Patchwork-Familien: Lemgoer Expertinnen erklären, warum viele Kinder zu Weihnachten leiden

Lemgo. &bdquo;Weihnachten“, sagt Juliane Gaßmann, &bdquo;ist eine hochemotionale Zeit für Familien.“ Und wenn es Streit gibt, sind vor allem die Kinder betroffen. Das bekommt auch Natalie Wittmann im Dezember zu spüren. &bdquo;In der Vorweihnachtszeit planen wir immer besonders viel Zeit an den Schulen ein.“

Natalie Wittmann ist Schulsozialarbeiterin, Kinder- und Jugendschutzorganisatorin im Jugendamt, Juliane Gaßmann die Leiterin für den Bereich Jugend und Schulen der Stadt. Und das, was sie seit Jahren zur vermeintlich besinnlichen Weihnachtszeit erleben, macht sie immer wieder betroffen. Denn vor allem in Patchwork-Familien spielen sich mitunter emotionale Dramen ab, unter denen vor allem die Jüngsten und Schutzbedürftigen leiden.

Loyalitätskonflikt ist groß Der Druck ist so groß, dass viele Kinder schon früh in der Vorweihnachtszeit den Kontakt zu den Schulsozialarbeitern suchen. Sind die Eltern getrennt, beschäftigt sie vor allem eine Frage: &bdquo;Wohin gehe ich wann an welchem Weihnachtstag? Was kann ich tun, um die Gefühle meiner Eltern nicht zu verletzen?“ Über Wochen quält viele Kinder diese Frage, &bdquo;da gibt es einen enormen Loyalitätskonflikt Mutter und Vater gegenüber“, hat Natalie Wittmann erfahren, &bdquo;auch wenn viele Jungen und Mädchen selbst schon genau wissen, wie sie die Feiertage am liebsten verbringen möchten“.

Doch diese Wünsche auch zu artikulieren und dem emotionalen Druck der Eltern standzuhalten, dem fühlen sich viele Heranwachsende nicht gewachsen.

&bdquo;Wir versuchen dann zu klären, wie die Jugendlichen ihre Wünsche den Eltern am besten mitteilen können“, erklärt Natalie Wittmann und sie macht den Schülern auch klar, dass es wichtig ist, die eigenen Vorstellung für die Gestaltung der Feiertage einzubringen. Im Zweifelsfall sucht sie auch das Gespräch mit den Eltern. &bdquo;Vielen ist gar nicht bewusst, welchen Druck sie auf die Kinder ausüben“, so ihre Erfahrung. Manche Mütter und Väter seien sehr berührt, wenn sie erfahren, wie ihre Kinder leiden und was sie von dem Streit ihrer Eltern alles mitbekommen. &bdquo;Vielen ist das gar nicht klar.“

Nummer für den Notfall Und wenn die Situation über die Feiertage dann doch eskaliert, geben die Schulsozialarbeiter den Kindern für den Notfall Bereitschaftsnummern mit. &bdquo;Die läuft über Feiertage zwar über die Polizei, doch dann wird weitergeleitet“, erklärt Geschäftsbereichsleiterin Juliane Gaßmann das Vorgehen, das zu Weihnachten immer wieder nötig wird. Das heißt, der Allgemeine Soziale Dienst des Jugendamtes wird alarmiert, versucht die Situation vor Ort zu beruhigen und wenn das gar nicht funktioniert, nehmen die Mitarbeiter die Kinder über die Feiertage auch aus der Familie.

Das ist zum Glück nur selten nötig, doch Weihnachten bleibt für viele Trennungskinder schwierig, wie es Natalie Wittmann oft nach den Ferien hört. Immer wieder tragen Eltern ihre Differenzen auf dem Rücken der Kinder aus. &bdquo;Die sind dann oft auch Geheimnisträger, was sie sehr belastet“, so Juliane Gaßmann. Doch viele Eltern seien nach der Trennung so verletzt, dass sie es auch nach Jahren nicht schaffen, im Sinne ihrer Kinder zu agieren. Der Nachwuchs werde als Druckmittel benutzt, die Kinder müssten für ihre Eltern lügen und wenn sie denn die Feiertage auf die Erziehungsberechtigten aufteilen, so vermeiden sie es oft, von ihren Erlebnissen zu erzählen, um Mutter oder Vater nicht zu verletzten.

Locken über Geschenke Dabei greifen die Eltern im Versuch, das Kind auf ihre Seite zu ziehen, immer wieder zu unlauteren Mitteln: Wer hat das schönere Geschenk, wer kann den anderen bei Handy oder Tablet teuer überbieten? Die beiden Expertinnen können da nur den Kopf schütteln, denn ihrer Erfahrung nach, komme es den Kindern meist gar nicht auf teure Geschenke an. &bdquo;Vielmehr wollen sie doch mit ihren Eltern über die Feiertage eine schöne, stressfreie Zeit verbringen“, so Juliane Gaßmann.

Sie rät Eltern, sich frühzeitig Gedanken zu machen, wie sie die Feiertage gestalten wollen, den Nachwuchs in die Gespräche einzubeziehen und die eigenen Gefühle nicht überhandnehmen zu lassen. &bdquo;Die Feiertage stehen ja nicht plötzlich vor der Tür.“ Das Jugendamt könne versuchen, bei Bedarf, Gespräche zu moderieren, Lösungen aufzuzeigen, doch &bdquo;Entscheidungen können wir nicht treffen“ und manchmal müsse dann auch das Gericht entscheiden, wo das Kind die Weihnachtstage verbringt.

Doch so weit muss es nicht kommen: Kommunizieren, Emotionen vermeiden, die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen ernst nehmen - das sind die wichtigsten Schritte, um die vermeintlich besinnlichen Feiertage auch friedlich zu gestalten.

Was ist mit der Party? Und das trifft auch auf Probleme in intakten Familien zu. Was tun, wenn die 16-jährige Tochter Heiligabend beim Freund feiern will oder wenn sich die Jugendlichen zu späterer Stunde noch in Kneipe oder Club treffen wollen?

&bdquo;Sprechen Sie mit den Eltern des Freundes, treffen Sie Absprachen“, rät Natalie Wittmann den Erwachsenen und hat für die Jugendlichen folgenden Tipp parat: &bdquo;Plant nichts im Geheimen, das endet meist nicht gut“.

Die Erwartungen von Jugendlichen an ihr Fest seien eben manchmal anders als die ihrer Eltern, doch ebenso legitim. &bdquo;Auch Jugendliche haben Rechte“, sagt Juliane Gaßmann bestimmt und schmunzelt, wenn es denn um den späten Treff an Heiligabend geht: &bdquo;Eltern sollten sich fragen, was ist mir lieber: Streit beim Fest oder ein Kompromiss, der allen entgegen kommt?“

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