Im Kreishaus geht es im Marathon durch die digitale Erfassung

Kreis Lippe. Die Heimat Riwne ist 1300 Kilometer entfernt, der Überfall der russischen Armee ist täglich allgegenwärtig, denn Olga Petruk (Name geändert) hält Kontakt zu ihrem Sohn und ihrem Enkel. Wenn sie telefonieren und der Lautsprecher angeschaltet ist, dröhnen schon mal Sirenen im Hintergrund oder die Ansprache des ukrainischen Präsidenten wird kommentiert. Die 72-Jährige ist mit ihrer Tochter und Enkelin geflohen und seit acht Wochen in Deutschland. Seit Montag wissen sie: Sie sind offiziell Teil der Gemeinschaft.

Erst steht der Corona-Bürgertest an, dann müssen die Passbilder gemacht werden. Wozu der Aufwand ist, erschließt sich dem Trio nicht im Detail. Sie sind froh, in Sicherheit zu sein, aber sie sind auch mit dem Gedanken beschäftigt, wann sie wieder nach Hause können. Erst einmal bleiben sie, und sie bekommen Geld von dem Staat, der sie aufgenommen hat.

Voraussetzung dafür ist, dass sie bereit sind, ihre Fingerabdrücke im Kreishaus abzugeben, sich digital noch einmal komplett erfassen zu lassen – auch wenn sie bereits biometrische Pässe haben. Im Amtsdeutsch heißt das, sie lernen die Personalisierungsinfrastrukturkomponente (PIK) persönlich kennen. Mittels der PIK werden definierte Kerndaten mit der Datenbank des Bundeskriminalamtes abgeglichen. &bdquo;Das war 2015 nicht im Kreishaus. Die Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan wurden in den Erstaufnahmeeinrichtungen erfasst. Die Gesamtzahl der Ukrainer, die wir jetzt haben, ist das, was 2015 in einem Jahr kam", sagt der Leiter der Ausländerbehörde, Björn Schröder. Es ist eine zusätzliche Aufgabe. &bdquo;Die Anfragen anderer Kunden können wir nicht liegen lassen."

Ukrainische Inlandspässe ohne Biometrie Im Kreishaus gibt es fünf Stationen und 3200 Ukrainer, die registriert werden müssen. Olga Petruk hat einen ukrainischen Inlandspass, dessen Daten nur mittels Dolmetscher rauszufinden sind. &bdquo;Davon gibt es einige, auch wenn das Gros biometrische Pässe hat." Der Leiter der Ausländerbehörde weiß, dass die Situation seinem Team viel abverlangt – im Untergeschoss und Obergeschoss kreischen die Sägen, es wird gehämmert, denn die sanitären Anlagen werden saniert.

Montag ist der 2000. Ukrainer dabei, der mit einer formlosen Fiktionsbescheinigung – einer vorläufigen Aufenthaltserlaubnis – das Kreishaus verlässt. Björn Schröder hat vorgesorgt, denn nicht alle Termine werden wahrgenommen. &bdquo;Mit dem Ministerium stimme ich ab, dass wir anschließend zwei Termine in Herford bekommen, dort gibt es eine Registrierungsstraße." So haben dann auch die eine Chance, die es bis Ende Mai nicht ins Kreishaus geschafft haben.

Als Olga Petruk ihre Fingerabdrücke abgibt, geht es nicht vorwärts. &bdquo;Die Haut ist zu dünn", sagt Wolfgang Termöllen . Der pensionierte Polizeibeamte hilft mit einigen ehemaligen Kollegen aus – und er kennt die Tricks. Margareta Werner vom Kommunalen Integrationszentrum übersetzt und drückt die Finger etwas fester auf die Glasplatte. Das klappt, aber dann fällt das Gerät aus. Warten. &bdquo;Das passiert, aber wir sind froh, dass das Land uns die Geräte bis Ende Mai zur Verfügung stellt", sagt Schröder. Das ist der Stichtag, bis dahin sollen alle die Ukrainer, die in die Zuständigkeit des Kreises fallen, auch erfasst sein. Detmold übernimmt seinen Teil selbst. Es hilft nur Geduld, denn die PIK-Station muss absolviert werden, die Fingerabdrücke und Fotos, die ebenfalls in dem Raum gemacht werden, werden mit der Datenbank des Bundeskriminalamtes abgeglichen. Gesucht werden Kriminelle. Vorgestern gab es einen Treffer.

Die Bundesdruckerei ist überlastet Olga Petruk mit ihren 72 Jahren, die noch nie in ihrem Leben die Ukraine verlassen hatte, bleibt gelassen. Die Daten der PIK-Station werden bei der Registrierung nicht der Ausländerbehörde weitergegeben, ein Stockwerk darüber geht es weiter. Noch einmal werden – diesmal von der Ausländerbehörde – Fingerabdrücke genommen, diese sind für den elektronischen Chip der Identitätskarte. Vergleichbar ist sie mit dem Personalausweis. Die Karte wird bestellt. &bdquo;Die Bundesdruckerei ist überlastet. Ich schätze, es wird mehr als vier Wochen dauern, bis sie da ist", so Schröder.

Auf dem Flur laufen die Handwerker hin und her, dazwischen weisen die Mitarbeiter des Kreises den Ukrainern den Weg in die Büros. Es ist laut, es dauert, doch keiner beschwert sich. Die Kinder malen an einem großen Tisch, an der Wand hängen Bilder. Sie zeigen Blumen und Bäume, die ukrainischen Farben fallen ins Auge. Olga Petruk hat sich angehört, dass es besser ist, einen biometrischen Pass zu beantragen, die ukrainische Botschaft in Düsseldorf ist zuständig. &bdquo;Warum? Ich will wieder nach Hause", sagt sie – und meint damit ihre richtige Heimat: die Ukraine.

Turbo für das Aufnahmeverfahren Die Europäische Union hat die Massenzustrom-Richtlinie in Kraft gesetzt. Konkret kann den Vertriebenen, die wegen des russischen Krieges gegen die Ukraine in die EU kommen, ohne langes Asylverfahren unverzüglich vorübergehender Schutz mit bestimmten Mindeststandards gewährt werden.

Die Richtlinie soll helfen, wenn es möglicherweise so viele Asylanträge gibt, dass das Standardverfahren zu einer Überlastung der Behörden führen könnte. Die Massenzustrom-Richtlinie wurde aber bislang noch nie genutzt, auch nicht während der großen Fluchtbewegung 2015 und 2016.

Im Ergebnis ist es für die Ukrainer sehr viel einfacher, hier Fuß zu fassen, denn sie durchlaufen kein Asylverfahren, sondern werden sofort anerkannt. Der Aufenthaltstitel ist auf zwei Jahre befristet. Wer die befristete Aufenthaltsgenehmigung hat, kann sich eine Krankenkasse suchen und erhält Mindestleistungen in der gesundheitlichen Versorgung. &bdquo;Eine Frage, die immer wieder von Ukrainern gestellt wird, ist, ob man reisen darf", sagt Björn Schröder, Leiter des Ausländeramtes des Kreises Lippes. Und da gibt es ein klares Ja. &bdquo;Das ist anders bei denen, die im Asylverfahren stehen. Sie sind an den Wohnsitz gebunden", so Schröder.

Die Ukrainer hätten die verschiedensten Gründe, warum sie zumindest kurz zurück in die Heimat wollen. Schröder: &bdquo;Es erschließt sich einem nicht, warum man in ein Gebiet, in dem Krieg herrscht, zurückkehrt, auch wenn es kurz ist. Aber einige haben ältere Verwandte zurücklassen müssen, die sie gut versorgt wissen wollen. Wir sind nicht in der Situation, wer weiß, wie wir handeln würden," sagt der Leiter der Ausländerbehörde.

Ukrainer in Lippe Insgesamt 4453 Ukrainer sind bislang im Kreis Lippe von den Kommunen erfasst worden. Die Städte und Gemeinden haben die Erstversorgung übernommen und Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ausgezahlt. Ab Juni übernimmt das Jobcenter. Geflüchtete Menschen aus der Ukraine haben Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Die Registrierung im Kreishaus ist die Voraussetzung für den Leistungsbezug.

Die Kommunen sind unterschiedlich stark belastet:

Augustdorf: 257 Bad Salzuflen:384 Barntrup:159 Blomberg: 185 Detmold: 1212 Dörentrup: 62 Extertal: 97 Horn-Bad Meinberg: 267 Kalletal: 111 Lage:640 Lemgo:421 Leopoldshöhe: 164 Lügde: 83 Oerlinghausen: 195 Schieder-Schw.: 86 Schlangen 130

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