Lemgo-Brake. „Wer keine Lust auf Denkmalschutz hat, der sollte die Finger von solch einem Haus lassen.“ Michael Reimer weiß, wovon er spricht, und hat offensichtlich Lust auf Denkmal, auf Spuren der Vergangenheit - darauf, die gelebte Historie der Stadt für die Nachwelt zu erhalten. Bestes Beispiel dafür: sein Haus an der Bahnhofstraße in Brake. Das ist 1681 erbaut, ein alter Adelshof, der die Geschichte der Grafschaft Lippe prägte, wie ihm Bauforscher in den 1990er Jahren kurz vor der unter Denkmalstellung attestierten. Schließlich hat nicht nur der damalige fürstliche Sekretär Simon Heinrich Cruel die Anlage erbaut, 1731 kam hier auch der lippische Kanzler Ferdinand Bernhard Edler von Hoffmann zur Welt, deren Wappen und Initialen noch heute das Haus zieren. Liebe auf den ersten Blick Ein Denkmal, auf das die Reimers 1993 stießen. Damals suchten sie nach einem Haus für die junge Familie, und irgendwie zog sie der alte Adelshof gleich in seinen Bann. „Der Anblick war einfach toll“, erinnert sich Elke Reimer - und das, obwohl das Haus sich damals nicht im besten Zustand präsentierte. „Dunkel, verwohnt, ohne jegliche Standards“, fasst Ehemann Michael Reimer die ersten Eindrücke zusammen. Keine Dämmung, keine Zentralheizung, veraltete Installationen - eine Sanierung von Grund auf war nötig. „Dabei hatten wir gar keine Ahnung von Altbau, geschweige denn von Denkmalschutz“, bestaunt der 66-Jährige noch heute den Mut und vielleicht auch die Naivität, mit dem sie das Projekt Adelshof angingen. Manch ein Kompromiss musste mit dem Denkmalschutz mühsam ausgearbeitet werden, erzählt der Fotodesigner. Denn Baurecht und Denkmalschutz, so seine Erfahrung, kommen nicht immer überein. Mitunter sei da Kreativität gefragt gewesen, wenn Wünsche und Vorstellungen mit den Experten der Denkmalbehörde abgesprochen wurden - auch, um die Genehmigungen zu erhalten. Schwarz-weiß präsentierte sich das Fachwerkhaus damals, „historisch gesehen völlig falsch“, wie Elke Reimer konstatiert. Ursprünglich sei das Fachwerk Hellblau gewesen, letztlich einigten sie sich auf einen Lindgrünton, der dem alten Adelshof ein freundliches und helles Antlitz verleiht. Mit Schilfrohr und Lehm wurden die Wände gedämmt. Gut 400 Quadratmeter Nutzfläche bietet das Haus, dazu noch etwa 1000 Quadratmeter Grundstück. Der ursprüngliche Eingang führt direkt in die große repräsentative Deele, die eine Galerie umläuft. Den Eingang haben die Reimers mittlerweile nach hinten verlegt, die alte Eingangstür mit einem großen Schrank verstellt. „Nichts verbauen, um die historische Raumstruktur bestmöglich zu erhalten“, wie der 66-Jährige seine Devise vorgibt. Langer Weg in die Küche Mittlerweile haben sie einen Großteil der nachträglich eingezogenen Wände wieder zurückgebaut. Die Familie selbst ist in die obere Etage gezogen. Dort, wo der ehemalige Besitzer eine Dreizimmerwohnung eingerichtet hatte, haben sie dem früheren Saalraum wieder zu alter Größe verholfen. Auf 65 Quadratmetern sind dort gemütliches Wohn- und Esszimmer entstanden, die große helle Küche ist schräg über die Galerie zu erreichen. Zum Esszimmer sind es schon einige Meter zurückzulegen, „doch kein Problem: Wenn wir Gäste haben, bekommt jeder Gast halt seinen Teller in die Hand gedrückt“, lacht die Hausherrin. Die Wände sind mit Lehm verputzt und mit Kalk-Kasein-Farbe gestrichen, so wie es wohl auch im 17. Jahrhundert der Fall gewesen ist. Die Farbe hat Michael Reimer selbst gemacht - aus Quark und Kalk die richtige Mischung angesetzt, dazu mit Erdpigmenten die passende Farbe hervorgelockt. „Magerquark war wichtig“, wie der Hausherr der staunenden Gesprächspartnerin erklärt, 14 Tage hielt sich die Farbe im Eimer, dann fing sie an zu riechen. „Da musste man schon drauf achten, genügend Farbe anzumischen“, erinnert er sich, „denn der gleiche Ton war kaum noch einmal zu erhalten“. Lindgrün, wie auch an der Außenfassade, hat er im Wohnzimmer verwandt, die Decken und eingeputzten Holzbalken in einem wolkigen Grau gestrichen und im Erdgeschoss bräunliche Töne gewählt. Im Wohnbereich bereichert eine klassizistische Verzierung die Wand, graue Rahmen mit grafischen Elementen, so wie sie es eventuell auch früher im repräsentativen Adelshof gegeben hat. Die Farbe hält, auch nach über drei Jahrzehnten - und vom Magerquark lässt sich nichts mehr erahnen, geschweige denn riechen. Eine Wandheizung sorgt im Winter für wohlige Wärme. Dafür zieht sich ein schmaler, etwa sechs Zentimeter hoher Heizkörper an den Wänden entlang. „Eine eingebaute Wandheizung nach heutigen Standard gab es in den 1990ern noch nicht“, wie Michael Reimer erklärt. Ein kräftezehrendes Projekt „Learning bei Doing“, nennt er sein Vorgehen, gepaart mit ganz viel Lust darauf, immer wieder Neues zu erfahren. Ein gutes Vierteljahr haben sie damals gebraucht, bis sie einziehen konnten. Mit tatkräftiger Hilfe von Schwiegervater und Schwager. „Der Schwiegervater war gerade in Rente gegangen“, grient Michael Reimer, „und hatte sich seinen Rentenstart wohl auch anders vorgestellt“. Doch ein Ende der Arbeiten ist wohl nach drei Jahrzehnten noch nicht in Sicht. Jüngst erst haben die Reimers in der Deele im Erdgeschoss eine Fußbodenheizung gelegt, bislang war sie unbeheizt. Den Durchgang zum hinteren Eingang haben sie mit einer gläsernen Schiebetür versehen - und damit einen weiteren Schritt zur historischen Raumstruktur umgesetzt. Überhaupt haben sie im Haus fast alles in Eigenleistung gestemmt, versucht, es ihren Bedürfnissen anzupassen und doch mit dem Haus zu leben, wie es Elke Reimer formuliert. Und manchmal, klar, da sei das schon kraftzehrend gewesen, muss Michael Reimer bei aller Lust eingestehen: „Wenn du statt in den Urlaub zu fahren, wieder einmal mit einem neuen Projekt beginnst.“ Und doch überwiegen für sie ganz klar die Vorteile: Die dicken Mauern, die die Hitze und Kälte draußen lassen, die großen Räume, die schöne Lage an dem Bach Untreu und dann noch der Luxus, unter dem Dach, das eigene Büro und Fotoatelier einzurichten. „Nur eben eine Treppe runter zur Familie, davon habe ich schon als Foto-Design-Student in Bielefeld geträumt.“ Umzug steht an Doch die Kinder sind aus dem Haus und mittlerweile wird ihnen der alte Adelshof dann doch etwas groß. Viele Zimmer in dem großen Haus werden mittlerweile nicht mehr genutzt. „Hier muss wieder mehr Leben rein“, ist die 68-jährige Hausherrin überzeugt. Die Reimers wollen verkaufen und suchen nach einer kleineren Immobilie. In Lemgo oder Lippe - egal, doch ohne Altbau geht es nicht.