Notfallpatientin (88) abgewiesen: Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) gibt Monate später Fehler zu

Lemgo. Im November macht der Fall einer nach einem Sturz schwer verletzten Seniorin Schlagzeilen, weil die 88-Jährige an einem normalen Dienstagvormittag in einer unfallchirurgischen Praxis des Medizinischen Versorgungszentrums in Lemgo (MVZ Lippe) abgewiesen wird. Dort weist man seinerzeit über die Pressestelle des Klinikums Lippe die Schuld von sich. Jetzt gibt es neue Erkenntnisse: &bdquo;Es handelte sich eindeutig um ein organisatorisches Problem in unserem Haus", unterstreicht MVZ-Geschäftsführer Michael Nelges im LZ-Gespräch.

Das MVZ hat den Fall inzwischen aufgearbeitet. Ergebnis: Die Mitarbeiterin an der Anmeldung habe falsch gehandelt und dem diensthabenden Unfallchirurgen Volker Broy den Fall einfach verschwiegen. Ein absolutes Unding, aber ein Einzelfall, versichern Nelges und Broy.

Nach Sturz in die Ambulanz Was war passiert? Die Seniorin war am 7. November, einem Dienstag, beim Blätterfegen vor ihrem Haus in Lemgo gestürzt und hatte sich eine Platzwunde im Gesicht und, wie sich später herausstellte, eine Fraktur am Arm zugezogen. Ihr Nachbar Wolfgang Kehl brachte sie in die Ambulanz am Klinikum Lemgo, nicht wissend, dass es dort keinen Unfallchirurgen mehr gab. An der dortigen Anmeldung wurde die Patientin an die Praxis des MVZ im benachbarten Medicum verwiesen, wo Unfallchirurg Volker Broy Dienst hatte.

Das Klinikum Lippe hatte, nachdem der eigene Unfallchirurg in der Notfallambulanz des Standortes Lemgo abgezogen worden war, bereits im Juli kommuniziert, dass Patienten aus Lemgo und Umgebung künftig die Praxis Broy/Dr. Muhle im benachbarten Medicum aufsuchen könnten. Doch in der Praxis, die vom MVZ, einer 100-prozentigen Tochterfirma des Klinikum Lippe, betrieben wird, wies die Mitarbeiterin an der Anmeldung die verletzte Seniorin ab. Begründung: der diensthabende Unfallchirurg Volker Broy sei im Gespräch und nehme danach keine Patienten mehr an. Nachbar Kehl kehrte schließlich mit der blutenden Frau zunächst in die Notfallambulanz und dann nach Hause zurück und rief den Rettungswagen, der die Frau in die Notfallambulanz nach Detmold brachte, wo sie schließlich auch behandelt wurde.

Inzwischen geht es der Frau, die anonym bleiben möchte, besser, teilt Wolfgang Kehl auf LZ-Anfrage mit. Auf eine Entschuldigung oder eine Reaktion auf ihr Beschwerdeschreiben ans Klinikum Lippe warte sie aber bis heute vergeblich. &bdquo;Wir bedauern den Vorfall und gehen selbstverständlich noch einmal auf die Patientin zu", sagt Klinikum-Pressesprecher Christian Ritterbach auf LZ-Anfrage.

Arzt im Bewerbungsgespräch Broy hatte bereits im November auf eine erste Nachfrage gegenüber der LZ gesagt, dass er nichts von dem Fall gewusst habe. Doch nach der nun erfolgten Aufarbeitung ist er nach eigenen Worten &bdquo;schlichtweg fassungslos". Denn die Mitarbeiterin und eine junge Kollegin hätten zunächst versichert, die Patientin sei in der Praxis gegen 13 Uhr vorstellig geworden, als er selbst bereits zur Mittagspause war. Jetzt aber haben Nachforschungen durch Broy und das MVZ ergeben: Als die verletzte Patientin sich in der Praxis meldete, gegen 11 Uhr an jenem besagten Dienstag, sei Broy sehr wohl vor Ort und auch nicht im OP gewesen: &bdquo;Ich habe zusammen mit einer Kollegin ein Bewerbungsgespräch zwei Zimmer weiter geführt. Und man hätte mich jederzeit stören können - und müssen."

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Denn für den Umgang mit Patienten, die eine Kopfwunde haben, gebe es einen klar kommunizierten Handlungsleitfaden, an den sich die Medizinischen Fachangestellten (MFA) zwingend halten müssten und das bis zu jenem Vorfall auch getan hätten. Der besagt, dass der anwesende Arzt unmittelbar informiert und der Patient erstversorgt wird: Versorgung der Wunde, Lagerung, Monitoring (die l ückenlose Überwachung der Vitalfunktionen ), auf Anweisung des Arztes weitere Untersuchungen wie Röntgen - das volle Programm. Warum das in diesem Fall nicht geklappt hat, versteht Broy nicht: &bdquo;In 35 Jahren habe ich das noch nicht erlebt", schimpft er. Die Mitarbeiterin an der Anmeldung sei noch dazu eine erfahrene MFA.

Kein Rückruf

Darüber hinaus sei es unterblieben, den Fall der abgewiesenen Patientin zu dokumentieren, obwohl dies ebenfalls Pflicht sei. Ergo erfuhr Broy nichts von den Geschehnissen - und auch nichts von dem zweiten Besuch des Nachbarn Wolfgang Kehl tags darauf. Kehl wollte nochmals versuchen, mit dem Arzt persönlich zu sprechen, wurde aber erneut abgewiesen und erhielt auch keinen Rückruf. Daraufhin wandte er sich empört an die LZ.

Broy ist in Lemgo bekannt, 35 Jahre praktiziert der 61-Jährige bereits, er ist Mannschaftsarzt des TBV Lemgo Lippe, bis 2017 hatte er eine eigenen Praxis. Seither ist er beim MVZ angestellt. Ihm mache der Fall zu schaffen, denn immer wieder werde er seit dem Bekanntwerden darauf angesprochen - und der Tenor sei immer, dass er sich geweigert habe, die Frau zu behandeln. Doch genau das Gegenteil sei der Fall, beteuert der Mediziner: Alle Patienten würden sofort in der Praxis versorgt oder bekämen, je nach Dringlichkeit, einen Termin. Und selbstverständlich würde von den Praxismitarbeiterinnen bei Bedarf auch ein Taxi oder der Rettungswagen gerufen. &bdquo;Wenn jemand Hilfe benötigt, bekommt er die von uns - da sehen wir uns in der Verantwortung", betont Broy.

Ein Glied in der Kette versagt Patientinnen und Patienten aus Lemgo und Umgebung fänden in einer der zwei unfallchirurgischen Praxen im Medicum oder einer der niedergelassenen Orthopäden-Praxen mit unfallchirurgischer Zusatzausbildung die erste Anlaufstelle nach einem Unfall. Und wenn alles ornungsgemäß gelaufen wäre, wäre die 88-Jährige in seiner Praxis genau richtig aufgehoben gewesen - hier hätte die Diagnostik ambulant erfolgen, die Wunde versorgt und der Arm geschient werden können. Doch die Hilfskette funktionierte diesmal nicht wie sonst. Da aber ein Glied versagt habe, sei es zu dem bedauerlichen Vorfall gekommen.

Das eigenmächtige Handeln bis hin zu den nachweislich falschen Angaben der medizinischen Fachangestellten ist MVZ-Geschäftsführer Nelges und Mediziner Broy nach wie vor schleierhaft. Ws sei, so versichert Nelges, für die Mitarbeiterin nicht folgenlos geblieben.

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