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Lemgo

Medizinischer Dienst streicht Rundumbetreuung für schwerkranke Mutter

Die Töchter von Christel Steinmeier wehren sich gegen die Beurteilung

Lemgo-Lieme. Christel Steinmeier kann nicht laufen, nicht sprechen, nicht essen und nur durch eine Öffnung der Luftröhre nach außen atmen. Die 77-Jährige ist auf die Hilfe ihrer Töchter angewiesen. Rund um die Uhr. Der Medizinische Dienst sieht das anders: 109 Minuten Aufwand – das heißt Pflegestufe 1.

„Das kann einfach nicht wahr sein", sagt Ellen Brunner und zeigt sich wütend und enttäuscht. Mit ihrer Schwester Sandra Oetting pflegt sie die Mutter seit mehr als einem Jahr zu Hause. Die beiden sehen ihren 24-Stunden-Einsatz vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK) nicht gewürdigt. Im Gegenteil. „Es wird nicht honoriert, dass wir uns um ein pflegebedürftiges Familienmitglied kümmern." Zudem fühlten sie sich von den Mitarbeitern, die die Pflegestufe beurteilen, schlecht behandelt, macht Ellen Brunner ihrem Ärger Luft.

Im März 2015 musste der Mutter Christel Steinmeier nach einer schweren Infektion durch eine Bypass-OP das linke Bein amputiert werden. „Es hat dann zwar fünf Monate gedauert, bis ein Mitarbeiter vom MDK vorbeikam, aber mit der anschließenden Eingruppierung in Pflegestufe 1 konnte meine Mutter gut leben", erzählt Ellen Brunner. Doch im Dezember machte eine Kehlkopfkrebs-Diagnose eine Öffnung der Luftröhre nach außen nötig. Die 52-Jährige stellte sofort einen Verschlimmerungsantrag.

„Meine Mutter konnte nicht mehr sprechen, nicht mehr essen, musste beatmet werden, es mussten Schleim abgesaugt, Kanülen gewechselt und gereinigt werden", zählt die gelernte Laborassistentin auf, die sich der ständigen Gefahr einer Lungenentzündung oder des Erstickens bewusst ist. Trotzdem will sie ihre Mutter nicht in ein Heim geben. „Wir würden nicht mal ein geeignetes Heim finden, das diesem Pflegeaufwand gewachsen ist", sagt die Schwester.

Umso unverständlicher ist den beiden, dass der MDK den Antrag auf Pflegestufe 2 abgelehnt hat. „Unsere Mutter bekommt jetzt 244 Euro. An eine Hilfe im Haushalt oder an Pflegekraft als stundenweise Unterstützung für uns ist dabei nicht zu denken." Ellen Brunner hat Widerspruch eingelegt und gibt der Arbeitsweise der Gutachter die Schuld, die nach Schema F vorgingen. „Die sagen dann: maximaler Pflegeaufwand 109 Minuten am Tag."

Dr. Martin Rieger, stellvertretender Geschäftsführer und ärztlicher Leiter des MDK, darf sich aus Datenschutzgründen zu Einzelfällen nicht äußern. Er rät der Familie, im Falle einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes erneut einen Verschlimmerungsantrag zu stellen: „Im nächsten Jahr ändert sich das Pflegegesetz. Dann wird der Aufwand nicht nach Minuten, sondern nach Punkten bewertet." Dies sei eine Chance auf die Erhöhung der Pflegestufe.

Information
Wie viel Hilfe braucht der Mensch?

Pflegebedürftig im Sinne des Gesetzes sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung bei der Grundpflege (Körperpflege, Ernährung oder Mobilität) und der hauswirtschaftlichen Versorgung auf Dauer – voraussichtlich für mindestens sechs Monate – in erheblichem oder höherem Maße Hilfe benötigen. Dabei kommt es bei der Einteilung in die drei verschiedenen Pflegestufen darauf an, wie umfangreich das Hilfebedürfnis ist.

Ab 2017 werden die Pflegestufen in fünf Pflegegrade eingeteilt. Je nach Pflegestufe unterscheidet sich auch die Höhe der gezahlten Leistungen. Der Versicherte hat die Möglichkeit, gegen die Entscheidung der Pflegekasse Widerspruch einzulegen.

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