Nach Missbrauch einer Zwölfjährigen: 22-Jähriger muss nicht ins Gefängnis

Kreis Lippe. Wenige Minuten nach dem Urteil bricht ein hagerer junger Mann auf dem Flur in Tränen aus. Es mag der Druck sein, der endlich von ihm abfällt, vielleicht ist es auch die Erleichterung, nicht ins Gefängnis zu müssen. Obwohl der 22-Jährige aus Horn-Bad Meinberg nachweislich am 19. Dezember 2020 Geschlechtsverkehr mit einem damals zwölfjährigen Mädchen hatte und darüber hinaus 132 kinderpornografische Dateien besessen hat, hält die große Jugendkammer eine zweijährige Bewährungsstrafe für angemessen.

Dem Gericht fällt die Entscheidung nicht leicht. "Das ist ein Grenzfall", sagt die Vorsitzende Richterin Anke Grudda. "Wir haben keine Zweifel an dem Sachverhalt. Viel schwieriger war es abzuwägen, wie die Taten zu bestrafen sind." Denn auf der Anklagebank sitzt ein junger Mann, dessen leicht verminderte Intelligenz und Verhaltensstörung ihm es offenbar kaum möglich machen, Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen.

Eine pädophile Störung mag der psychiatrische Gutachter Dr. Markus Müller-Küppers daher trotz der gefundenen kinderpornografischen Bilder noch gar nicht festmachen, doch für sämtliche Tatvorwürfe müsse sich der Angeklagte voll verantworten. "Er hat genau verstanden, worum es ging. Er wollte sich nur nicht einlassen", sagt der Gutachter.

Angeklagter legt Geständnis ab Vor Gericht lässt der Angeklagte dann anders als im Ermittlungsverfahren alle Tatvorwürfe über seinen Verteidiger Dr. André Pott vollumfänglich einräumen. Neben schwerem sexuellen Missbrauch und dem Besitz von Kinderpornografie steht er auch vor Gericht, weil er einer Minderjährigen (16) im Dezember 2020 ein pornographisches Video geschickt hat, in dem er masturbiert. "Ihr Geständnis war viel wert", hält Richterin Anke Grudda fest. Anderenfalls hätte die Kammer das inzwischen 14-jährige Opfer intensiv befragen müssen. Genau das wäre ihr schwer gefallen, weiß die Richterin, zumal das Mädchen selbst durch andere Probleme belastet ist.

Trotz der Bewährungsstrafe, die angesichts der Schwere der Vorwürfe eigentlich kaum infrage gekommen wäre, will die Kammer die Taten nicht kleinreden. "Sie haben mit einem zwölfjährigen Mädchen geschlafen. Das Mädchen ist dadurch belastet", sagt die Richterin. "Geschlechtsverkehr sollte man in diesem Alter nicht haben. Erst recht nicht mit einem erwachsenen Mann." Dennoch müssten die Umstände beachtet werden. Beide waren schon anderthalb Jahre befreundet, konsumierten am Tatabend gemeinsam Alkohol und Drogen, später legte sich der Angeklagte zu dem Mädchen ins Bett, zog sie aus und drang in sie ein. Das Mädchen sei laut Anklage nicht in der Lage gewesen, zu äußern, dass sie das nicht wollte.

Toxische Beziehungen zu Jugendlichen Die Tat spiegelt ein Muster wieder, das den Angeklagten immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt bringt, auch wenn es bisher laut Gutachter nie um Seuxualdelikte ging. Der junge Mann habe sich oft durch seine verminderte Intelligenz in toxische Beziehungen mit Jugendlichen gestürzt. "Das ist ein ganz ungutes Verhältnis, das aus gegenseitigem Ausnutzen besteht", sagt die Richterin.

Im Saal ist er daher kein unbekannter, ihm gegenüber sitzt ein ganzer Pulk aus Bewährungshelferinnen, Mitarbeiterinnen der Gerichtshilfe und seine gesetzlichen Betreuerin. Alle scheinen ehrlich bemüht, dem Mann zu helfen, sein Leben doch noch in den Griff zu bekommen. Inzwischen lebt er in einer betreuten Wohngruppe in einem Nachbarkreis, hat eine erste Therapie hinter sich. "Alle 14 Tage darf er seine Familie besuchen. Wir denken, mehr wäre nicht gut. Er soll nicht zu viel Kontakt zum Kreis Lippe haben", sagt eine Betreuerin.

Körperverletzung, Brandstiftung, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr Seine Vorstrafen haben es in sich. Es geht um Brandstiftung an der Schule, Körperverletzung und gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, a ls er mit einem Kumpel Steine auf der B1 von einer Brücke auf vorbeifahrende Autos geworfen hatte. Einmal soll er seinen jugendlichen Freunden ein ADHS-Medikament aufgezwungen haben, um sie "glücklicher" zu machen. Aus letzteren Vorwürfen ist noch eine einjährige Bewährung nach Jugendstrafrecht geblieben, die laut Gericht nicht zu einem Gesamturteil zusammengefasst werden kann. "Machen Sie es sich bewusst, wenn Sie noch einmal straffällig werden, haben Sie drei Jahre vor der Brust", mahnt die Richterin.

Die erlösenden Tränen auf dem Flur scheinen nicht unbegründet. Staatsanwalt Kristoffer Mergelmeyer sieht den schweren sexuellen Missbrauch anders als das Gericht nicht als einen "minderschweren Fall" an, plädiert daher für eine Haftstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten. Die große Jugendkammer kommt aber mit der vom Verteidiger Dr. André Pott geforderten zweijährigen Bewährungsstrafe überein.

Währenddessen soll der Angeklagte außerdem 40 Stunden unentgeltliche Arbeit im Monat leisten, sofern er keinen festen Job findet, und weiter in der betreuten Wohngemeinschaft leben. Ohne die Kontrolle von außen gehe es nicht.

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