Familie mit zwölf Kindern nimmt zwei Flüchtlinge auf

Kreis Lippe. Das Haus in Belle mit der strahlend weißen Fassade lässt von der Straße aus nicht erahnen, wie viel Platz es bietet. Immerhin 260 Quadratmeter Wohnfläche, wird Lennart Albrecht später erzählen. Platz genug für ihn und seine Frau Elena, Platz genug für zehn der zwölf Kinder - und auch noch Platz genug für zwei weitere Bewohner. Die Albrechts haben Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen, ein Brüderpaar.

Elena Albrecht öffnet die Tür, eine kleine Frau im Rock und einem Kopftuch, das die dunkelblonden langen Haare nur zur Hälfte verdeckt: Ihre blauen Augen strahlen, der Blick ist freundlich: "Kommen Sie herein", sagt sie und führt die Reporterin in ein geräumiges Wohn- und Esszimmer. Helles Holz, eine große Sitzgruppe und ein Tisch von Putinschen Ausmaßen. Nur dass hier zu Stoßzeiten wahrlich mehr Menschen auf den Holzbänken Platz nehmen als bei den Audienzen im Kreml.

"Wir nehmen nicht Partei" Politik interessiert das Ehepaar Albrecht übrigens nicht: "Wir nehmen nicht Partei", werden sie später betonen. Sie machten sich auch keine Gedanken über die russische Propaganda: "Wir haben keinen Fernseher."

Schon bei der Terminabsprache waren wir uns einig: Die beiden jungen Ukrainer sollen ihre Ruhe haben. Die Brüder müssen genug verarbeiten, müssen nicht auch noch vor der örtlichen Presse von ihren Erlebnissen erzählen. Während des Pressegesprächs spielt der Zwölfjährige draußen mit zweien seiner Pflegebrüder, der Siebzehnjährige sitzt in seinem Zimmer und lernt für seine ukrainische Abschlussprüfung - das Internet macht es möglich.

Hauptsache ist, zu helfen Wie kommen die beiden hierher? - "Wir hatten gehört, dass es 2000 Kinder und Jugendliche gibt, die ohne Begleitung aus der Ukraine nach Deutschland gekommen sind. Wir wollten helfen", erzählt die 46-Jährige.

Sie hat zwölf eigene Kinder im Alter von vier bis 24 Jahren, die beiden Großen sind schon aus dem Haus. Das Haus hat Lennart Albrecht (45) eigenhändig gebaut, unterstützt von vier Söhnen. Insgesamt sind es neun Jungs und drei Mädchen, und eigentlich, so gibt Tochter Sophia zu, hätte sie auch gern zwei neue Spielkameradinnen bekommen statt zwei Pflegebrüder. Doch die Hauptsache ist es, zu helfen.

Zwei schüchterne Pflegekinder Warum? - Elena Albrecht ist keine Frau vieler Worte. "Aus Nächstenliebe", sagt sie schlicht. "Wofür sind wir auf dieser Erde? - Um Gutes zu tun." Die Familie ist sehr gläubig, Lennart Albrecht arbeitet als Hausmeister bei einer Freien evangelischen Kirchengemeinde in Blomberg und war schon oft zu Missionsreisen im ehemaligen Ostblock unterwegs, in Rumänien, Bulgarien, auch in Sibirien. Ursprünglich sind die Eheleute vor 33 Jahren mit ihren Eltern aus Kasachstan gekommen.

Natürlich können sie beide Russisch, auch ihre Kinder verstehen die Sprache - beste Voraussetzungen, um sich mit den Neuankömmlingen zu unterhalten. "Das ist manchmal ulkig", schmunzelt Vater Lennart. Allerdings: Gesprächig sind die beiden Gäste nicht. "Sie sind sehr schüchtern, es hat eine Weile gedauert, bis sie sich überhaupt getraut haben, an den Kühlschrank zu gehen."

Die beiden wurden von ihrem leiblichen Vater an die Grenze gebracht, einen Tag nach dem Überfall Putins auf die Ukraine. "Die Mutter ist Ärztin im Dombas, sie kann da nicht weg, weil die Russen alles abgeriegelt haben", berichtet der Pflegevater. "Der Vater arbeitet wohl beim Finanzamt, aber er scheint sich nicht besonders um die Jungen gekümmert zu haben." Das Leben in einer gut organisierten Großfamilie wie hier in Belle muss den beiden vollkommen fremd sein. "Ich sag mal ein Beispiel: Wir haben einen großen Teller mit einem Berg Donuts vor sie hingestellt und gesagt: Greift zu. Die beiden haben noch nicht mal gemerkt, dass die anderen gar nichts gegessen haben, und irgendwann war der Teller leer. Meine Kinder haben ganz schön dumm geguckt, aber keiner hat was gesagt." Da hätten die eigenen Sprösslinge mal gesehen, was es heißt, Mangel zu leiden.

Erschütterndes Telefonat Besonders erschüttert hat ihn ein Telefonat mit der Mutter der Jungen: "Sie hat gesagt, sie sieht für ihre Söhne keine Perspektive in der Ukraine, wir könnten sie auch behalten." Er hatte mit dem Smartphone des älteren Bruders telefoniert - und laut gestellt. Das heißt, er konnte hören, was die Mutter gesagt hat.

Viel gesagt hat der Teenager nicht dazu, Lennart Albrecht hat nur sein Gesicht gesehen. "Sie reden nicht viel, nur wenn man sie was fragt, antworten sie", erzählt Elena Albrecht. Die Albrechts horchen ihre Pflegesöhne nicht aus, wissen nur, dass sie eine ganze Weile in Aachen in einem Auffanglager für unbegleitete Flüchtlinge gewohnt haben. Dort seien sie nicht gut zurecht gekommen, weil da auch noch sehr viele syrische Jugendliche lebten, mit denen die Verständigung schwierig sei: "Aber sie sind ja auch erst einen Monat hier, und sie werden schon auftauen." Sie gibt ihnen Zeit.

Vielleicht ein Platz für immer Jetzt ist erst mal wichtig, dass es eine Zukunft für die Jungs gibt. Der Zwölfjährige hat noch keinen Schulplatz, der Große wird demnächst aufs Felix-Fechenbach-Berufskolleg gehen. Die Rahmenbedingungen stimmen, es gibt einen Garten, eine Voliere mit Sittichen, Hühner und mit der Hand aufgezogenen Lämmchen, dazu ein wenig außerhalb noch neun Rinder für die Selbstversorgung und ein bisschen Land. "Und da müssen alle Kinder helfen, auch unsere beiden Pflegekinder. So etwas kennen die natürlich überhaupt nicht, aber wir behandeln alle gleich." Lennart Albrecht ist zuversichtlich, dass die beiden sich schon einleben werden. "Und wenn sie wollten, könnten sie auch bleiben."

Die Voraussetzungen Insgesamt leben 19 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Lippe davon 9 aus der Ukraine. Es gibt sieben Schutzfamilien im Bereich des Kreisjugendamtes. Wer einen Jugendlichen oder ein Kind aufnehmen will, bewirbt sich beim Kreis Lippe. Es muss ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorliegen, ein Gesundheitstest aller erwachsenen Pflegepersonen, das Einverständnis der Familienmitglieder, auch der leiblichen Kinder. Die jungen Menschen brauchen ein eigenes Zimmer und genügend Zeit ihrer Pflegeeltern, um sie bei der Integration zu unterstützen. Eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und dem rechtlichen Vormund sowie mit Schule und Ausländerbehörde ist Pflicht, und die Kandidaten müssen bereit sein, an Schulungen teilzunehmen. Bewerben können sich Paare und Einzelpersonen.

Familie mit zwölf Kindern nimmt zwei Flüchtlinge auf

Ein Pflegekind aufnehmen: Antworten auf 9 wichtige Fragen

Museumsadvent, Kläschen & Weihnachtsmann auf Tour: Die Wochenendtipps für Lippe

Lichterglanz, Riesenrad & Nikolausexpress: 8 Ausflugstipps für die Winterzeit in Lippe

Künstler aus Lippe erheben ihre Stimme für die Demokratie

Türchen 6: Detmold begibt sich auf weihnachtliche Zeitreise

Nach dem Urteil ist vor dem Prozess: So geht der Fall um die Detmolder Anwältin weiter

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus!

0,99 Euro im ersten Monat

Weiterlesen mit LZplus