„Völlig neue Konzepte müssen her“: Kaum Pflegechancen für Alleinstehende in OWL

Bielefeld. Es ist aktuell nicht alles schlecht, was die Situation der Pflege in Bielefeld betrifft. Aber auch längst nicht alles gut. Vor allem nicht in der Zukunft. Ähnlich und teils schlechter als hier sieht es überall in Deutschland aus. Das sieht sogar der zuständige Sozialdezernent Ingo Nürnberger (SPD) so. Denn aktuell funktioniert die Versorgung pflegebedürftiger Menschen in Bielefeld. Auch wenn der Druck zunimmt.

In der Zukunft rollt ein &bdquo;Tsunami“ aus mehreren Komponenten auf das System und die Menschen nicht nur in Bielefeld zu, wie Bodo de Vries feststellt. Der Vizechef des Johanneswerkes ist in mehr als 30 Kommunen tätig und blickt mit Sorge auf die kommenden Jahre, denn es ist nicht allein der demografische Wandel mit immer mehr älteren Menschen (&bdquo;Längere Lebenszeit ist längere Pflegezeit.“), der die Einrichtungen unter Druck setzt.

Der gesellschaftliche Wandel, der Lebensstil der Menschen komme hinzu, den heute kaum jemand auf dem Schirm hat. Der bestehe darin, dass die Zahl der Single-Haushalte deutlich zunimmt. Problem: Ein Mensch mit Partner oder Partnerin lebe durchschnittlich nur 19 Monate in einem Pflegeheim, weil er oder sie länger zu Hause gepflegt werde. Ein Single ohne Hilfe in der eigenen Wohnung gehe im Pflegefall sehr viel früher in eine stationäre Einrichtung und bleibe dort im Schnitt 42 Monate, belege einen Platz also viel länger.

Mehr Bedürftige – weniger Hilfe

Der Pflegebedarfsplan, den die Stadt Bielefeld alle zwei Jahre neu aufstellt, besagt, dass die Zahl der Menschen mit Lebensalter jenseits der 80 Jahre von 2024 bis 2045 um 5.000 und damit etwa 21 Prozent zunehmen wird. Ende 2023 (die aktuellsten Zahlen des Planes) waren 22.590 Menschen in der Stadt pflegebedürftig (rund 15.000 wurden durch Angehörige, teils mit Hilfe ambulanter Pflegedienste, versorgt, bei 2.622 stationären Plätzen in 32 Einrichtungen).

Diese Zahlen werden erwartbar parallel zum Anwachsen der Altersstruktur ebenfalls um 21 Prozent steigen und auf das Pflegesystem zukommen. Das Plus durch den geschilderten gesellschaftlichen Wandel kommt noch oben drauf. Beides zusammengenommen führt zu dem von Bodo de Vries befürchteten Tsunami. &bdquo;Als Single im ländlichen Raum zu hoffen, im Alter gepflegt zu werden, ist naiv“, so seine bittere Botschaft. Dort sei die Versorgung in Zukunft noch schlechter, die Strukturen schwächer. Zusätzlich, so Nora Kristin Gäbel, Altenhilfeplanerin im Sozialdezernat der Stadt Bielefeld, trifft diese Entwicklung auf einen deutlichen Fachkräftemangel.

Mehr stationäre Heime bringen nichts

&bdquo;Es hilft uns nichts, wenn wir weitere stationäre Einrichtungen bauen würden, weil die gewonnenen Plätze nicht von Pflegekräften versorgt werden können. Die haben wir nicht“, sagt sie. Der Experte vom Johanneswerk sieht das genauso und bestätigt: &bdquo;Wir kommen dem demografischen und gesellschaftlichen Wandel nicht nach.“ Der Druck sei heute schon deutlich spürbar und werde ab 2030 noch steigen. Und eine weitere schwierige Entwicklung sieht de Vries. Auch Pflegekräfte werden älter und gehen in den Ruhestand. In den kommenden zehn Jahren müsse er 1.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ersetzen, weil sie die Altersgrenze erreichen. Und bei den ganzen Problemen ist das Thema Geld und Finanzmittel der Pflegekassen noch gar nicht besprochen.

Völlig neue Konzepte müssten her. So schlägt de Vries vor, dass Nachbarschaften sich auf breiter Front gegenseitig organisiert unterstützen. Das kann den Umzug ins Heim oder die Wohngruppe herauszögern. Nicht nur Familien sollten sich um die ihren kümmern, denn Kinder lebten heute häufig weit entfernt. de Vries: &bdquo;Ich kann nur empfehlen, die Lebensphase des Alters rechtzeitig zu planen.“

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