So wappnet das Jugendheim Heiden Kinder und Jugendliche gegen Übergriffe

Lage. Die Ergebnisse der sogenannten Forum-Studie , die sich mit sexuellen Übergriffen in der evangelischen Kirche und in der Diakonie befasst, haben bei vielen für Entsetzen gesorgt. Was sind die ganz praktischen Konsequenzen für die Jugendarbeit?

Seit 36 Jahren ist Diakonin Ute Schmutzler-Frohwitter verantwortliche Ansprechpartnerin für Kinder und Jugendliche, die das Jugendheim Heiden am Kirchplatz besuchen. Wie geht die Einrichtung der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde mit den Erkenntnissen der Studie um?

In dem 871 Seiten starken Abschlusspapier, das Anfang vergangenen Jahres veröffentlicht wurde, machen die Wissenschaftler 2225 Betroffene von sexuellen Übergriffen und 1259 Beschuldigte aus, wobei Kritiker von einem weitaus größeren Dunkelfeld ausgehen.

Irrglaube Die Ergebnisse der Studie hätten sie nicht verwundert, sagt Schmutzler-Frohwitter. &bdquo;Es ist ein Irrglaube, dass die evangelische Kirche besser sein sollte als die katholische“, sagt sie. Sexueller Missbrauch werde vor allem da möglich, wo es Machtstrukturen gebe, und davon sei auch die evangelische Kirche nicht frei, wie auch die gesamte Gesellschaft. &bdquo;Es gibt andere Studien, die besagen, dass in jeder Schulklasse ein bis zwei Kinder Opfer von sexuellen Übergriffen sind, entweder im familiären Umfeld oder anderweitig.“

Man gehe überdies davon aus, dass jeder siebte bis achte Erwachsene im Laufe seines Lebens sexuelle Übergriffe erlebt habe. Schon bevor die Ergebnisse der Studie veröffentlicht worden seien, habe sie beim Land NRW Fördermittel eingeworben für ein Projekt zur sexuellen Bildung. In der Schulung werde sensibilisiert für die Wahrnehmung von sexueller Gewalt und Grenzüberschreitungen.

&bdquo;An dieser Schulung haben alle ehrenamtlichen Mitarbeiter des Jugendheims, also auch die Jugendlichen, die sich hier engagieren, teilgenommen, von 14 Jahren an aufwärts.“ Ziel des Projekts sei auch, dass die Mitarbeiter wahrnehmen, wenn etwas im Umfeld nicht stimmt, also im Zweifelsfall auch ein Auge darauf zu haben, dass alle Mitarbeiter sich korrekt verhalten.

&bdquo;Das Jugendheim Heiden soll ein sicherer Ort für alle sein“, sagt Schmutzler-Frohwitter. Dazu gehöre auch, wahrzunehmen, wenn Kinder oder Jugendliche Schwierigkeiten zu Hause hätten und gegebenenfalls die Behörden einzuschalten. Eine unmittelbare Konsequenz aus der Studie sei, dass alle erwachsenen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Kirchenvorstände der Lippischen Landeskirche ebenfalls Schulungen zu dem Thema absolvieren.

Risikoanalyse &bdquo;Zudem gibt es eine umfangreiche Risikoanalyse, das heißt, dass genau geschaut wird, wo in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen blinde Flecken sind, wo sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch möglich werden“, so die Pädagogin. Denn viele sexuelle Übergriffe hätten mit hierarchischen Strukturen zu tun, mit Machtgefällen, mit Autorität, die ausgeübt werde, ohne Widerspruch zu dulden.

Aber auch flache Hierarchien und mangelnde professionelle Distanz können laut Studie den Boden bereiten. Die überwiegend männlichen Täter nutzen demnach Alkohol und andere Drogen, um ihre potenziellen Opfer gefügig zu machen. Laut den Forum-Wissenschaftlern war das Durchschnittsalter der Opfer beim ersten Übergriff mit elf Jahren in den Landeskirchen und der Diakonie in etwa so niedrig wie in der katholischen Kirche.

Daher sei es besonders wichtig, Kinder schon früh sprachfähig zu machen, sagt Schmutzler-Frohwitter. So werden im Jugendheim Schulungen schon für Kinder ab sechs Jahren angeboten, in denen diese mit Rollenspielen Worte für unangemessenes Verhalten finden und Hilfe holen lernen. &bdquo;Und vor allem geht es darum, dass Kinder ein Selbstbewusstsein entwickeln, auch für sich zu erkennen, wenn Verhalten nicht angemessen ist und sie sich damit unwohl fühlen. Sie sollen ihr Bauchgefühl artikulieren können.“

Täter suchen Opfer aus Denn eines zeigten eben auch alle Studien zu dem Thema: &bdquo;Die Täter suchen sich ihre Opfer aus.“ Vor allem seien Kinder und Jugendliche gefährdet, die ein geringes Selbstvertrauen haben.

Weiter gehe es in den Schulungen darum, zu erkennen, was ein gutes und was ein schlechtes Geheimnis ist. Denn auch das sei eine Tätermasche, Opfer zum Schweigen zu verpflichten – ein schlechtes Geheimnis, an das sich niemand gebunden fühlen muss.

Wichtig ist der Diakonin auch zu betonen, dass, wenn sich Kinder und Jugendliche mit Beobachtungen oder Hilfeersuchen an die Kirche wenden, die Fälle abgegeben werden, um eine unabhängige Beratung zu gewährleisten. Für alle ehrenamtlichen Mitarbeiter ab 14 Jahren gelte, dass sie ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen müssen - sowie eine Selbstverpflichtung.

Natürlich könne man Menschen nur vor den Kopf gucken, so Schmutzler-Frohwitter. &bdquo;Daher müssen wir alle aufmerksam sein.“

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