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Herausfordernde Situation

IHK Lippe schlägt Alarm: Ausbildung in Lippe steht am Scheidepunkt

Kreis Lippe. Weniger Bewerber, mehr offene Stellen, der fehlende Abi-Jahrgang 2026: Die lippische Wirtschaft schlägt Alarm.

Angesichts der herausfordernden Gesamtlage für die Berufliche Bildung alarmiert die Industrie- und Handelskammer Lippe zu Detmold (IHK Lippe) in einer Pressemitteilung hinsichtlich der Ausbildungssituation in Lippe und fordert ein entschlossenes politisches und gesellschaftliches Gegensteuern.

Viele unbesetzte Ausbildungsstellen

Trotz starker Ausbildungsbereitschaft der großen und kleinen Unternehmen seien zum Ausbildungsstart am 1. August rund 150 IHK-Ausbildungsplätze unbesetzt geblieben. Hinzu kämen weitere offene Stellen bei Partnern wie Agentur für Arbeit, Jobcenter und kommunalen Netzwerken. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge im IHK-Bereich sei gegenüber dem Vorjahr um rund ein Drittel zurückgegangen – ein historischer Tiefstand seit den späten 1990er-Jahren.

Die IHK-Ausbildungsumfrage 2025, aktuelle Wirtschaftsdaten sowie Rückmeldungen aus den ausbildenden Betrieben unterstreichen die kritische Situation: „Weniger Schulabgänger, vor allem im ländlichen Raum. Fehlende Berufsorientierung und fehlende klare Zukunftsbilder in Schulen. Wachsende Unsicherheit bei Jugendlichen. Konkurrenz durch schulische Angebote, oft als einfacher oder attraktiver wahrgenommen. Besonders betroffen sind Metall-, Elektro- und IT-Berufe – traditionell das Rückgrat der lippischen Wirtschaft“, erklärt die IHK in der Mitteilung.

In einigen Berufen seien so wenige Ausbildungsverträge geschlossen, dass Berufskollegs wahrscheinlich mit weniger Klassen starten müssten. „Ein gefährlicher Teufelskreis: weniger Ausbildung – weniger Infrastruktur – weniger Fachkräfte“, fasst IHK-Hauptgeschäftsführerin Svenja Jochens die drohenden Konsequenzen zusammen. Aus Ihrer Sicht nähert sich die zukunftssichere Ausbildung in Lippe dem Scheidepunkt.

Das Bild der Ausbildung hat sich verändert

Der regionale Status Quo spiegelt überregionale Tendenzen wider. Der NRW-Fachkräftemonitor der nordrhein-westfälischen IHKn belegt den Rückgang qualifizierter Beschäftigter und eine Zunahme unbesetzter Stellen, besonders in Industrie, Handwerk und Pflege. Die aktuelle Bertelsmann-Studie bestätigt, dass die Zahl der Jugendlichen in Ausbildung nicht sinke, weil die Angebote fehlen, sondern weil sich das Bild von Bildung und Karriere bei Jugendlichen, Eltern und im System selbst negativ verändert habe.

Einen zusätzlichen, strukturellen Einschnitt bildet nach Angaben der IHK das Entfallen des letzten G8-Abiturjahrgangs in 2026. In Lippe falle damit eine große Bewerbergruppe nahezu vollständig weg – gerade in Berufen, in denen Abiturienten traditionell stark vertreten sind. Martin Raithel, IHK-Abteilungsleiter für die Ausbildung, rechnet in der Folge „mit einem spürbaren Bewerbermangel, etwa bei dualen Studiengängen, kaufmännischen Berufen, Technik und IT.“

Die IHK Lippe empfehle deshalb eine frühzeitige Besetzung von Ausbildungsplätzen für 2026, eine gezielte Ansprache neuer Zielgruppen wie Studienaussteigern oder Jugendlichen mit Realschulabschluss sowie eine stärkere kommunikative Aufwertung der Ausbildung, unter anderem durch die IHK-Kampagne jetzt#könnenlernen.

Wirtschaft braucht politische Rückendeckung

„Unsere Unternehmen sind nicht untätig, im Gegenteil, die Wirtschaft handelt längst – aber sie braucht politische Rückendeckung für diesen Scheidepunkt“, unterstreicht Jochens. Dafür formuliert die IHK Lippe vier zentrale Forderungen:

• Verbindliche Berufsorientierung an allen Schulformen, besonders in Abschlussklassen, über KAoA (Kein Abschluss ohne Anschluss) hinaus.

• Wirtschaftsbildung - nicht als neues Schulfach, sondern eingebettet in Politik, Gesellschaftslehre und Mathematik.

• Grundkompetenzen stärken: Deutsch, Mathematik, Naturwissenschaften als Fundament.

• Berufskollegs sichern und modernisieren – baulich, digital, regional erreichbar.

Zu den aktuellen Maßnahmen der IHK zählen der Lehrstellenendspurt 2025 mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit und Nachfassaktionen, die Ausbildungsmesse „Berufe live“ in Detmold vom 18. bis 20. September, die Verteilung des neuen Ausbildungsatlas ab dem 29. August sowie die erneute Teilnahme an der bundesweiten IHK-Kampagne jetzt#könnenlernen, die das Lebensgefühl Ausbildung über authentische Azubi-Stories transportiert.

„Ausbildung ist eine der Lebensadern unserer Wirtschaft. Sie darf nicht versiegen,“ bringen es Jochens und Raithel auf den Punkt. „Wir fordern von Politik, Schulen und Gesellschaft ein Gegensteuern. Die Fachkräftesicherung in Lippe gelingt nur, wenn alle Beteiligten Verantwortung übernehmen. Es braucht mehr Offenheit für betriebliche Ausbildungswege, mehr Realitätsnähe im Unterricht und mehr Anerkennung für junge Menschen, die mit Ausbildung ins Berufsleben starten.“

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