Warum diese junge Ukrainerin (21) aus Lemgo die Zukunft der Pflege ist

Lemgo. Eine Woche war Diana Levchenko in Deutschland, da hatte sie bereits ihren ersten Job. Ihre Mutter und sie hatten die Stadt Kramatorsk in der Ostukraine wegen des Krieges fluchtartig verlassen. Ihnen sei sofort klar gewesen, dass sie nicht herumsitzen, sondern arbeiten wollten. Allein schon, um sich abzulenken von den Sorgen, der Traurigkeit. In der Küche eines Hotels kam Levchenko als Aushilfe unter. Sie verstand damals, vor drei Jahren, kaum ein Wort Deutsch.

Wer ihr heute in einem Konferenzraum im St. Loyen Zentrum gegenübersitzt, trifft auf eine junge Frau, die sich gewählt ausdrückt und flüssig, annähernd fehlerfrei, von ihren Erlebnissen erzählt. Von ihrem Weg aus der Hotelküche in das Pflegeheim, über die ersten Kontakte zu den Bewohnern dort bis zu ihrer einjährigen Ausbildung zur Pflegefachassistentin, die sie im Juni begonnen hat. Eine Tätigkeit, die sie heute als Berufung beschreibt, da sie etwas Sinnvolles beitragen kann. &bdquo;Es interessiert mich. Jeder Mensch kann Hilfe gebrauchen“, sagt die 21-Jährige. Und: &bdquo;Ich bin von Herzen dankbar für alle, die mich dabei unterstützt haben.“

Eine Win-Win-Situation Dieser Dank geht vor allem an ihre Vorgesetzten und Kollegen beim Johanneswerk. Und die Wertschätzung beruht auf Gegenseitigkeit. Denn bei dem Projekt &bdquo;Integrationsprofi“ des Evangelischen Johanneswerks geht es genau darum: eine Win-Win-Situation zu schaffen. Eine Perspektive für Menschen ohne deutschen Pass. Und eine Perspektive für die Pflege in Deutschland.

&bdquo;Wir brauchen dringend Menschen mit Migrationshintergrund, um den Status quo halten zu können“, sagt Dr. Bodo de Vries. Etwas anderes zu glauben, sei naiv, ärgert er sich über &bdquo;bestimmte Parteien“, die Migration verteufelten. &bdquo;In den kommenden zehn Jahren wird ein Viertel unserer rund 4500 Pflegekräfte altersbedingt ausscheiden.“ Vom steigenden Bedarf aufgrund der alternden Bevölkerung ganz zu schweigen. Den vier eigenen Pflegefachschulen fehle der Nachwuchs.

Neue Willkommenskultur Damit die große Lücke, die der Wegfall der Babyboomer reißt, geschlossen werden kann, ist laut Bodo de Vries eine gemeinsame Kraftanstrengung der Gesellschaft nötig. &bdquo;Integration ist Arbeit“, stellt der stellvertretende Geschäftsführer klar. Nicht leicht zu stemmen, auch, aber nicht nur von der Kostenseite her. So seien neue Stellen geschaffen worden, um &bdquo;die Gelingensgeschichten zu standardisieren“, wie er es nennt. Vor allem jedoch müsse die Belegschaft mitziehen, dürfe sich nicht verschließen, müsse ansprechbar sein für die Fragen und Nöte der Neuankömmlinge. &bdquo;Wir brauchen eine Willkommenskultur, die langfristig trägt.“

Die Investition soll sich am Ende lohnen, &bdquo;motivieren, qualifizieren und binden“ heißt die Losung. &bdquo;Wir wollen nicht, dass Diana wieder geht“, bringt es Sendy Hachmeister, die Leiterin von St. Loyen Zentrum, rundheraus auf den Punkt und legt Levchenko lachend eine Hand auf den Arm. Seit Levchenko sich hier über eine Bekannte vorstellte und als Unterstützung in den Küchen der Wohngruppen anfing – &bdquo;Frühstück machen, beim Mittagessen helfen und so weiter“ –, hat sie sich beruflich zu einer beliebten Kraft und nun seit Juni zur Auszubildenden entwickelt. De Vries sieht hier kein Ende der Karriereleiter, würde das Johanneswerk doch auch die Qualifikation zur Pflegedienstleitung, ja selbst ein Studium unterstützen.

Ganzheitlicher Ansatz Bereits seit 2022 versuchte sich das Johanneswerk an einem Projekt, das auf junge Türkinnen und Türken zugeschnitten war. Drei Jahre lang sollten diese theoretisch und praktisch auf den Pflegeberuf in Deutschland vorbereitet werden. Systematisch und vom Ansatz her ganzheitlich, das heißt, sie erhalten neben der Vermittlung einer Unterkunft auch Unterstützung bei Behördengängen, beim Eröffnen eines Kontos oder dem Abschluss von Verträgen. So soll gewährleistet sein, dass sie auch abseits der Arbeit ein erfülltes Leben führen können. &bdquo;Wenn man von Ankara nach Steinheim kommt, ist das anfangs nicht immer leicht“, so de Vries.

Doch die bürokratischen Hürden waren und sind hoch. Erreicht werden sollten 150 Personen – es kamen jedoch nur 37. Eine Enttäuschung. Gleichzeitig jedoch auch Ansporn, das gerade ausgelaufene Projekt anzupassen. Der &bdquo;Integrationsprofi“, der es ablöst, hat laut de Vries keine Laufzeit und somit kein Ende. Ein Einsatz auf Dauer. Schon 396 Menschen sind in den letzten zwei Jahren so NRW-weit zum Johanneswerk gestoßen, 32 waren es 2024 allein in Lippe. In Lemgo sind in den Einrichtungen Zentrum, Stift und Schloss derzeit 36 internationale Mitarbeitende beschäftigt. &bdquo;Auf diese Leistung“, sagt de Vries, &bdquo;sind wir stolz.“

Es spricht sich herum In der Hotelküche, sagt Diana Levchenko, habe sie ihr Deutsch kaum weiterentwickeln können. Sie hatte trotz ihres Deutschkurses Hemmungen zu sprechen. Beim Johanneswerk hätten ihr die Kolleginnen stets signalisiert: &bdquo;Wenn du etwas nicht verstehst, kannst du ruhig fragen. Jetzt habe ich keine Angst mehr zu reden.“ Wenn es ihr einmal schlecht gehe aufgrund der Lage in ihrer Heimat, spürten die Kollegen das – und fingen sie auf.

Hachmeister und de Vries hoffen, dass ihr Ansatz Schule macht – und sich herumspricht. Diana Levchenko hat bereits eine gute Freundin aus Indien, die sie im Sprachkurs kennenlernte, animiert, es beim Johanneswerk zu versuchen. &bdquo;Ach“, fragt de Vries überrascht nach, &bdquo;und die bringen Sie demnächst einmal mit?“ Levchenko schüttelt den Kopf, Hachmeister lacht. &bdquo;Sie ist schon hier.“

Zahlen & Hintergründe Das Ev. Johanneswerk ist einer der großen diakonischen Träger Deutschlands mit Sitz in Bielefeld. Rund 7.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in mehr als 70 Einrichtungen an 35 Standorten in Nordrhein-Westfalen tätig. Laut Bodo de Vries haben die Beschäftigten insgesamt 95 unterschiedliche Staatsangehörigkeiten.

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