Als die Banknoten auch in Lage immer mehr Nullen erhielten

Lage. Man kennt die Szene aus historischen Dokumentarfilmen: Menschen tragen Geldscheine körbeweise in den Einkaufsladen um die Ecke oder karren die Scheine mit der Schubkarre durch die Straßen. Noch während die Käufer unterwegs sind, verfallen ihre Geldscheine drastisch im Wert.

So sieht es während der &bdquo;Hyper-Inflation“ des Jahres 1923 aus. 233 Milliarden Mark für ein Roggenbrot, 4,8 Billionen Mark für ein Kilo Rindfleisch. Die Währungsreform in Gestalt der &bdquo;Rentenmark“-Einführung beendet den Spuk zwar, hat aber die brutale Enteignung aller Ersparnisse zur Folge und ändert wenig am sozialen Elend im damaligen Deutschen Reich, das noch unter den Folgen des 1. Weltkriegs samt der damals aufgelegten Reparationszahlungen litt.

Und wie sieht es zu der Zeit in Lage aus? Kann sich die Zuckerstadt mit der Zuckerproduktion retten? Niemand kann von Zucker allein leben.

Das Thema &bdquo;Inflation“ und deren vielfältige Folgen durchzieht vor gut 100 Jahren die Berichterstattung der &bdquo;Lippischen Volkszeitung“ (ein Organ für die Interessen des Lippischen Zieglergewerbes). Lokalhistoriker Rolf Schwegmann – er starb im vergangenen September im Alter von 80 Jahren – erzählt im &bdquo;Historischen Jahrbuch Lage 1923“, herausgegeben von Hans C. Jakobs (&bdquo;Lippe Verlag“): &bdquo;Ich erinnere mich an die Erzählung meiner Großmutter, die vormittags um 10.30 Uhr mit einem Waschkorb voller Geldscheine zum Bäcker ging, um dafür ein Brot einkaufen zu können, bevor mit dem neuen Dollarkurs zum Mittag die Scheine nur noch als Makulatur hätten verwendet werden können.“

Massive wirtschaftliche Not Eine Vorstellung von den Alltagsproblemen, die sich aus dieser Inflation ergaben, vermittelt die Meldung in der Ausgabe Nr. 231 vom Oktober 2023, in der das Abonnement für die &bdquo;Volkszeitung“ für die Woche vom 1. bis 6. Oktober 14 Millionen Mark betrug.

Die massive wirtschaftliche Not zusammen mit der extremen sozialen Schieflage zeitigt bald politische Konsequenzen. So organisiert am 14. Januar 2024 der &bdquo;Bürgerverein Lage“ auf dem Marktplatz eine nationalistische Groß-Demo. Im Gegenzug findet beinahe zeitgleich eine Kundgebung der SPD bei Gustav Hunecke in der &bdquo;Friedenseiche“ statt. Im Hintergrund spielt die &bdquo;Ruhrbesetzung“ durch die französische Armee thematisch ganz vorn mit, weil die Erzwingung von Reparationszahlungen des Deutschen Reiches die finanzielle Lage in Lage letztlich zusätzlich belastet.

&bdquo;Französisches Säbelregiment“ In der darauffolgenden Lagenser Stadtverordnetenversammlung ruft deren Vorsitzender Bussemeier zum Protest gegen den französischen &bdquo;Kohlenraub“ auf und zur Unterstützung &bdquo;unserer Volksgenossen im besetzten Ruhrgebiet“ im Kampf gegen das &bdquo;französische Säbelregiment“. Gegen Ende des Monats Januar findet dann der erste Reichsparteitag der NSDAP in München statt, und so zeichnet sich früh die Dynamik des Zusammenhangs von wirtschaftlicher und politischer Krise ab.

Einen Monat darauf organisiert dann die DVP (&bdquo;Deutsche Volkspartei“) im Rathaussaal einen &bdquo;Vaterländischen Abend“ und kurz darauf an gleicher Stelle eine Veranstaltung der &bdquo;Volksgemeinschaft Lage“.

Das Verhängnis kündigte sich in der Zuckerstadt früh an. Im Juni 1924 gründen Technikum-Studenten eine &bdquo;Ortsgruppe NSDAP“. Noch im selben Jahr - in der November-Ausgabe - berichtet die Zeitung von &bdquo;Schüssen“ am Wochenende in der Bahnhofsgegend und der Friedrichstraße, die Lokalhistoriker Schwegmann aber nicht zwingend der NSDAP-Gruppe zurechnete.

&bdquo;Germanisches Kernland“ Nichtsdestotrotz gewinnen die Nazis – wie überall in Deutschland – in den neun Folgejahren viele Anhänger. Dazu kam noch die Weltwirtschaftskrise 1929, die auch in Deutschland eine Massenarbeitslosigkeit auslöste und weiteres Elend zur Folge hatte.

Am Ende feiert Adolf Hitler im Schicksalsjahr 1933 bei seinen 17 lippischen Wahlkampf-Auftritten große Erfolge. Dabei verkauft er das Lipperland als &bdquo;germanisches Kernland“ und die Externsteine als &bdquo;germanische Kultstätte“. Die NSDAP erreicht in der Lipper Landtagswahl am 15. Januar 1933 39,5 Prozent der Stimmen und wurde damit stärkste Kraft im Detmolder Landtag vor der SPD (30,1 Prozent).

Obwohl dies keine absolute Mehrheit darstellte, konnte Hitler – nach dem temporären Rückgang seiner Wahlerfolge im Vorjahr - dieses Ergebnis propagandistisch landesweit als &bdquo;Game Changer“ verkaufen. Dies trug dazu bei, den Druck auf Reichspräsident Paul von Hindenburg zu erhöhen, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, was schließlich am 30. Januar 1933 geschah.

&bdquo;Hyper-Inflation“ und politischer Extremismus: Die Geschichte Lages hält für diesen Zusammenhang ein Paradebeispiel bereit.

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