Lemgoerin macht sich als Reittherapeutin selbstständig

Lemgo. &bdquo;Wann darf ich endlich aufs Pferd? Können wir schneller? Ich bin fertig" – Oskar (Name von der Redaktion geändert) ist ungeduldig und kann nur kurze Zeit aufmerksam bleiben. Er redet viel und gerne. Für sein Alter (12) ist er recht klein gewachsen. Der Junge hat die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS).

Als Kleinkind wurde er aus seiner Familie genommen. Auch seine drei Geschwister leben in Pflegefamilien. Die Eltern von Hannes Platte in Lemgo nahmen Oskar auf – eigentlich war das aber nur für den Übergang geplant. &bdquo;Er hat eine extreme Form von ADHS, ist sehr aufgedreht. Bevor er von Heim zu Heim gebracht wird, haben sich meine Eltern dazu entschieden, dass er in Dauerpflege bei ihnen leben kann", erinnert sich Platte. Geduld und Humor seien entscheidend im Umgang mit ihm.

Der Zwölfjährige besucht eine Förderschule, ist richtig gut im Unterricht. Dabei begleitet ihn Guilia Emmerich, Plattes Partnerin, als Integrationshelferin. Ursprünglich hatte sie ganz andere Pläne: &bdquo;Eigentlich bin ich gelernte Bürokauffrau", sagt die 29-Jährige und muss lachen. Doch nach der Ausbildung sei ihr schnell klar geworden, dass sie diesen Job nicht dauerhaft machen wollte. &bdquo;Durch meine Familie, insbesondere meine Schwiegereltern, bin ich darauf gekommen, Oskar zu betreuen", erzählt Emmerich. Sie habe auch schon bei Eben-Ezer gearbeitet, ihr Fachabitur im Gesundheitsbereich gemacht und eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin angefangen. Der Weg war also geebnet.

Fortbildung per Fernstudium

Als auf dem Hof, auf dem Guilia Emmerich eine Reitbeteiligung hatte, eine weitere Reit-Therapeutin gesucht wurde, entschied sie sich, sich entsprechend fortzubilden. Über ein Jahr eignete sie sich alles Notwendige per Fernstudium an und legte abschließend zwei Prüfungen ab.

Die junge Frau hatte ein Schlüsselmoment: &bdquo;Es gab ein Kind bei der Reittherapie, dass sehr an seinen Eltern klammerte. Wir gingen dann zusammen mit dem Pferd über die Wiese und in dem Moment, als es für das Kind unangenehm wurde, schob mich das Pferd beiseite. Es hat mich regelrecht abgedrängt. Denn Pferde können ihr Gegenüber spiegeln", erklärt die Lemgoerin.

Seit Dezember 2020 hat sie nun ihr eigenes Angebot am Reinertsberg. Ist es nicht gewagt, sich in der Coronazeit selbstständig zu machen? &bdquo;Ich mache fast ausschließlich Einzeltherapie, um besser auf die Patienten eingehen zu können. Wir sind an der frischen Luft und können damit sehr gut die Schutzmaßnahmen einhalten", sagt Emmerich. Die Therapeutin hat sich auf Kinder spezialisiert und daher drei kleine Ponys angeschafft, plus ein großes Pferd. Mit welchen Symptomen kommen die Menschen zu ihr? &bdquo;ADHS ist das Hauptaugenmerk, aber ich habe auch eine Patientin, die sehr in sich gekehrt ist und Kommunikationsschwierigkeiten hat. Auf dem Pferd fängt sie an zu reden." Es sei ein Erfolgserlebnis für die Kleinen, wenn sie selbst ein Pferd führen können. &bdquo;Dadurch lernen sie, sich selbst mehr zuzutrauen und werden selbstständiger", so Emmerich. Daher sei es auch wichtig, dass die Eltern nicht dabei sind. Die Therapeutin habe aber auch Patienten, die im Rollstuhl sitzen oder unter Spastiken leiden. &bdquo;Das Pferd macht die gleichen Bewegungen wie ein Mensch beim Gehen, diese Impulse übertragen sich auf den Patienten und helfen gegen die Unbeweglichkeit. Die Patienten sind bereits nach 20 Minuten lockerer und nicht mehr so steif", erklärt die 29-Jährige. Von der Krankenkasse wird solch eine tiergestützte Therapie in der Regel jedoch nicht übernommen.

Bei Oskar liegt der Schwerpunkt auf seiner Konzentration. Er durchläuft an diesem Tag auf Pony &bdquo;Benno" einen Parcours und muss zum Beispiel Ringe auf die richtigen Hütchen schmeißen. &bdquo;Manchmal mache ich mit ihm auch einen Ausflug in den Wald. Sonst ist er immer on fire, aber dort kommt er nach kurzer Zeit auf dem Pferd zur Ruhe, summt dann nur noch. Das ist schön für ihn", sagt Emmerich, die zusammen mit ihrem Partner bereits weitere Pläne schmiedet. So soll es weitere Tiere, wie etwa Kaninchen geben. &bdquo;Denn wir haben gemerkt, dass auch durch Corona, viele Kinder den Bezug zur Natur und den Tieren verloren haben." Daher seien Ferienspiele und Projekte mit Kindergärten vorgesehen. Außerdem ist das Paar, das in Brüntorf lebt, auf der Suche nach einer größeren Fläche mit Stall, in deren Nähe sie auch wohnen können.

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