Tierschützer fordern Stopp qualvoller Transporte aus Lippe

Kreis Lippe. Auch wenn die Kreisveterinäre es den Tieren ersparen wollten: Drei hochtragende Rinder dürfen aus einem landwirtschaftlichen Betrieb in Lippe per Lkw und Schiff ins Emsland und dann nach Algerien gebracht werden. Und der Kreis muss dafür die passenden Papiere, sogenannte &bdquo;Vorlaufatteste", ausstellen – trotz tierschutzrechtlicher Bedenken. Dazu hat ihn jetzt das Verwaltungsgericht Minden verpflichtet. Ohne ein solches Papier darf kein Tier zu einer Sammelstelle und von da ins Ausland transportiert werden. Ein Händler aus Münster hatte die Tiere gekauft und gegen das das Nein des Kreises geklagt.

Unendliche Qualen auf einem 90-Stunden-Transport über 3000 Kilometer bis nach Algerien, fragwürdige Verladeaktionen aufs Schiff: Von Tiertransporten in Drittstaaten gibt es viele Fotos und Filme. Trotz vieler Kritik stehen die Rinder noch auf einem lippischen Hof. Ob und wann die Tiere zum Verschiffen zur Sammelstelle in Niedersachsen gebracht würden, sei nicht bekannt, so der Kreis Lippe.

Wie berichtet, hatten Tierärzte des Kreises zunächst abgelehnt, die notwendigen Papiere für den Transport zur Sammelstelle im Emsland, so genannte &bdquo;Vorlaufatteste", auszustellen. Der Kreis hatte angesichts der Reise große Tierschutzbedenken: Einhaltung und Überprüfbarkeit der gesetzlichen Mindestanforderungen während des Transportes bis zum Betimmungsort sind zweifelhaft", schreibt er.

Ricarda Rottmann, Leiterin des Fachgebiets Veterinärangelegenheiten und Verbraucherschutz, kritisiert: &bdquo;Vor dem Hintergrund der hinreichend bekannten tierschutzwidrigen Voraussetzungen ist es nur schwer hinzunehmen, dass uns das Verwaltungsgericht verpflichtet, Atteste auszustellen."

Vorlaufatteste müssen ausgestellt werden Das Verwaltungsgericht Minden hatte den Kreis jedoch zur Ausstellung solcher Papiere verpflichtet. Dies stößt bei Tierschützern auf großes Unverständnis. Das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz NRW stellt jedoch auf LZ-Nachfrage klar: Ein Landwirt hat grundsätzlich Anspruch darauf, dass die Veterinärbehörde bestätigt, dass seine Tiere über einen bestimmten Gesundheitsstatus verfügen. Diese &bdquo;Vorlaufatteste" müssen also ausgestellt werden. Aber: &bdquo;Mit dem Attest wird keine Entscheidung über den anschließenden Transport getroffen."

Das Land NRW habe Transporte dieser Art sogar verboten – ebenso wie Niedersachsen. Dagegen hatte ein Tierhändler geklagt – und tatsächlich habe das Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) im Dezember in einem anderen Fall den Beschluss eines Veterinäramtes gekippt. Dieses hatte einen Rindertransport nach Marokko zuvor nicht gestattet, weil es den Tierschutz dort nicht sichergestellt sah. &bdquo;Das Gericht hatte die drohenden abstrakten Gefahren aber nicht für ausreichend gehalten, um eine Abfertigung zu versagen," berichtet das Ministerium.

Damit sei erstmals überhaupt eine Behörde in NRW verpflichtet worden, einen solchen Transport im Einklang mit den Tierschutzvorschriften abzufertigen. &bdquo;Seitdem gehen wieder vermehrt Anträge auf Vorlaufatteste ein", weist Kreis-Sprecher Steffen Adams auf die Folgen des OVG-Urteils auch für Lippe hin. 2017 und 2018 waren es jeweils um die 20, in den vergangenen beiden Jahren um die fünf. Nun sei absehbar, dass es wieder mehr würden.

Transport trotz gravierender Mängel Für Landrat Dr. Axel Lehmann ist die Entscheidung nicht nachvollziehbar, &bdquo;wenn man Tierschutz ernst nimmt." Doch &bdquo;für einen Vorlaufattest sind allein tierseuchenrechtliche Aspekte von Belang", sagt Gerichtssprecherin Terese Gra-bitz, Tierschutzrechte spielten keine Rolle. Lange Routen nach Nordafrika oder in den Nahen Osten seien eine Qual für die Tiere, ist der Kreis überzeugt. Kontrollen belegten gravierende Mängel wie fehlende Versorgungsstationen in Drittstaaten, Überschreitungen der maximalen Transportzeiten, unzureichende Versorgung mit Futter und Wasser sowie extreme Temperaturen unterwegs.

&bdquo;Daneben sind die Haltungs- und Schlachtbedingungen in den außereuropäischen Staaten als tierschutzrechtlich hochproblematisch einzustufen." Während der Pandemie sei es umso schwerer einschätzbar, welche Einschränkungen an Häfen, Grenzübergängen wie in Drittländern entstehen könnten. &bdquo;Es fehlen valide Informationen zu den Transportrouten, den Versorgungsstationen und den Empfängern." Daher sei das Veterinäramt davon ausgegangen, dass ein Transport nach Algerien nicht genehmigt werden könne und damit das Attest für den Transport zur Sammelstelle unnötig sei.

Tierschützerin Marianne Rautenberg hält die Entscheidung des OVG für fatal. Nachweislich seien die Transporte nach Algerien, Marokko oder in andere Länder nicht mit dem Tierschutz vereinbar. Die Kreisveterinäre bringe die Ausstellung der Atteste in einen Gewissenskonflikt, denn mit den Bescheinigungen würden sie der Seuchenverordnung genüge tun, aber in letzter Konsequenz dem Tierschutz zuwider handeln: &bdquo;Und der Tierschutz ist in unserem Grundgesetzt fest verankert", unterstreicht Rautenberg.

Qualen hören nach Transport nicht auf Auch Oberstaatsanwalt Christopher Imig, Vorsitzender des Detmolder Tierheims, hat große Bedenken. Nicht nur die Qualen während des langen Transportes seien nicht hinnehmbar, vor Ort setze sich das Leiden fort: Die Tiere sollten zwar zur Milchviehhaltung genutzt werden und würden deshalb trächtig exportiert, doch hiesige Kühe eigneten sich gar nicht zum Aufbau einer Milchviehwirtschaft in den Drittländern: &bdquo;Dann werden sie unter ekelhaften Bedingungen geschlachtet."

Jurist Imig sagt, dass sich Veterinäre unter Umständen strafbar machten, wenn sie der Verordnung folgten und Atteste für die Tiere ausstellten – wohl wissend, welche Qualen folgen würden: &bdquo;Veterinäre haben eine Garantenpflicht, das heißt, sie sind verpflichtet, für den Tierschutz zu sorgen." Auch auf die Bauern, die ihre Tiere in Drittstaaten verkauften, werfe ein solches Geschäft kein gutes Licht. Imig forderte von der Politik, die Tiertransporte zu stoppen und für ein einheitliches Rechtssystem im Sinne des Tierschutzes zu sorgen.

Schützenhilfe bekommen die beiden vom Land. NRW bleibe trotz des OVG-Urteils bei seinem generellen Verbot, teilt das Ministerium mit. Mögliche Tierschutzgefahren in bestimmten Zielstaaten könne abstrakt-generell jedoch nur der Bund bewerten. Und deshalb habe NRW eine Bundesratsinitiative gestartet, um Transporte von Rindern in bestimmte Drittstaaten per se zu verbieten. &bdquo;Welche Drittländer betroffen wären, liegt dann in der Entscheidungshoheit des Bundes."

Land sucht Kompromisslösung Das Land biete der Branche unterdessen an, statt zu klagen, Konzepte für einen tierschutzkonformen Transport (GPS-Daten, Temperaturmessung) bis zum Bestimmungsbetrieb vorzulegen. &bdquo;Die geplanten Routen werden tierschutzrechtlich überprüft und gegebenenfalls zur ,Pilotabfertigung freigegeben." Später würde dann entschieden, ob bestimmte Routen grundsätzlich wieder geöffnet werden können. Eine solche Freigabe von einzelnen Transportrouten sei jedoch bisher in NRW nicht erfolgt.

&bdquo;Dass es dem Kreis bei der Verweigerung der Ausstellung des Vorlaufattestes um tierschutzrechtliche Ziele ging, blieb völlig unberücksichtigt", kritisiert Ricards Rottmann. &bdquo;Somit werden der Kreis und seine Tierärzte gezwungen, mit der Erteilung der tierseuchenrechtlichen Vorlaufatteste einen solchen Transport überhaupt erst zu ermöglichen und tierschutzrechtliche Aspekte zu ignorieren."

Tierschützer fordern Stopp qualvoller Transporte aus Lippe

Özdemir will Tiere bei weiten Transporten besser schützen

Wegen Tierseuche: Agrarbranche vor Grüner Woche unter Druck

Schlachthof im Kreis Gütersloh im Fokus der Ermittlungen: Verdacht auf Tierquälerei

Chancenlos im Tierheim? Was aus Lippes Sorgenfellen 2024 wurde

Zahlreiche Unfälle durch spiegelglatte Straßen in ganz Lippe, Massenkarambolage auf B239

Feuerwerksverkauf beginnt am Montag - Bezirksregierung kündigt Kontrollen an

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus

0,99 € im ersten Monat

Angebot: Jahresabo nur 99 €