Mordfall Brake: Ein willkürlicher Angriff erschüttert ganz Lippe

Lemgo. Es ist der Abend des 20. Oktober, als in einem Edeka-Markt in Brake ein ganz normaler Einkaufstag in blankes Entsetzen umschlägt. Gegen 20.30 Uhr greift ein 33-jähriger Lemgoer im Kassenbereich einen 16-Jährigen mit einem Messer an und verletzt ihn so schwer. Reanimationsversuche bleiben erfolglos. Der 16-Jährige stirbt noch am Tatort.

Mehrere Kunden und Mitarbeiter werden Zeugen des brutalen Angriffs. Der Tatverdächtige lässt sich noch im Markt widerstandslos festnehmen. Augenzeugen berichten, der Mann habe sich gestellt und gesagt: &bdquo;Es tut mir leid.“ Er wird zunächst medizinisch behandelt und anschließend in Polizeigewahrsam genommen. Bereits am nächsten Tag ordnet eine Haftrichterin Untersuchungshaft wegen Mordes an.

Keine Beziehung, kein Streit Zunächst gehen die Ermittler von einem vorausgegangenen Streit aus. Doch Videoaufnahmen und Zeugenaussagen zeichnen ein anderes Bild: Täter und Opfer kannten sich nicht, Hinweise auf eine Vorgeschichte gibt es nicht. Nach jetzigem Stand soll der 33-Jährige auf dem Parkplatz mit einem Messer auf den 16-Jährigen und zwei Begleiter zugelaufen sein. Die Jugendlichen flüchten, zwei von ihnen in den Supermarkt.

Im Eingangsbereich vor den Kassen stürzt der 16-Jährige. Diesen Moment soll der Täter genutzt haben, um auf den am Boden liegenden Jugendlichen einzustechen – in Brust und Kopf. Die Ermittler werten die Tat als Mord aus Heimtücke, da das Opfer arg- und wehrlos gewesen sein soll. Wie oft zugestochen wurde, bleibt offen. Die Tatwaffe wird am Tatort sichergestellt.

Der Beschuldigte schweigt bislang zu den Vorwürfen. Sein Verteidiger erklärt später, möglicherweise werde sich nie vollständig klären lassen, warum es zu dieser Tat kam.

Schock, Trauer und Anteilnahme Auch am Tag nach dem Angriff bleibt der Bereich um den Markt abgesperrt. Viele Anwohner erfahren erst jetzt von dem Geschehen und reagieren fassungslos. Auf dem Parkplatz entsteht eine Gedenkstätte mit Kerzen, Blumen und Fotos. Besonders viele Jugendliche halten sich dort auf, suchen Nähe und Halt.

Auch im Umfeld des Marktes ist die Verunsicherung groß. Kunden sprechen von Angst, Nachdenklichkeit und davon, wie nah Gewalt plötzlich kommen könne. Lemgos Bürgermeister zeigt sich &bdquo;zutiefst erschüttert“ und spricht den Angehörigen sowie den Zeugen sein Mitgefühl aus.

Noch in der Tatnacht betreuen Notfallseelsorger rund 15 Augenzeugen. Auch beim Überbringen der Todesnachricht an die Eltern des Jugendlichen begleiten sie die Polizei. Die Tat, so heißt es später, habe selbst erfahrene Einsatzkräfte stark belastet.

Der getötete 16-Jährige sowie seine Geschwister besuchen Schulen des Christlichen Schulvereins Lippe. Trotz Herbstferien werden Krisenstäbe eingerichtet, Trauerräume vorbereitet und Unterstützungsangebote für Mitschüler, Lehrkräfte und Angehörige organisiert.

Pietätloses Video und neue Ermittlungen Für zusätzliches Entsetzen sorgt einige Tage später ein Video des schwer verletzten Jugendlichen, das im Internet kursiert. Ermittlungen zufolge soll eine Augenzeugin die Aufnahmen noch vor Eintreffen des Notarztes gemacht und an ihren Lebensgefährten geschickt haben, der das Video dann unerlaubterweise weiterverbreitete.

Gegen beide wird wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs ermittelt. Der Staatsanwalt spricht von einer &bdquo;äußerst pietätlosen Tat“, die für die Familie des Opfers besonders belastend sei. Das Material lässt sich nicht mehr vollständig aus dem Netz entfernen.

Drogen im Fokus der Ermittler Im Verlauf der Ermittlungen rückt ein möglicher Drogenkonsum des Beschuldigten in den Mittelpunkt. Fünf Wochen nach der Tat wird bekannt: Der Mann hatte zur Tatzeit eine erhebliche Menge Amphetamine sowie Cannabis im Blut. Alkohol spielte kaum eine Rolle. Andere hätten bei solch einem Cocktail wohl kaum noch stehen geschweige denn atmen können, sagt Oberstaatsanwalt Alexander Görlitz Ende November der LZ. Ob dies zu einem Kontrollverlust geführt hat und wie es um seine Schuldfähigkeit stand, soll ein psychiatrisches Gutachten klären, das wahrscheinlich erst im kommenden Jahr fertig sein wird.

Zum Jahresende bleibt der Mordfall ungeklärt in seiner Motivation. Fest steht: Täter und Opfer kannten sich nicht, ein Streit ging der Tat nicht voraus. Für viele Menschen in Lemgo bleibt die Tat ein tiefer Einschnitt – ein Akt willkürlicher Gewalt, der das Sicherheitsgefühl im Alltag nachhaltig erschüttert und eine Frage offenlässt, auf die es bis heute keine Antwort gibt: Warum?

Zwei Monate nach dem tödlichen Messerangriff hat die Staatsanwaltschaft Detmold Anklage wegen Mordes aus Heimtücke vor dem Landgericht Detmold als Schwurgericht erhoben. Der Prozess wird wahrscheinlich im Frühjahr stattfinden.

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