Mobbing im Klassenchat? Diese jungen Lemgoer helfen als Medienscouts ihren Mitschülern

Lemgo. &bdquo;Oh ja“, sagt Olivia ( Name auf ihren Wunsch geändert ), sie wundere sich in ihrer Arbeit als Medienscout oft, wie leichtfertig viele Eltern ihren Kindern ein Smartphone in die Hand drückten. &bdquo;Meine waren sehr streng, was Nutzungsdauer und Sperren angeht“, sagt die Zehntklässlerin des Marianne-Weber-Gymnasiums (MWG). &bdquo;Das hat mich früher natürlich genervt“ - allerdings verstehe sie inzwischen immer besser, warum Regeln wichtig sind. Die Folgen eines frühen, ungefilterten Zugangs zum Netz mit all seinen Apps und Abgründen erleben sie und ihre Mitstreiterinnen im Team der Medienberater am MWG nämlich jeden Tag.

In der jährlich erhobenen Studie &bdquo;Jugend, Information, Medien“ gaben 2024 knapp ein Viertel der befragten 12- bis 19-Jährigen in Deutschland an, im vergangenen Monat mit ungewollten pornografischen Inhalten in Kontakt gekommen zu sein, 39 Prozent mit Hassbotschaften, mehr als die Hälfte mit Beleidigungen. &bdquo;Gerade das Thema Cybermobbing sehen wir hier im Schulalltag oft“, bestätigt Lehrerin Sandra Ferringa-Lampe, die das Projekt Medienberater gemeinsam mit Kollegin Christiane Beine betreut.

Das MWG ist eine &bdquo;Digitale Schule“, so werden zum Beispiel ab der achten Klasse Tablets im Unterricht genutzt. Früh habe sich die Schule daher auch mit den Schattenseiten der Neuen Medien auseinandergesetzt. Die Idee, Schüler als Medienscouts auszubilden und als Ansprechpersonen einzusetzen, folge dem Konzept der &bdquo;Peer Education“: Dabei geht es darum, dass &bdquo;Peers“ (Gleichaltrige) Wissen und Erfahrungen an ihre Mitschülerinnen und Mitschüler weitergeben. Studien zeigen, dass Gleichaltrige oft als glaubwürdiger wahrgenommen werden, was die Effektivität der Vermittlung erhöht. Außerdem erleben Erwachsene das Netz ja ohnehin völlig anders, haben kaum Zugang zur von Algorithmen gesteuerten &bdquo;Bubble“ der Jugendlichen, nutzen nicht deren Lieblingsapps.

Das Land NRW bildet aus Der &bdquo;Peer“-Ansatz funktioniert, meint Louis. Der 13-jährige Achtklässler ist aktuell der Jüngste im 16-köpfigen Team der Medienberater. Er ist sicher, dass es vielen leichter fällt, mit Gleichaltrigen zu sprechen, die das nötige Fachwissen mitbrächten. Insgesamt hat die Landesanstalt für Medien NRW , die das Projekt seit 2011 umsetzt, mehr als 8500 offizielle Medienscouts ausgebildet. So haben zum Beispiel auch an der Realschule Lemgo vier der acht Medienberater dieses Zertifikat.

Wie umgehen mit pornografischen Inhalten, die in Chats verschickt werden? Wie Beweise sichern? Wann die Polizei einschalten? Was tun, wenn das Smartphone zur Sucht wird? Wohin wenden bei Suizidgedanken? Das sind die krasseren Themen, die in der Ausbildung ebenfalls abgedeckt werden. &bdquo;Im realen Schulalltag sind das allerdings, zum Glück, eher Einzelfälle“, sagt Lehrerin Christiane Beine. Sollten Schülerinnen und Schüler mit solchen Problemen kommen, wissen die jungen Medienscouts, dass sie an erwachsene Fachleute wie die Schulsozialarbeiter verweisen können.

Eltern nicht erste Ansprechpartner Im Alltag sei der Klassenchat der vielleicht häufigste Hort für Probleme. Wenn dort die Wellen hochkochen und es zu belastenden Konflikten zwischen Schülern kommt, sei es leichter, sich an die Scouts zu wenden, weiß die 15-jährige Hannah. &bdquo;Einerseits kann es um Themen gehen, die unangenehm sind. Andererseits hat der Betroffene selbst vor der Eskalation vielleicht etwas geschrieben, was nicht so toll war“, sagt auch die gleichaltrige Olivia. Das vor Lehrern auszudiskutieren käme für die meisten nicht infrage. &bdquo;Und mit den Eltern gibt es in dem Alter ohnehin ja viele Konflikte.“

Streits unter Gleichaltrigen hätten sich heute in die Chats verlagert, berichtet Freya. &bdquo;Man kann dort Sachen schreiben, die man demjenigen wohl nie ins Gesicht sagen würde - und das rund um die Uhr“, so die 15-Jährige. Die Hemmschwelle, sagt auch Olivia, sei einfach niedriger. Um Kinder besser auf die Messenger-Kommunikation vorzubereiten, gehen sie und die anderen in die vierten Klassen vieler Lemgoer Grundschulen. Es sei besser, präventiv tätig zu werden und nicht erst dann anzusetzen, wenn viele schon schlimme Erfahrungen gemacht hätten. &bdquo;Die Arbeit an den Grundschulen ist unseren Scouts daher extrem wichtig“, betont Projektleiterin Ferringa-Lampe.

Run auf das Thema enorm Zum ersten Mal haben die Medienscouts des MWG jetzt einen Workshop für Grundschüler in der Stadtbücherei organisiert, der am 1. April stattfindet - und der Run auf die wenigen Plätze war enorm. &bdquo;Wir konnten die Plakate an den Schulen gar nicht mehr aufhängen, so schnell war der Termin ausgebucht“, so Ferringa-Lampe. Ähnlich wie beim Vortrag der Digital-Expertin Silke Müller Anfang März 2025 zeige sich hier der große Rede- und Beratungsbedarf. Oft stünden die Kinder ja heute spätestens in der fünften Klasse unter Druck, ein Smartphone zu besitzen und über bestimmte Apps zu verfügen. &bdquo;Man fühlt sich sehr schnell außen vor“, erinnert sich Freya an die Zeit, als die meisten anderen bereits WhatsApp hatten, sie selbst jedoch nur telefonieren und SMS versenden konnte.

Den Viertklässlern wollen sie vermitteln, dass es Regeln braucht für ein gutes Miteinander. Dass im Klassenchat etwa nicht mit unzähligen Nachrichten &bdquo;herumgespammt“ werden sollte. Und dass es keine Toleranz für Cybermobbing geben darf. &bdquo;Mit dieser Präventionsarbeit, bevor die Kinder ihr erstes Smartphone bekommen, können wir sie am besten schützen“, so Ferringa-Lampe. Je mehr von ihnen in dieser Form sensibilisiert seien, desto besser. Für allen weiteren Kummer braucht es niedrigschwellige Anlaufstellen. Und so wird auch in der nächsten großen Pause die Tür des Büros der Medienscouts wieder allen offenstehen.

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