„Hamburger Schule“: So hat Gitarrenpop aus Lippe Deutschland erobert

Kreis Lippe. Toxische Männlichkeit, Feminismus – die Popwelt debattiert zurzeit auf Grundlage eines NDR-Mehrteilers mit Leidenschaft über die so genannte &bdquo;Hamburger Schule“. Gab es die überhaupt? Wer darf das definieren? War es ein Männerclub und wurde bei Konzerten von Frauenbands erstmal &bdquo;Ausziehen!“ im Publikum gerufen? Wie war das Anfang der Neunziger? Fakt ist zumindest: Die &bdquo;Hamburger Schule“ wurde sozusagen in Bad Salzuflen und Ostwestfalen geboren.

&bdquo;Hamburger Schule“ – der Begriff umschreibt eine Richtung, die von Bands und Musikern geprägt wurde, die die deutschssprachige Popmusik in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern neu entwickelt haben. Es ging um Independent, Low-Fi, eine Gegenbewegung zum sich etablierenden Deutsch-Rap, Eurodance und Techno im Umfeld einer von Grunge und Nirvana geprägten Rockmusik. Man erfand sich selbst neu und definierte zugleich die Abgrenzung zu internationalen Vorbildern, die die Band Tocotronic klar mit einem Titel umschrieb: &bdquo;Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk.“

&bdquo;Wir sind hier nicht in Seattle“ Was das Flanellhemd für den Grunge war, waren Cordhosen und Trainingsjacken mit Adidas-Turnschuhen für den deutschen Gitarrenpop zwischen Songwriting, Indie-Rock und Punk zu poetischen Texten. Dazwischen gab es vereinzelt reine Frauenbands, die die Gitarren tiefer hängten und es krachen ließen - ganz wie die von der &bdquo;Riot Grrl“-Idee inspirerten US-Bands Hole, Lemonbabies, Bikini Kill und weitere. Dabei ging es natürlich vor allem um Musik, aber auch um eine Reaktion auf die Dominanz von Männern in der Musikszene sowie auf typisch männliches Gehabe bei Bühnenshows. In Deutschland setzten die Frauenbands wie &bdquo;Die Braut haut ins Auge“ und weitere Akzente in sich einer feminisierenden Rockszene - und zugleich einen Kontrapunkt zu allen Tic Tac Toes, Lucilectrics und No Angels jener Zeit.

Künstlerisch prägte und ermöglichte die &bdquo;Hamburger Schule“ seinerzeit im Grunde alles, was in Deutschland - seither und noch heute – als Gitarrenpop zu deutschen Texten gespielt wird. Ein Buch und eine ARD/NDR-Doku zeichnet jene Zeit aktuell nach: &bdquo;Die Hamburger Schule – Musikszene zwischen Pop und Politik – Anspruch und Widerspruch“. Sie hat Wellen geschlagen, denn so manche Protagonisten jener Epoche kritisieren die Macher kräftig – oder verdeutlichen, wie toxisch männlich doch die Zeiten in den frühen Neunzigern trotz allem Emo, Diskurs und intellektuellem Getexte waren. Der Streit schlägt Wellen quer durch die Medien – ob in Taz, Spiegel, Die Zeit, in der Musik-Fachpresse oder in Social Media.

Gegen die Dominanz der Männer in der Rockmusik Geprägt wurde die &bdquo;Hamburger Schule“, die – der Name sagt es – ein vor allem in Hamburg verortetes Pop-Phänomen war, von Bands wie Tocotronic, Die Sterne, Lassie Singers, Die Braut haut ins Auge, Die Goldenen Zitronen, Blumfeld oder Musikern wie Bernd Begemann, der zu den lautesten Kritikern jener Doku gehört, die in der ARD Mediathek abrufbar ist. Und alle mussten erstmal nach Hamburg gelangen, um sich dort zu finden. Viele flohen dorthin aus Bad Salzuflen. Dazu gehört Bernd Begemann selbst, der aus der Salzestadt stammt. Weiter sind da Jochen Diestelmeyer (Blumfeld), Frank Spilker (Die Sterne) und auch Bernadette la Hengst (Die Braut haut ins Auge) und einige weitere Ostwestfalen.

Bernadette la Hengst erklärte der LZ einmal, dass eine große Rolle seinerzeit ein Label namens &bdquo;Fast Weltweit“ spielte. &bdquo;Als wir Mitte der Achtziger angefangen haben“, schilderte sie, &bdquo;gab es so etwas wie Popmusik mit deutschen Texten jenseits von Ironie, Funpunk oder Post-New-Wave-Pathos nicht. Wir haben unsere provinzielle Art, das Leben als Ganzes zu beschreiben, danach in die Großstdäte getragen wie so viele andere auch. Und daraus hat sich dann wieder etwas anderes entwickelt, was denn in den 90ern von den Medien Hamburger Schule genannt wurde.“

Bernadette la Hengst hatte außerdem mehrtägige Festivals mit hunderten Künstlerinnen mitorganisiert. Es ging um das Vernetzen von Frauen und das Recht, zu rocken. &bdquo;Männer leben seit Jahrtausenden in männlichen Netzwerken“, erklärte sie der LZ damals. &bdquo;Es ist Zeit, dass wir dem etwas entgegensetzen.“ Und zur laufenden Doku erklärt sie: &bdquo;Sie wird kontrovers diskutiert, und das ist auch gut so, denn es gab ja auch damals keine Homogenität in der Szene. Die Filmemacherin Natascha Geier hat in den 60 Minuten versucht, die Geschichte aus ihrer Sicht zu erzählen.“ Blumfeld wollten nicht dabei sein, Bernd Begemann fehle und auch wichtige andere Protagonisten wie die damaligen einflussreichen Spex-Journalistinnen Kersty & Sandra Grether tauchten nicht auf. &bdquo;Dennoch ist es eine für mich berührende Doku geworden, in der auch einige Musikerinnen wie Nixe von den Mobylettes, Christiane Rösinger von den Lassie Singers oder ich mit Die Braut haut ins Auge als wichtige Protagonistinnen zu Wort kommen.“

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