigt sich durch Zeugenaussagen das Bild des tyrannischen Ehemannes, der die Detmolderin wohl über Jahre quälte. Doch mit der Beweisaufnahme kommt auch Unklarheit. Denn zumindest "objektiv soll keine Notwehrsituation vorlegen haben", zeigen die Ermittlungen. Mit einem Axtangriff soll Detlef nach Schilderungen seiner Frau zwar gedroht haben, doch eine Waffe hatte er nicht bei sich. Iris G. gibt während des Verfahrens zu, diese im Nachhinein bei ihrem toten Ehemann platziert zu haben, aus Sorge, die Ermittler könnten ihr die Notwehrsituation sonst nicht glauben, heißt es in der damaligen Berichterstattung.

Selbst der Gutachter schließt eine Affekthandlung aus. Dennoch besteht laut Staatsanwaltschaft trotz Unklarheiten kein Zweifel daran, dass Iris G. zum Tatzeitpunkt durch die krassen Auseinandersetzungen mit Detlef G. einer erheblichen Stresssituation ausgesetzt war. Das scheint auch das Schwurgericht zu überzeugen - das Urteil fällt identisch mit den Forderungen der Staatsanwaltschaft aus: Zwei Jahre Haft auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung hält die Kammer für angemessen. Die Öffentlichkeit scheint durch die in ihren Augen milde Strafe aufgebracht, berichtet der Reporter in der LZ vom 4. September 1986. Und auch die Mutter des Opfers sowie dessen erwachsener Sohn aus erster Ehe wollen das Strafmaß nicht akzeptieren. Sie gehen als Nebenkläger in Revision.

Zwei Jahre vergehen, bis der Fall G. tatsächlich neu aufgerollt wird. Iris G. hat Lippe inzwischen den Rücken gekehrt und lebt mit den Kindern in Hamburg, als der Bundesgerichtshof in Karlsruhe das Detmolder Urteil aufhebt. Iris G. habe die Grenzen des Notwehrrechts überschritten, befindet der BGH, sie hätte auch mit Warnschüssen oder einem Schuss ins Bein reagieren können. Ein neuer Prozess muss vor dem Bielefelder Landgericht verhandelt werden.

Die Stimmung ist aufgeheizt. Am 3. November 1989, es ist ein Freitag, muss sich die inzwischen 33-jährige Iris G. erneut ihrer Tat stellen. Im Revisionsverfahren wird ein ambivalentes Bild der Angeklagten gezeichnet. Der Gutachter beschreibt sie als starke Persönlichkeit, die das Leben ihres Mannes beruflich und privat dominiert habe. Ein selbstbewusstes Auftreten hat Iris G. auch vor dem Bielefelder Landgericht. Es entsteht der Eindruck einer Frau, der man durchaus zutrauen würde, ihren gewalttätigen Mann zu verlassen,heißt es in der Zeitung.

Auch die Staatsanwaltschaft kommt im Revisionsverfahren zu einem ähnlichen Schluss. Drei Jahre und drei Monate fordert der Oberstaatsanwalt wegen vorsätzlicher Tötung - auch wenn Iris G. unbestreitbar durch ein Ehemartyrium gegangen sei, hätte sie in der Tatsituation anders handeln müssen. Von Notwehr könne keine Rede sein, daher müsse die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe fordern. Unterstützt wird diese von der Seite der Nebenklage. Iris G. sei nie das hilflose Opfer gewesen, als das sie sich darstellt, sondern eine ebenbürtige Gegnerin ihres Mannes. Die Verteidigung sieht das anders: "Der jähzornige, bärenstarke Detlef G. habe seiner untergewichtigen Ehefrau auch zur Tatzeit nach dem Leben getrachtet", heißt es im Prozessbericht.

Freispruch beim zweiten Anlauf Drei Tage nach den Plädoyers fällt das Urteil: Das Schwurgericht des Landgerichts Bielefeld spricht Iris G. zur Überraschung vieler Prozessbeteiligten frei. Die vier Schüsse auf ihren Mann habe die damals 28-Jährige aus Notwehr abgegeben, schildert der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung. Im Fall Iris G. komme es vor allem auf die objektive Glaubwürdigkeit der Angeklagten an, deren grauenvolle Erfahrungen mit ihrem Ehemann auch von Zeugen bestätigt wurden. Da es keine anderen Beobachter der Tat gebe, müsse man die Aussage der Täterin genau abwägen. Die junge Frau habe zur Tatzeit hochgradig Angst gehabt. Die verbliebene Skepsis dürfe sich dann nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" nicht gegen eine Mutter und ihre Kinder richtigen.

Ein Freispruch ist die einzig logische Konsequenz, findet der Richter. Der Fall Iris G. wird vier Jahre nach der Tat damit endlich abgeschlossen.

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