Was Obduktionen über das Coronavirus verraten

Kreis Lippe. Von den Toten kann man viel lernen – in Zeiten der Pandemie gilt das um so mehr. Das Klinikum Lippe ist Teil von &bdquo;Defeat Pandemic", einem deutschen Forschungsnetzwerk. Bislang wurden 29 Tote untersucht, was die Mediziner finden, lässt einen Schluss zu: Das Coronavirus richtet in der Lunge furchtbare Schäden an. Die Vorerkrankungen spielen eine Rolle, tödlich ist aber das Virus.

Professor Torsten Hansen ist Chefarzt der Pathologie und steht ständig mit seinen Kollegen von anderen Universitätskliniken in Kontakt. Derzeit läuft es über Zoom, es geht um Fakten, Teamarbeit, nicht um Politik. &bdquo;Was wir in den Kliniken sehen, ist erschreckend. Und wenn man fragt, ob jemand an oder mit Covid verstorben ist, dann können wir sagen, dass 75 bis 85 Prozent an dem Virus gestorben sind."

Mehr als 300 Covid-Tote in Lippe

Im Kreis Lippe gibt es mehr als 300 Todesfälle, um die zehn Prozent wurden auch obduziert. Eine solche Untersuchung setzt das Einverständnis der Angehörigen voraus. Nicht immer ist die Bereitschaft groß. Obwohl das Klinikum über die Möglichkeit verfügt, minimalinvasiv vorzugehen. Dank eines Hochleistungsultraschalls und mit winzigen Biopsieproben lasse sich viel erkennen, ohne den Körper öffnen zu müssen. Die Technik sei gerade in einer Pandemie wichtig. &bdquo;Geschulte Teams erkennen Muster besser und können entscheiden, ob eine komplette Autopsie mehr Erkenntnisse bringen kann." Hansen verweist auf Brasilien, wo es dank solcher Obduktionstechniken valide Daten zu Beginn einer Gelbfieber-Epidemie gegeben hat. So sei sehr früh zu erkennen, womit man es zu tun hat. &bdquo;Man gewinnt Zeit und kann sehr viel schneller gezielte Gegenmaßnahmen treffen", sagt Hansen.

In Deutschland hingegen lief es zu Beginn anders. &bdquo;Es gab erst die Richtlinie des Robert-Koch-Institutes, nicht zu obduzieren. Es war zu wenig bekannt, wie das Virus übertragen wird, und damit war die Gefahr groß, dass sich die Mediziner infizieren könnten", erklärt der Chefarzt. Das habe sich längst geändert. Um mehr über das Virus zu lernen, seien die Obduktionen wichtig. So lasse sich erkennen, welche Organe hauptsächlich in Mitleidenschaft gezogen werden, welche Veränderungen auftreten, wo das Virus angreift.

Die Daten aus den Obduktionen werden deshalb in einer Datenbank gesammelt und sind die Diskussionsgrundlage für das Forschungsnetzwerk. Um eine noch bessere Vergleichbarkeit zu haben, müssten nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Pathologie auch insgesamt mehr Tote untersucht werden. Um die 5 Prozent sind es, nicht einbezogen die Fälle der Rechtsmedizin. In der Pandemie liege die Quote bei 10 Prozent. &bdquo;Das ist auf Corona fokussiert. Aber um verlässlichere Auskunft darüber geben zu können, wie groß das Risiko durch das Virus ist, müsste man wissen, wie gesund die Bevölkerung eigentlich ist."

80 Prozent der Betroffenen stecken eine Infektion gut weg

Immer wieder werde betont, dass 80 Prozent eine Covid-Infektion gut wegsteckten. &bdquo;Wer weiß denn, zu welchen Prozenten er gehört – zu den 20 oder den 80?" Zumal unterschätzt werde, dass auch leichte Verläufe mit dauerhaften Schäden einhergehen können. Hansen: &bdquo;Wir haben Kollegen, die nicht mehr riechen können, die gesundheitlich nicht wieder fit werden – und das ist ein Risiko, das bei leichteren Verläufen besteht und eine größere Anzahl treffen kann."

Im Klinikum setzt man auch deshalb auf mehr Forschung. Die Obduktionen finden unter speziellen Bedingungen statt. Der Raum war bereits vorhanden, er verfügt über eine Schleuse, die Lüftung ist separat und mit speziellen Filtern ausgestattet. Alle tragen die volle Schutzausrüstung, und &bdquo;alle" umfasst ein Team von mindestens drei Personen. Dauern normale Obduktionen zwei Stunden, sind es bei den Corona-Toten vier bis fünf. Das Material, Proben von Organen wie bspw. Lunge, Herz, Darm, Niere oder Gehirn, wird präpariert und in Paraffin-Blöcken asserviert. Zehn Jahre wird es mindestens aufgehoben. &bdquo;Die Forschung entwickelt sich weiter, da ist es sinnvoll, wenn man ältere Proben zu einem Vergleich heranziehen kann", sagt Hansen.

Todesfälle zeitnah nach Impfungen würden ebenfalls untersucht. Im Klinikum Lippe habe es zwei Obduktionen gegeben. Beides waren Männer über 80, die Vorerkrankungen hatten. Und doch gab es Unterschiede. &bdquo;Im ersten Fall infizierte sich der Mann nach der ersten Impfung mit dem Virus und Bakterien. Im zweiten Fall konnte man eindeutig sagen, dass der Mann keinen Impfschutz hatte, die Impfung also für ihn wirkungslos war", stellt Hansen fest. Was nicht bedeute, dass die Impfung generell wirkungslos ist. &bdquo;Es sind – je nach Hersteller – Zahlen von bis, mit denen die Wirksamkeit angegeben wird. Und es gibt eben auch einen Rest an Menschen, bei denen es nicht wirkt."

Die Plattform &bdquo;Defeat Pandemics"

Der Aufbau eines bundesweiten Autopsie-Netzwerkes wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit fast sieben Millionen Euro gefördert. Ziel der &bdquo;Defeat Pandemics" ( Pandemien besiegen) genannten Plattform ist es, bei Autopsien gewonnene Daten und Erkenntnisse für die Bewältigung der aktuellen Pandemie und künftiger Infektionsgeschehen zu nutzen. Perspektivisch sollen alle Universitätskliniken in Deutschland in dem Netzwerk zusammenarbeiten. Sie werden die Daten der behandelten Covid-19-Patienten systematisch erfassen und in einer Datenbank bündeln. Ziel ist es, die Strukturen und Prozesse in den Kliniken weiterzuentwickeln und die Versorgung der Covid-19-Erkrankten zu verbessern.

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