Mädchen (17) angefahren: Überraschende Wende im Detmolder Prozess wegen versuchten Mordes

Bad Salzuflen/Detmold. Es dauert etwas, bis der Angeklagte aus Bad Salzuflen sich vor dem Schwurgericht zu einem Geständnis durchringt. Das ist sein gutes Recht: Die Staatsanwaltschaft Detmold wirft dem 44-Jährigen versuchten Mord durch Unterlassen vor. &bdquo;Da war bei mir der Kopf aus“, sagt er schließlich. Es sind die ersten Worte zur Sache nach Monaten des Schweigens.

Den Knall des Zusammenstoßes habe er zwar wahrgenommen, sagt der angeklagte Transporterfahrer am Freitag im Sitzungssaal, und auch etwas nach rechts wegfliegen sehen. Aber: Dass es sich dabei um einen Menschen gehandelt haben könnte, sei ihm in diesem Moment nicht klar gewesen. Genauso wenig will der Angeklagte gemerkt haben, dass eine Vespa in seiner Kühlerhaube steckte. &bdquo;Alles war voller Qualm, ich habe nichts gesehen.“ Sein Verhalten danach wirft dennoch Fragen auf.

Die Szene auf der Kreuzung am Messezentrum in Bad Salzuflen klingt letztendlich wie das Drehbuch eines surrealen Films. Ein Mädchen (damals 17) liegt am 22. Januar kurz vor Mitternacht schwer verletzt und bewusstlos auf der Straße, um sie herum ein Meer aus Splittern und Fahrzeugteilen. Nur von den beiden offensichtlich beteiligten Unfallwagen fehlt jede Spur. Weder die Vespa der 17-Jährigen ist auffindbar, noch der Transporter, der sie den Spuren nach gerammt haben könnte. Die Rollerfahrerin selbst hat keine Erinnerung mehr, kommt mit Hirnblutungen und Knochenbrüchen ins Krankenhaus. Die Polizei findet nur einen Mercedes-Stern auf der regennassen Fahrbahn.

Polizei trifft auf rätselhafte Unfallstelle So rätselhaft, wie Ersthelfern und Polizeibeamten die Unfallstelle an der Kreuzung im ersten Moment erscheint, ist der Fall ein halbes Jahr später zum Prozessauftakt gegen den mutmaßlich verantwortlichen Unfallfahrer längst nicht mehr. Die Polizei hatte den 44-jährigen Salzufler bereits wenige Stunden nach dem Unfall überführt. Seitdem sitzt der Mann in U-Haft. Es gibt sogar Videos, die zeigen, wie der Transporter in der Nacht mit einem im Kühler verkeilten Gegenstand durch die Straßen fuhr. Polizeibeamte hatten die mögliche Strecke nach Überwachungskameras abgefahren und waren fündig geworden. Es war die Vespa des Mädchens - aufgespießt wie eine Galionsfigur.

Trotz der Beweislage behält der 44-jährige Angeklagte an der Seite seines Verteidigers Axel Isermann aus Enger zunächst sein Schweigen bei. Erst sitzt die junge Frau im Zeugenstand, die bei dem Unfall fast ihr Leben verlorenen hätte . In dieser Woche habe sie ein weiteres MRT machen lassen, sagt die 18-jährige Emilia. Die Hirnblutung sei inzwischen verschwunden und auch sonst wäre ihr Leben zur Normalität zurückgekehrt. &bdquo;Ich habe mein Abi zwar wegen des Unfalls nicht machen können, aber ich fange bald eine Ausbildung an.“ Nur eine Narbe am Schlüsselbein erinnert an die vorangegangenen schmerzhaften Schulteroperationen.

Der Vorsitzende Richter Karsten Niemeyer hält zu Recht fest, dass sie &bdquo;großes Glück im Unglück“ gehabt hätte. Zum Unfallhergang an sich kann Emilia nichts mehr beitragen. Sie erinnert sich nur noch, dass sie bei ihrer Freundin durch die Tür gegangen sei, dann sei sie im Krankenhaus aufgewacht. Erst als die junge Frau als Nebenklägerin an der Seite ihrer Anwältin Dorothea Springstein Platz nimmt und der Vorsitzende Richter ein Rechtsgespräch anregt, ändert der Angeklagte seine Strategie und lässt sich ein.

Unfallfahrer versteckt Roller des Mädchens Eine Dose Jacky-Cola und ein Mischbier hatte er am Unfallabend bei einer Bekannten getrunken. Er habe das Mädchen vor sich auf der Straße nicht gesehen, sonst hätte er angehalten, davon ist der damalige Fahrer eines Bauunternehmens überzeugt. Nach dem Unfall hätte er direkt seinen Chef angerufen und ihn gefragt, ob er den qualmenden Transporter in die Halle bringen könne. Erst als er auf dem Firmengelände ausgestiegen sei, habe er den Roller in seinem Kühler gesehen. Der Vorsitzende will wissen, was ihm in dem Moment durch den Kopf gegangen sei. Die Gedanken könne er gar nicht fassen, sagt der Angeklagte. &bdquo;Da war irgendwie Feierabend.“

Den Roller habe er erst in der Halle und anschließend in einem Hänger verstaut, da er nicht klar habe denken können. Sein Chef hätte ihm geraten, am nächsten Tag zur Polizei zu gehen, sagt der 44-Jährige vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft geht eher davon aus, dass der Chef geholfen habe, die Tat zu vertuschen. Aus diesem Grund läuft auch gegen den Firmeninhaber ein Ermittlungsverfahren, berichtet Oberstaatsanwalt Christopher Imig am Rande. Der Arbeitskollege, der ebenfalls vor Gericht aussagen soll, erscheint erst gar nicht.

Der Angeklagte selbst richtet sich am Ende doch noch an die junge Geschädigte und deren Eltern. &bdquo;Es tut mir wirklich leid, was Sie mitmachen mussten“, sagt er. Er sei selber Vater und wolle nicht an ihrer Stelle sein. Emilia nimmt seine Entschuldigung nickend zur Kenntnis.

Zum Prozessauftakt sagen auch noch die Ersthelfer aus, die das bewusstlose Mädchen ein paar Minuten nach dem Unfall auf der Straße gefunden hatten. Wie ein &bdquo;Müllsack mit Beinen“ habe die junge Frau ausgesehen. Ihr Helm habe etwa zehn Meter weiter, scheinbar ordentlich drapiert, auf der Straße gelegen. Ein DEKRA-Gutachten hält es für wahrscheinlich, sagt Niemeyer, dass die junge Frau kurzzeitig bei Bewusstsein gewesen sein könnte und den Helm abgesetzt habe.

Wie zusammengekauert hätte das Mädchen dort gelegen, berichtet eine 50-jährige Zeugin. &bdquo;Hätte ich nicht am Tag davor einen Verkehrsunfall beobachtet, hätte ich niemals so schnell reagiert.“ Sie sei gerade noch ausgewichen und habe die Unfallstelle absichern können. Der Gedanke, was alles hätte passieren können, belaste sie heute noch.

Der Prozess wird am 17. Juli fortgesetzt.

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