50 Jahre Blaues Kreuz Lippe: Warum die Suchtberatung jetzt den Fokus auf Kinder legt

Kreis Lippe. Wer trinkt, schadet nicht nur sich selbst. Das sieht Thomas Reichert, Einrichtungsleiter des Blaukreuz-Zentrums Lippe, immer wieder in den Beratungsgesprächen. Oft genug offenbare der Blick in die Vergangenheit von Betroffenen, dass Alkohol schon in der Kindheit sehr präsent gewesen ist. &bdquo;Viele berichten, dass sie in einem Elternhaus aufgewachsen sind, wo viel Alkohol getrunken wurde“, sagt Reichert. Oft sei das der Anfang vom Ende.

Die Statistik dahinter ist besorgniserregend. Alkoholmissbrauch innerhalb der Familie lasse sich oft nicht einfach abstreifen. &bdquo;Etwa ein Drittel der Kinder, die ein suchtkrankes Elternteil haben, wird auch alkoholkrank“, sagt Thomas Reichert. Darüber hinaus habe ein weiteres Drittel mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen, nur der verbleibende Anteil entwickele später gar keine Symptome.

Das Problem: Wenn alkoholkranke Menschen selbst keine Hilfe aufsuchten, blieben junge Familienmitglieder oft alleingelassen und abgeschottet zurück. Suchtberatungsstellen müssten daher auch verstärkt den Fokus auf Kinder aus suchtbelasteten Elternhäusern legen, findet Reichert. Dafür hat sich das Blaukreuz-Zentrum Lippe nun extra mit einem speziellen Programm der Beratungsstelle Wesel weiterbilden lassen.

&bdquo;Jedes Kind muss eine Chance haben“ Im Coaching zu &bdquo;Fitkids“ geht es darum, besser mit den hiesigen Jugendämtern zu kooperieren und ein Netzwerk zu schaffen, in dem Kinder aus betroffenen Familien aufgefangen und unterstützt werden können. Das Motto ist eingängig: &bdquo;Kein Mensch kann bestimmen, wohin er geboren wird, aber jedes Kind muss eine Chance haben“, heißt es im Begleittext zum Programm.

Das Zertifikat zur Weiterbildung bekommt das Blaukreuz-Zentrum Lippe nun pünktlich zum 50-jährigen Jubiläum überreicht. Ein Siegel, das man sich verdienen müsse. Die lippische Suchtberatungsstelle verpflichtet sich damit, regelmäßige Aktionen für Kinder und Jugendliche anzubieten - so wie den diesjährigen Ausflug in den Tierpark Olderdissen. Aus Reicherts Sicht muss sich aber noch viel mehr tun. &bdquo;Unser nächster Schritt ist, ein eigenes Angebot zu entwickeln“, sagt er.

Denn Kinder betreffe der Alkoholkonsum der Eltern genauso wie die von der Sucht direkt Betroffenen. Viele Erwachsene zeigten sich in den Beratungsstellen zwar sicher, ihre Kinder von dieser düsteren Seite fernhalten zu können. Aber die Realität sehe meist ganz anders aus. &bdquo;Viele sagen, mein Kind hat gar nichts mitgekriegt“, sagt Thomas Reichert. &bdquo;Das ist aber nicht der Fall.“

Unfreiwillige Geheimnishüter Die Praxis zeige, dass Kinder aus suchtbelasteten Familien oft damit konfrontiert würden, wie sich Elternteile im Alkoholrausch charakterlich veränderten. &bdquo;Plötzlich erleben sie Elternteile nicht mehr zugewandt, sondern unberechenbar und reizbar.“ Kinder aus suchtbelasteten Familien würden dazu automatisch verstärkt in die Erwachsenenrolle gedrängt und - manchmal auch unbewusst - zu Geheimnishütern verpflichtet.

Schon im Kindesalter bekämen viele dabei ein Bild vermittelt, das sich später auf ihre eigene Pubertät und das Erwachsenwerden auswirken könne. &bdquo;Was wir erleben, ist, dass Kinder lernen: Wenn es Probleme gibt, trinken die Eltern - später ahmen sie das nach.“ Die hiesige Suchtberatungsstelle wolle daher unbedingt bald Beratungsgespräche für junge Menschen - also unter 18 Jahren - anbieten.

Das sei bisher nicht vorgesehen, dabei sei der Bedarf da. &bdquo;Wir haben laufend Anfragen.“ Zwar sei das klassische Komasaufen in der jüngeren Generation weniger geworden, dafür beobachte die Beratungsstelle gerade bei Jüngeren aber verstärkt Mischkonsum. Immer wieder müssten die Therapieansätze verschoben werden. Das ganze Konsumverhalten ändere sich, sagt Reichert.

Alkoholkonsum in der Schwangerschaft Um Kinder und Jugendliche besser zu unterstützen, bräuchten sie genug Raum und ein Ventil, wo sie Dampf ablassen könnten. Thomas Reichert sagt aber auch, dass die Finanzierung solcher Beratungsangebote schwer sei. Ein wichtiges Themenfeld der Suchtberatung, das dabei immer wieder ausgeklammert werde, sei der Umgang mit Kindern, die bereits durch Alkoholkonsum während der Schwangerschaft nachhaltig geschädigt wurden.

&bdquo;Solche Kinder sind stark verhaltensauffällig und werden oft kriminell“, sagt der Einrichtungsleiter. Die Diagnose einer Fetalen Alkohol-Spektrums-Störung sei aber nicht immer leicht, auch wenn es sogar optische Merkmale gebe. &bdquo;Viele erhalten die Diagnose erst spät im Erwachsenenalter und laufen vorher unter ADHS“, sagt Reichert. Und warum? &bdquo;Weil sich ein Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom besser anhört als zuzugeben, dass man während der Schwangerschaft getrunken hat.“ Doch auch das gehöre zur Realität in den Suchtberatungsstellen. Umso wichtiger sei es, hier auch genau hinzuschauen.

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