Wie schwer es für Oerlinghausen war, eine Stadt zu werden

Oerlinghausen . Fast ein halbes Jahrhundert lang hatte sich Oerlinghausen bemüht, eine Stadt zu werden. Die ersten Anträge auf Erteilung der Stadtrechte datieren bereits aus der Zeit kurz nach der Reichsgründung 1871, schreibt der Historiker Jürgen Hartmann in der Zeitschrift &bdquo;Rosenland“.

Und es gab weitere Bittbriefe und auch Gespräche mit der Fürstlichen Landesregierung in den 1880er und 1890er Jahren. Denn für die Dorfschaft Oerlinghausen, die um 1890 etwa 2000 Einwohner hatte, galt es als ein unhaltbarer Zustand, vom Amt Schötmar aus regiert zu werden, das um die 15 Kilometer entfernt lag.

Es ging auch ums Geld. So hatte in jener Zeit, 1888, der Oerlinghauser Gemeinderat den Antrag auf Zuschüsse zur Sanierung der maroden Hauptstraße von der Apotheke bis zur Gaststätte Niewald (später Stadtschänke) gestellt. Nur zwei Wochen später bekam die Gemeinde von einem Mitglied der lippischen Verwaltung, dem Freiherrn von Richthofen, die ernüchternde Antwort, dass nur Städte, nicht aber Dörfer in den Genuss von Zuschüssen kämen.

Selbst ein 27-seitiger, handgeschriebener Brief des damaligen Oerlinghauser Ortsvorstehers Freitag an das &bdquo;Hochfürstliche Kabinett-Ministerium“ brachte nichts. Es gab weitere Vorstöße Richtung Stadtrechte, sogar noch nach dem Ersten Weltkrieg.

Landesregierung in Detmold mauert Damals verwies Gemeindevorsteher August Reuter, der das Amt seit 1919 ausübte, auf die Wirtschaftskraft Oerlinghausens: &bdquo;Eine Leinenweberei, zwei Wäschefabriken, eine Zementfabrik, zehn Zigarrenfabriken, fünf Möbelfabriken“ Doch immer noch ließ sich die Landesregierung in Detmold nicht umstimmen.

Bis letztlich das Frühjahr 1926 die hochwillkommene Entscheidung brachte. &bdquo;Als in der Mittagszeit des 27. April etliche Böllerschüsse vom Tönsberg erklangen“, berichtete Werner Höltke in einem Vortrag vor dem Heimatverein im Jägerhaus, &bdquo;da waren der Dorfgemeinde Oerlinghausen von der Lippischen Landesregierung die Stadtrechte verliehen worden.“ Und Gemeindevorsteher August Reuter durfte sich ab sofort Bürgermeister nennen.

Eine der ersten Maßnahmen des neuen Stadtrates bildete die Einführung einer städtischen Müllabfuhr noch im Jahre 1926, sagte Höltke. Weitere kommunale Investitionen in Reuters Amtszeit folgten: 1927 begann zeitgleich mit dem Ausbau des Marktplatzes der Bau der Marienstraße. Im selben Jahr errichtete die Stadt an der Ecke Rathausstraße/Marktstraße einen Pavillon und eine Stadtwaage.

Anschließend war mit der Bebauung des Boksieks und der Grüte begonnen worden sowie des Lehmstichs am Welschenweg. Die Errichtung der Jugendherberge erfolgte im Jahre 1928. Der Ausbau der städtischen Kanalisation wurde 1930 gestartet. Häusliche Sickergruben und Gräben entlang der Straßen hatten zuvor das Abwasser aufgenommen.

Die sicherlich nachhaltigste, sportliche Entscheidung der jungen Stadt Oerlinghausen fiel im Jahre 1930, als eine riesige Hangfläche südlich des Barkhauser Berges als Fluggelände an mehrere Segelflugvereine übergeben wurde. Damit legte die Kommune den Grundstein für die Entwicklung zur heutigen Metropole des Segelflugsports in Deutschland. In Reuters Amtszeit fielen ferner die Errichtung des Lönsdenkmals 1928 und des Mahnmals auf dem Tönsberg 1930. Mit der Machtübernahme der Nazis im Jahre 1933 endete auch die Amtszeit des liberalen Bürgermeisters August Reuter.

Als Nachfolger setzten die braunen Machthaber den linientreuen Parteigenossen Friedrich Möller aus Blomberg ein, der bis Ende des Zweiten Weltkriegs sein Amt bekleidete, erklärte Werner Höltke. Immerhin fiel in Möllers Amtszeit der Bau eines Feuerwehrgerätehauses am Marktplatz und die Anlage eines neuzeitlichen Freibades im Süden Oerlinghausens – beides im Jahre 1936.

Außerordentliche Entwicklungssprünge machte die Stadt Oerlinghausen nach dem Zweiten Weltkrieg. Notwendigerweise, denn die Zerstörungen an Gebäuden sowie vor allem die große Zuwanderung durch Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten stellten die Stadt, wie viele Kommunen, vor riesige Probleme. Es wurde dringend neuer Wohnraum gebraucht. Heinrich Kramer hatte das Bürgermeisteramt 1946 übernommen. Unermüdlich ließ Kramer seine guten Beziehungen zur Kreisverwaltung spielen, um weiteres Bauland ausweisen zu können und den Siedlungsbau voranzutreiben.

Neue Schulen entstanden in jenen Jahren. Man errichtete einen Anbau an die alte Volksschule im Jahre 1949, so dass ein Progymnasium in acht weiteren Räumen Platz fand. Dann der große Wurf im Schulbau: Die moderne Hauptschule mit einer Turnhalle (heute Heinz-Sielmann-Schule) nahm 1959 nach relativ kurzer Bauzeit den Betrieb auf. Etwa zwei Jahre später kam die Fröbelschule hinzu. 1975 wurde der Neubau des Gymnasiums eingeweiht, das später den Namen Niklas-Luhmann-Gymnasium erhielt.

Die aktuellen Grenzen der Stadt Oerlinghausen, so wie wir sie heute kennen, wurden in den 60er Jahren gezogen. So gelang es der Stadt durch ein geschicktes Tauschgeschäft mit dem damaligen Kreis Lemgo, ein gewaltiges Sennegelände vom Hof Sültemeier zu kaufen, auf dem die gesamte Südstadt errichtet wurde.

Und letztlich sorgte die kommunale Gebietsreform dafür, dass sich die Stadt Oerlinghausen am 1. Januar 1969 durch die Zusammenlegung mit den angrenzenden selbstständigen Gemeinden Helpup und Lipperreihe auf fast 33 Quadratkilometern größenmäßig verdreifachte. Sie ist heute mit etwa 17.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt im Kreis Lippe.

Wie schwer es für Oerlinghausen war, eine Stadt zu werden

Die Reuter-Dynastie: Wie eine Steinmetzfamilie Oerlinghausen prägte

Als die Lok den Ochsen ersetzte und die Oerlinghauser Angst um ihre Sommerfrische hatten

Als Oerlinghausen noch eine Kirmes-Metropole war

Vom Hermann zur Sparrenburg

Wie ein Oerlinghauser Junge zu einem geachteten Musikprofessor wurde

Wie der Oerlinghauser August Becker zu seinem Brauhaus kam

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus!

0,99 Euro im ersten Monat

Weiterlesen mit LZplus