Archäologen machen Sensationsfund in Schieder

Schieder-Schwalenberg. Bodendenkmalpflegerin Dr. Elke Treude, Arne Brand vom Landesverband Lippe und Archäologe und Grabungsleiter Phillip Robinson von Eggenstein Exca können es kaum fassen. Denn nachdem der Bagger bei den Routinearbeiten vor Erweiterung des Baugebietes Seeblick zwischen Schieder und Glashütte erste Spuren eines Gräberfeldes zutage gefördert hat, wurde die Überraschung Tag für Tag größer. Es begann im April, aber bis zu diesem Wochenende haben sich die Arbeiten hingezogen. Bewusst unter Ausschluss der Öffentlichkeit, um keine Hobbyarchäologen mit Sonden auf das Areal zu locken.

Die LZ durfte schon im Frühjahr dabei sein. &bdquo;Wir hatten zunächst nicht mal einen Hinweis, dass es hier überhaupt eine Siedlung gegeben hat“, sagt Dr. Elke Treude damals. Doch gesetzlich war der Landesverband Lippe als Bauherr verpflichtet, die Fläche auf mögliche Bodenfunde untersuchen zu lassen. &bdquo;Wir konnten ja nicht ahnen, dass wir auf derart tolle Funde stoßen würden“, schwärmt Arne Brand, beim Landesverband zuständig für die Immobilien. Und Ausgrabungsleiter Phillip Robinson kommt seither aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus.

Immerhin konnten er und sein dreiköpfiges Team von Grabungshelfern zunächst mehr als 14 Gräber finden, angeordnet in Reihen. &bdquo;Wir haben erst einmal den Mutterboden entfernt, und da konnten wir im Lehm schon die Verfärbungen sehen“, erläutert er. &bdquo;2 Meter lang, 60 bis 90 Zentimeter breit – da konnten wir schon recht sicher sein, dass es sich um Reihengräber handelt.“

Millimeterarbeit mit der Kelle Und schon muss der Bagger still stehen, jetzt ist Handarbeit gefragt. Systematisch arbeiten sich die Archäologen vor: Sie legen die Umrisse der jeweiligen Grube fest, dann geht es hinunter auf die Knie. Mit der Metallkelle wird Millimeter um Millimeter des gelben Lehms fortgekratzt. Natürlich ist es ungünstig, wenn Regen ihnen ins Handwerk pfuscht, aber zu viel Sonne ist auch nicht gut, weil der Lehm dann knüppelhart ist.

Beim LZ-Besuch auf der Grabungsstätte ist das Team ziemlich aus dem Häuschen, der Grabungsleiter strahlt: &bdquo;Wir haben eine Kreuzfibel gefunden“, sagt er. Solche Funde helfen, die Gräber zu datieren. Knochen sind nicht mehr oder nur noch in winzigen Fragmenten vorhanden: &bdquo;Der Boden ist sehr säurehaltig, darum ist kaum noch etwas davon übrig“, erläutert Phillip Robinson. Dass die Gräber sich so dicht unter dem Mutterboden verborgen haben und nicht viel tiefer sind, liege vermutlich an der Erosion und Bodenbewegungen. &bdquo;Ursprünglich werden die Särge etwa 1,50 Meter tief gelegen haben.“

Schicht für Schicht arbeiten sich die Grabungshelfer vor. An diesem Morgen ist Moritz Fieseler auf die Fibel gestoßen, die einst benutzt wurde, um Kleidung zusammenzuhalten. &bdquo;Sie ist genau an der Stelle, an der man ein solches Stück erwarten würde – in Brusthöhe der hier beerdigten Frau“, sagt Archäologe Robinson.

Sehr reiche Menschen in den Gräbern Es ist die sechste Schicht, die sie an diesem Grab freigelegt haben, und schon jetzt können sie sehen: Hier ist noch mehr zu holen, vermutlich auch Perlen, die zu einer Kette gehörten. Davon haben sie in einem anderen Grab schon diverse gefunden, wunderschöne Mille Fiori-Arbeiten. &bdquo;Die sind ein Traum“, sagt Dr. Elke Treude, die die anderen Funde bereits begutachtet hat. &bdquo;Mille Fiori bedeutet Tausend Blüten. Ganz feine Glasstäbe werden erhitzt und so zusammengeschweißt, dann noch gedreht, so dass wunderschöne Muster entstehen.“ Nicht in Lippe, sondern im Rheinland wurden sie vermutlich hergestellt: &bdquo;All das deutet darauf, dass hier sehr reiche Menschen beerdigt worden sind“, sind sich die Experten einig.

Unter den Funden ist auch etwas, was Arnd Brand scherzhaft einen &bdquo;Sax im Lotto“ nennt. Ein Sax ist eine einschneidige Hiebwaffe, die hier einem Verstorbenen mit ins Grab gelegt wurde. Wie sie genau aussieht, wird sich erst zeigen, wenn die Restauratoren des Landschaftsverbandes in Münster sie freigelegt haben. Denn anders, als manch einer sich das vorstellt, werden die Funde en bloc geborgen, um sie unter besseren Verhältnissen säubern zu können – und nichts zu zerstören.

Das wird auch für die Kreuzfibel so kommen. Doch weil die Archäologen rund herum bereits eine Perlenkette vermuten, arbeitet Moritz Fieseler mit dem Holzwerkzeug vorsichtig die Umgebung ab. Nach und nach legt er behutsam eine Perle nach der anderen frei. Weil sie aus Glas bestehen, sind sie sehr empfindlich, ein Metallwerkzeug wäre hier fehl am Platz. Der eisige Wind, der über die Grabungsstätte fegt, ist vergessen, Phillip Robinson bringt bereits die notwendigen Utensilien herbei, um die Fundstücke aufzunehmen: Küchentücher als Stoßschutz und Zipp-Beutel, die ordentlich beschriftet werden, als handele es sich hier um den Schauplatz eines Verbrechens.

Ein bisschen wie beim Tatort &bdquo;Ja, das ist ein bisschen wie beim Tatort“, sagt Dr. Treude schmunzelnd. Doch auch Ehrfurcht hängt über der Grabstätte: &bdquo;Stellen Sie sich mal vor, wir sind die ersten Menschen, die diesen Schmuck nach all den Jahrhunderten wieder zu Gesicht bekommen“, kommentiert Phillip Robinson, der auch nicht alle Tage solche Funde zu Gesicht bekommt.Die Lipper hingegen werden eines Tages im Landesmuseum in Detmold die Chance haben. &bdquo;Ich weiß schon, wo die hinkommen“, lacht Dr. Treude.

Viele Erkenntnisse werden sie und das Archäologenteam erst gewinnen, wenn sämtliche Funde ausgewertet sind. Beispielsweise, was es mit dem Behältnis auf sich hat, das sich in einem von zwei Kindergräbern befunden hat. Oder mit der Lanzenspitze, die ebenfalls wie die Fibel noch im Lehmklumpen steckt.Eine erstaunliche Besonderheit: &bdquo;Fast alle Gräber liegen in Ost-West-Richtung. Aber an drei Stellen überkreuzen sie sich jeweils noch mit einem weiteren Grab, das jeweils in Nord-Süd-Richtung angeordnet ist.“ Noch wissen die Wissenschaftler nicht, was dahinter steckt.

100 wunderschöne Perlen Wie weit noch gegraben wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Im hinteren Bereich sind die Archäologen bereits auf Spuren von Pfosten gestoßen, die allerdings weit weniger spektakulär ausfallen. Mittlerweile ist die Grabungsstätte frei gegeben. Mehr als 50 Gräber wurden freigelegt, in &bdquo;fast jedem zweiten Grab haben wir was gefunden“, sagt Robinson. Insgesamt mehr als 160 Fundstücke, darunter sogar ein Schwert mit noch erhaltenen Holzteilen.

Ein Teil der Funde ist auch schon zurück in Lippe, sorgsam von Lehm befreit. Darunter ist auch die Fibel. Darüber hinaus fanden sich mehrere Waffen, kleinere Messer, drei Paar Armreifen und mehr als 100 wunderschöne Perlen.

Archäologen machen Sensationsfund in Schieder

Detmolder Archäologen: Was Gräberfunde über die Menschen vor 1400 Jahren verraten

Forschung in Dörentrup: Archäologen stoßen auf eisenzeitliche Rätsel

Darum klafft immer noch ein Loch in Blombergs Burgmauer

Archäologie zum Anfassen: Selbstversuch auf dem Piepenkopf bei Dörentrup

Hobby-Archäologe findet bedeutenden Schatz aus Eisenzeit

Warum der Blomberger Stadtmauer ein Zacken in der Krone fehlt

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus

0,99 € im ersten Monat

Angebot: Jahresabo nur 99 €