Oerlinghausen. Dass sich seine Zuhörer beim Schlussapplaus erheben, hat Dietmar Wunder noch nicht oft erlebt. Nicht bei einer Lesung. „Das hat mich wirklich sehr bewegt“, sagt er später in kleiner Runde. Der Buchhandlung Blume war es gelungen, den Synchron- und Hörbuchsprecher, die deutsche Stimme von James-Bond-Darsteller Daniel Craig, in die Bergstadt zu holen.
Vor 200 Zuhörern las er – und auch das ist durchaus ungewöhnlich – aus zwei neuen Thriller von James Lee Burke: „Regengötter“ und „Glut und Asche“. Vom Verlag hatte Jörg Czyborra sich die Erlaubnis geholt, mit Dietmar Wunder diese Lesung machen zu können, obwohl die Hörbücher erst in der kommenden Woche erscheinen.
Czyborra plauderte mit Dietmar Wunder überaus unterhaltsam über dessen Beruf als Synchronsprecher, über Unterschiede zwischen Hörbuch und Synchronisation. Bereits im Vorfeld führte Redakteur Gunter Held ein Gespräch mit Dietmar Wunder.
Herr Wunder, Ihr Werdegang ist durchaus ungewöhnlich. Gelernt haben Sie Augenoptiker, dann wollten Sie Lehrer für darstellende Künste werden. Geworden sind Sie dann Schauspieler. Wie kommt man von dort aus zur Synchronsprecherei?
Dietmar Wunder: Mein Urgroßvater hat im Jahre 1905 in Berlin „Optiker Wunder“ gegründet. Deshalb war der Bezug zum Optiker schon sehr naheliegend. Nach dem Abitur habe ich beschlossen: Lerne doch erst einmal einen anständigen Beruf. Ich habe aber schon während der Schulzeit Theater gespielt und in Bands gesungen. Und auch während der Augenoptikerausbildung habe ich privaten Schauspielunterricht genommen. Das Lehrerstudium habe ich begonnen, weil ich mich damals wohl noch nicht getraut habe, ganz auf die Schauspielerei zu setzen. Aber irgendwann kam dann dieser Entschluss doch. Ich habe dann bei Maria Körber in Berlin studiert. Dort habe ich eine ganz konventionelle Ausbildung erhalten, mit allem, was dazugehört, mit Ballett und Fechten und höfischen Tänzen. Außerdem natürlich Sprechausbildung und Arbeit an klassischen Texten. Und durch ihren Mann, Joachim Kerzel, der deutschen Stimme von Jack Nicholson und Dustin Hoffman, bekamen wir einen Bezug zum Synchronsprechen. Beim Hineinschnuppern habe ich festgestellt, das mir das ungeheuer viel Spaß macht. Ich habe dann schon nach kurzer Zeit meine erste kleine Rolle. Das war in der Serie „Happy Days“ ein stotternder Student, was richtig schwierig ist. Dann kamen recht schnell Angebote für Hauptrollen und Rollen in Serien. Aber ich habe zuerst meine Schauspielausbildung abgeschlossen – darauf hat schon Maria Körber bestanden.
Also von der Schauspielschule direkt ins Synchronstudio?
Wunder: Nein, in der ersten Zeit habe ich nebenbei immer noch Theater gespielt und gedreht. Es hat mich aber immer sehr fasziniert, mit der Stimme zu spielen. Und so kam ich dann immer mehr zum Synchronisieren.
Gibt es für Synchronsprecher noch eine zusätzliche Ausbildung?
Wunder: Es gibt kein Fach „Synchronsprechen“. Es gibt aber heutzutage an einigen Schulen „Mikrofonarbeit“ und „Arbeit an der Stimme“. Da wird dann Hörbucharbeit oder Synchronsprechen gelehrt. Aber vieles beim Synchronsprechen ist ,Learning by doing’. Man beginnt zunächst mit einzelnen Sätzen, spricht beispielsweise die Bedienung, die die Gäste fragt: ,Was darf ich Ihnen bringen’.
Kennen Sie „Ihre“ Schauspieler persönlich?
Wunder: Ich habe Adam Sandler kennengelernt. Das ist ein großartiger Mensch. Er ist wirklich so wie in seinen Filmen. Unheimlich kumpelhaft, freundlich und offen. Ich habe Edward Norton kennengelernt, als ich ihn in „American History X“ synchronisiert habe. Norton war sehr interessiert daran zu erfahren, wie wir Synchronsprecher unseren Job machen. Aber oft haben die Schauspieler, wenn sie denn zu Premieren nach Deutschland kommen, einfach nicht die Zeit haben, sich mit uns zu treffen. Da stehen andere Dinge im Vordergrund.
Sie müssen sich doch eigentlich in zwei Personen hineinversetzen – in die Figur und in den Schauspieler. Wie ist das, wie weit geht das?
Wunder: Das hat auch Edward Norton angesprochen. Er wollte wissen, ob ich Vorbereitungszeit hätte oder ob ich das Drehbuch vorher bekomme. Aber das funktioniert bei uns ganz anders. Das ist vielleicht das Handwerkszeug beim Synchronisieren. Wir greifen innerhalb ganz kurzer Zeit minimalistisch in dieses Spiel ein. Aber wir spielen die Szene natürlich nicht nach. Ich habe als Bond keinen Smoking an. Die Kunst des Synchronisierens ist vielleicht, dass wir unmittelbar, von jetzt auf gleich in die Szene hineinspringen, abnehmen, was der Schauspieler uns vorspielt und das so authentisch wie möglich in unserer eigenen Sprache nachzuempfinden. Wenn mein Schauspieler rennt, muss ich natürlich wissen, wie sich das anfühlt, wie ich dabei atme. Ich renne natürlich nicht wirklich im Studio herum, sondern empfinde es nach. Man schauspielert im Kopf sehr viel. Und wenn wir unseren Job gut machen, dann merkt der Zuschauer gar nicht, dass es synchronisiert ist. Er hat dann das Empfinden, dass Daniel Craig Deutsch spricht.
Sie sprechen Cuba Gooding jr. und Daniel Craig – zwei vollkommen verschiedene Typen. Der eine extrovertiert, der andere eher minimalistisch. Wie funktioniert das?
Wunder: Beim Synchronisieren kann ich in die Extreme gehen. Und das ist für mich als Schauspieler ein unheimlicher Reiz, diese unterschiedlichen Typen bedienen zu dürfen. In dem Moment, in dem ich sehe, wie ein Schauspieler eine Szene spielt, versuche ich mich in ihn hineinzuversetzen. Das heißt, dass ich dann auch die Mimik annehme. Wenn Craig beim Sprechen die Lippen kaum bewegt, dann stehe auch ich so vor dem Mikrofon.
Könnten Sie Schauspieler synchronisieren, die Ihnen unsympathisch sind?
Wunder: Das habe ich noch nicht erlebt. Was ist eigentlich unsympathisch als Schauspieler? Was ich unangenehm empfinde ist, wenn sich jemand selbst sehr gefällt und sehr manieriert spielt. Andererseits ist es für mich eine Herausforderung.
Was müssen Sie über einen Film wissen, um eine gute Arbeit abliefern zu können?
Wunder: Wenn es möglich ist, sehe ich den Film vorher, damit ich weiß, worum es geht, wie die Figur im Film entwickelt wird. Aber heute ist es bei Filmen mit vielen Spezialeffekten so, dass die Filme noch gar nicht fertig sind, wenn wir sie synchronisieren. Beispielsweise sehen wir die Schauspieler nicht in der fertigen Szene, sondern vor der grünen oder blauen Wand, auf die bei der Bearbeitung der Hintergrund montiert wird.
Lernen Sie das Drehbuch auswendig?
Wunder: Nein, das mache ich nicht. Ich rate auch davon ab, denn die Kunst des Synchronisierens ist das unmittelbare Hineinspringen in eine Szene. Ich kann mich schlecht in einen Schauspieler hineinversetzen, wenn ich durch das Lernen des Textes bereits etwas Eigenes erarbeitet habe. Beispiel: Ich mach in einem Satz eine Pause nach dem zweiten Wort. Der Schauspieler aber macht sie nach dem ersten Wort.
Bewerben Sie sich um bestimmte Schauspieler oder werden Sie angefragt?
Wunder: Beim Synchronisieren ist es so, dass man angefragt wird. Der Dialogregisseur hat eine Kartei und wenn ein Schauspieler noch keine Feststimme hat, wird man zum Casting gebeten. Manchmal möchte auch der Filmregisseur die Stimme hören, damit er hören kann, ob die Stimme seinen Vorstellungen entspricht. Das finde ich auch völlig richtig. Ridley Scott macht das oft und er entscheidet dann auch mit.
Sie werden „Das Stimm-Wunder“ genannt. Haben Sie Ihr Timbre schon einmal eingesetzt, um etwas Bestimmtes zu erreichen?
Wunder: Ich glaube, jeder von uns setzt seine Stimme in bestimmten Situationen unbewusst ein. Ich sicherlich auch. Was ich noch nie gemacht habe, ist, dass ich beim Bäcker gesagt habe: „Ich hätte gern Brötchen – sieben Brötchen.“
Sie sind auch als Hörbuchsprecher tätig. Was ist leichter?
Wunder: Beides ist gleichzeitig leicht und schwer. Für mich ist das Lesen eines Hörbuches die Königsklasse, wenn man mit Sprache umgeht. Als Sprecher oder Erzähler alleine über viele Seiten einen Bogen zu spannen, bedarf einer ungeheuren Konzentration. Das ist sehr anstrengend und kostet viel Kraft. Das Schwierige beim Synchronisieren ist, authentisch und glaubhaft zu bleiben. Man kann es vielleicht mit Marathon-Läufen vergleichen. Ein Hörbuch ist ein großer Marathon mit allen Anstrengungen. Das heißt aber noch nicht, dass ein Halbmarathon, eine Synchronisation weniger anstrengend ist.
Haben Sie Lampenfieber, wenn Sie beginnen, ein Hörbuch aufzunehmen?
Wunder: Lampenfieber ist immer da. Ich habe zu Anfang gedacht: Wann hört das denn endlich mal auf?“ Aber dann habe ich mit vielen großen Kollegen gesprochen, die mir gesagt haben: „Dietmar, wenn das Lampenfieber aufhört, ist das Ergebnis leider nicht mehr so schön.“ Das Lampenfieber ist aber nicht mehr unangenehm. Heute ist es mehr eine freudige Aufgeregtheit.
Wie pflegen Sie die Modulationsfähigkeit Ihrer Stimme?
Wunder: Ich denke, dass ich durch die tägliche Arbeit mit der Stimme die Variabilität und Modulationsfähigkeit erhalte. Ich spreche mich zwar ein, habe aber keine bestimmten Übungen, die ich mache.
Wenn ein Regisseur Ihnen während einer Aufnahme ein „Stopp“ zuruft. Wie kommen Sie wieder nathlos in den Lesefluss?
Wunder: Bei Hörbüchern spiele ich mir einen Film vor. Ich habe also mein Kino im Kopf. Wenn ich dann nach einer Unterbrechung neu ansetzen muss, bin ich im Kopf immer noch in dem Bild drin und komme deshalb wieder leicht in den Erzählfluss hinein.
Wie oft lesen Sie ein Buch, bevor Sie es aufnehmen?
Wunder: Meistens einmal, weil ich für mich das Spontane wachhalten will. Ich lese allerdings nicht nur, sondern ich arbeite das Buch durch, mache mir Anmerkungen und Hinweise. Wie spricht der Sheriff, wie spricht die Frau. Wer ist dick, wer ist dünn. Ich habe meistens für die Protagonisten bestimmte Schauspieler vor Augen. Klein und dick ist für mich Danny de Vito.
Gibt es aus den Bond-Filmen einen Lieblingssatz?
Wunder: Außer dem traditionellen Satz „Mein Name ist Bond, James Bond“. Als ich den in „Casino Royal“ zum ersten Mal aussprechen durfte, habe ich gejubelt, das ganze Studio hat gelacht und ich habe gedacht: „Yess!“ Mein Lieblingssatz, weil er auch das Brechen mit den Traditionen ausdrückt, ist aus „Casino Royal“ die Antwort auf die Frage des Barkeepers, ob er seinen Wodka-Martini geschüttelt oder gerührt haben möchte: „Sehe ich aus, als ob mich das interessiert?“